fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

Obere Wilhelmstraße 32 | 53225 Bonn | Telefon (0228) 9 85 85-85 | www.fairkehr-magazin.de

Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 5/2023

Urbane Seilbahnen

Überflieger gesucht

In anderen Ländern gehören ÖPNV-integrierte Seilbahnen bereits zum Stadtbild. Wann wird es in Deutschland so weit sein?

Eine Seilbahngondel fährt über eine dicht bebaute Stadt
Vitro Jasso/LeitnerIn Südamerika sind ÖPNV-integrierte Seilbahnen deutlich weiter verbreitet als in Europa. In Mexico-Stadt (im Bild) gibt es drei Linien, in La Paz (Bolivien) gar zehn

Über den Unicampus geht es hinauf auf den bewaldeten Hügel „Pech David“. Bevor man die Garonne überquert, erhascht man bei gutem Wetter einen Blick auf die Pyrenäen und fährt nach zehn Minuten in die Endstation ein. Bienvenue à Toulouse!

Hier hat im Mai 2022 die erste und bislang einzige in den ÖPNV integrierte Seilbahn Europas eröffnet. 2,7 Kilometer ist die Bahn lang – mit dem Auto braucht man vom Start- zum Zielpunkt gerne mal 40 Minuten durch den dichten Stadtverkehr von Toulouse, inklusive Nadelöhr Brücke. Da ist es mit der „Téléo“ deutlich schneller. Sie befördert täglich rund 8 000 Fahrgäste zwischen drei wichtigen Knotenpunkten der Stadt: der Uni Paul Sabatier, der Uni-Klinik Rangueil und dem Krebsforschungszentrum Oncopole.

Während man im Ausland also schon mit der Gondel ins Büro fährt, gibt es hierzulande noch keine einzige Seilbahn, die nicht vorwiegend Wintersportler*innen auf den Berg, sondern Pendler*innen zur Arbeit bringt – und Kinder zur Schule, Eltern zum Einkaufen, Freundinnen zu Freunden.

Eine sinnvolle Ergänzung

Dabei hätten Seilbahnen als Ergänzung des ÖPNV durchaus Potenzial. „Urbane Seilbahnen sind klimafreundlich und platzsparend. Sie können eine Lösung für nachhaltige Mobilität sein und das öffentliche Verkehrsnetz sinnvoll ergänzen und erweitern“, sagt etwa Tim Alexandrin, ein Sprecher des Verkehrsministeriums. Solch visionäre Äußerungen hört man aus dieser Quelle eher selten.

Konkret eignen sich Seilbahnen vor allem für direkte Punkt-zu-Punkt-Verbindungen und insbesondere dort, wo kein Platz für andere Verkehrsmittel ist oder Hindernisse überwunden werden müssen – Flüsse oder Gleisanlagen etwa. Und auch zur gezielten Ergänzung bestehender ÖPNV-Netze. Prof. Dr. Harry Wagner verdeutlicht das an einem konkreten Beispiel: „Wenn Städte, wie zum Beispiel München, ein radiales ÖPNV-Netz haben, wäre ein tangentiale Seilbahn eine perfekte Ergänzung.“

Wagner lehrt und forscht an der Technischen Hochschule Ingolstadt und beschäftigt sich seit 2014 mit ÖPNV-integrierten Seilbahnen. Er ist grundsätzlich davon überzeugt, dass urbane Seilbahnen ein Gewinn auch für deutsche Städte wären, betont aber gleichzeitig, dass es auf die richtige Projektierung ankomme.

Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt ist intermodale Mobilität und KI. Und darin sieht er eine Kernvoraussetzung für erfolgreiche Seilbahnprojekte: „Entscheidend für den Erfolg von Seilbahnen ist vor allem die gute Einbindung in den ÖPNV. Es muss möglich sein, bequem von einem Verkehrsmittel auf das andere umzusteigen. Wenn eine Stadt das bei der Umsetzung berücksichtigt und damit eine echte ÖPNV-Integration realisiert, wird die Stadt positive Erfahrungen mit einer Seilbahn machen. Davon bin ich überzeugt.“

Die erste deutsche Stadt, der das gelingen könnte, wird vielleicht Bonn sein (siehe auch fairkehr 2/2022). Dort hat es die Seilbahn bereits in den Bedarfsplan und den ÖPNV-Infrastrukturfinanzierungsplan geschafft. Bund und Land haben bereits die Finanzierung zugesagt, und auch Wirtschaft und Zivilgesellschaft stehen größtenteils hinter dem Projekt. Dennoch wird die Seilbahn selbst hier nach Informationen der Stadt frühestens 2028 in Betrieb gehen.

Parallel werden in vielen deutschen Städten Seilbahnideen konkret vorangetrieben: Auf dem Tisch liegen unter anderem Machbarkeitsstudien in München und Tübingen, eine Kosten-Nutzen-Rechnung und ein konkreter Trassenplan in Duisburg sowie ein Grundsatzbeschluss des Rates und eine technische Machbarkeitsstudie in Herne.

Herausforderung Trassenwahl

Die größte Herausfoderung bei der Realisierung der Projekte dürfte die Trassenwahl sein. Solange die Seilbahnen nicht über Wohngebiete fahren, sei in der Gesellschaft in der Regel eine sehr hohe Akzeptanz gegeben, berichtet Wagner. Doch sobald privater Grund ins Spiel komme, werde es schwierig. „Das werden die Anwohner*innen nicht mitmachen“, prognostiziert er.

Die Finanzierung indess sollte nicht das größte Problem sein. Denn der Bund hat ÖPNV-integrierte Seilbahnen in das Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (GVFG) aufgenommen. Damit übernimmt der Bund bis zu 75 Prozent der Kosten für die Errichtung einer urbanen Seilbahn. Bisher sei zwar noch kein einziger Förderantrag eingegangen, wohl aber Interessensbekundungen aus Bonn, Herne und Duisburg, berichtet BMDV-Sprecher Alexandrin.

Und was ist mit den Kosten des laufenden Betriebs? „Mit ÖPNV-integrierten Seilbahnen wird man kein Geld verdienen können“, sagt Wagner, „aber wenn wir die Mobilitätswende ernsthaft umsetzen wollen, müssen wir anerkennen, dass wir in den ÖPNV Geld stecken müssen. Ohne guten ÖPNV wird es keine Verkehrswende geben.“

Katharina Garus

Leitfaden

Ende 2022 hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) den Leitfaden „Urbane Seilbahnen im öffentlichen Nahverkehr“  veröffentlicht. Er soll Kommunen und kommunale Verkehrsunternehmen bei der Realisierung von ÖPNV-integrierten Seilbahnen unterstützen – von der Projektidee über die Planung und den Bau bis zum Betrieb. Denn Seilbahnen seien „platzsparend,  sie sind kostengünstig, sie sind klimafreundlich und sie begeistern Menschen“, wie Verkehrsminister Volker Wissing im begleitenden Video sagt.

fairkehr 5/2023