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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 4/2014

Mensch versus Auto

Kommunen müssen entscheiden, ob sie knappe Flächen als Parkfläche für Autos oder als Lebensraum für Menschen zur Verfügung stellen. Die Gesetzeslage spricht fürs Auto.

Foto: Volker LannertBreite Straßen, große Parkplätze: Der Autoverkehr in Deutschland wächst weiter und bekommt immer mehr Platz.

Ich drehe schon seit Stunden hier so meine Runden “, singt Herbert Grönemeyer und beschreibt dabei Gefühle, die jeder Autofahrerin und jedem Autofahrer aus dem Herzen sprechen. Die feste Überzeugung der autofahrenden Bevölkerung: Egal, wo man hin will, es gibt immer zu wenig Parkplätze.

Allein in den vergangenen fünf Jahren ist der Fahrzeugbestand in Deutschland laut Kraftfahrt-Bundesamt um 3,3 Millionen Fahrzeuge gestiegen. Diese Autos müssen ja auch erst mal irgendwo unterkommen. Wie und wo darf allerdings nicht dem Zufall überlassen bleiben. Umfangreiche Gesetzeswerke wie die 16 Garagenverordnungen und ebenso viele Bauordnungen der Länder sowie die aktuell 107 Seiten umfassende „Empfehlung für Anlagen des ruhenden Verkehrs“ (EAR 2005) und die darin enthaltene Richtlinie für Anlagen des ruhenden Verkehrs (RAR) schreiben fest, wie viele Parkplätze pro Wohneinheit bei Neubauten angelegt werden müssen, wie groß diese zu sein haben und welche Anforderungen die bauliche Ausgestaltung und die Fahrwege drumherum erfüllen müssen. Damit das Auto sicher stehen und bequem ein- und ausgeparkt werden kann, stehen ihm mindestens 12,5 Quadratmeter zu – 5 Meter in der Länge und 2,5 Meter in der Breite.

53 Millionen Fahrzeuge besitzen die Deutschen insgesamt, und die brauchen viel Platz. „Für Fahrzeuge sind im Straßenraum zwei Vorgänge vorgesehen“, sagt Bernhard Meyer, der sich bis 2011 an der Evangelischen Hochschule in Darmstadt mit nachhaltiger Stadtentwicklung beschäftigte. „Erstens: Die Bewegung von A nach B, das nennt man Fahren. Dafür gibt es eine eigene Fahrbahn. Zweitens. Der Aufenthalt, genannt Parken. Dafür werden die eigenen Parkplätze bereitgehalten.“ Und zwar nicht nur im privaten Wohnumfeld, sondern auch an allen Zielen, zu denen sich der Mensch im Auto bewegt: Parkplatz oder Tiefgarage in der Innenstadt und im Einkaufszentrum, der Parkplatz am Arbeitsort, der Parkplatz am Schwimmbad oder vor der Sporthalle. Die Landesbauordnungen legen fest, wie viele Parkplätze für jeden Zweck bereitgestellt werden müssen – von der Wohnung über Arbeits- und Einkaufsstätte bis zu Spielhalle und Minigolfplatz. Jedes der 53 Millionen Autos in Deutschland wird also nicht nur einmal mit Parkfläche bedacht, sondern gleich mehrmals.

Da Fußgänger keinen Parkdruck erzeugen, werden für sie auch keine Flächen für Zwischenstopps oder längere Aufenthalte vorgesehen. Bernhard Meyer bringt es auf den Punkt: „Für Menschen ist nur ein Vorgang ausgewiesen, nämlich die Bewegung von A nach B, also Gehen. Dafür ist der 1,50 Meter breite Gehweg vorgesehen. Für Menschen sind keine Parkplätze vorgesehen.“ Keine der 16 Landesbauordnungen enthält Angaben über Aufenthaltsräume für Fußgänger. Selbst Fahrradfahrer, die in vielen Städten bereits einen erheblichen Parkdruck erzeugen, bleiben in einigen Bauordnungen noch unerwähnt, obwohl der Radverkehr stetig steigt und eine platzsparende Lösung für viele Verkehrsprobleme bietet.

Die Kommunen stehen vor einem Dilemma: Immer mehr Autos, die immer mehr Platz brauchen, nehmen den Menschen den Lebensraum, ersticken Kreativität, zerstören Stadtkultur und bedrohen die eigenständige Mobilität von Kindern. Das Ideal der autogerechten Stadt wird spätestens dann zum Albtraum, wenn die Menschen, statt das Stadtleben zu genießen, bei der Parkplatzsuche Zeit und Benzin verschwenden.

Der (Park-)Druck steigt

Die Stadt Stuttgart erlebte kürzlich eine ganz typische Phase der öffentlichen Aufregung: Die grün-regierte Landeshauptstadt hatte einen Vorstoß unternommen, eine eigene Fahrradstellplatzsatzung zu verabschieden. Dabei erwog die Stadt, auf Autostellplätze zu verzichten, wenn dafür genügend neue Fahrradstellplätze geschaffen würden. Maximal ein Viertel der Autostellplätze sollte so zur Disposition gestellt werden – eine Chance für neue Mobilitätskonzepte und für die Aufwertung zugeparkter Wohnviertel. Wer gehofft hatte, dass die Stadt, die unter ihrer Blechlawine sichtbar leidet, erleichtert aufseufzen würde, wurde allerdings enttäuscht. Die lokale Presse überschüttete die Stadtpolitiker mit Häme und Polemik. Ein Kommentator der Stuttgarter Zeitung freute sich bereits auf die Quittung, die die Grünen bei der Kommunalwahl bekommen würden. Und natürlich fragte die Presse empört, wie es denn für Stuttgart weitergehen sollte, wenn der Parksuchverkehr noch mehr zunehmen würde.

Die Frage ist berechtigt: Wie wird es für Städte weitergehen, wenn der Fahrzeugbestand ungebremst steigt und alternative Verkehrslösungen als unrealistisch, autofeindlich oder naiv weggewischt werden?

Das ebenfalls grün-geprägte Landesparlament in Baden-Württemberg brütet aktuell über einer Novelle zur Landesbauordnung (LBO), in der es unter anderem auch darum geht, wie viel Auto eine Stadt braucht und wie das Fahrrad es endlich als gleichberechtigtes Verkehrsmittel in ein solches Gesetzeswerk schafft. Würde die Novelle in bestehender Form vom Landesparlament verabschiedet, enthielte sie folgende Formulierung: „Bis zu einem Viertel der vorgeschriebenen Kfz-Stellplätze soll durch Fahrrad-Stellplätze ersetzt werden können. Dabei sollen für einen Kfz-Stellplatz vier Fahrrad-Stellplätze herzustellen sein.“

Die baden-württembergische LBO-Novelle wäre auch deshalb revolutionär, weil sie den Kommunen die Freiheit eröffnen würde, selbst zu entscheiden, ob und wie viele neue Parkplätze sie brauchen. Berlin und Frankfurt am Main haben gezeigt, dass es nicht zum Verkehrschaos führt, wenn Städte einfach aufhören, immer mehr Parkplätze zu schaffen. Die Baukosten sinken, autofreies Leben wird belohnt, die Wohnumgebung gewinnt an Attraktivität, Kinder haben mehr Platz zum Spielen und das Leben in der Stadt kann sich – ungehindert von immer mehr parkenden Fahrzeugen – entwickeln. Und Herbert Grönemeyer könnte entspannt auf dem Fahrrad zum nächsten Date fahren.

Regine Gwinner

fairkehr 5/2023