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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 3/2015

Immer mehr Riesenpötte auf hoher See

Der weltweite Handel per Schiff nimmt zu, aber die umweltfreundlichen Transporte auf dem Wasser sind noch in weiter Ferne.

Foto: 50Centimos/photocase.deDie internationale Handelsschifffahrt transportiert die meisten Waren in Containern.

Im Morgengrauen des 13. Januar 2015 klickten am Elbestrand von Blankenese zahlreiche Kameras: Das damals größte Containerschiff der Welt lief auf seiner Jungfernfahrt in Hamburg ein. Nur aus weiter Entfernung gelang es den Fotografen, die „CSCL Globe“ ganz aufs Bild bekommen. Der Koloss ist fast 400 Meter lang, 60 Meter breit und bietet Platz für 19000 Stahlkisten – Platz genug, um T-Shirts für jeden zehnten Erdbewohner zu transporieren. Auf der Grundfläche könnten vier Fußballspiele parallel stattfinden, der Tiefgang entspricht einem fünfstöckigen Haus: Vollbeladen wäre das Schiff im Elbesand stecken geblieben. Doch weil ein erheblicher Teil der Fracht vorher in Rotterdam gelöscht wurde, ragte in Hamburg ein breiter oranger Streifen unter der grünen Bordwand aus dem Wasser.

Bei künftigen Besuchen wird das nicht mehr nötig sein: Der rot-grüne Hamburger Koalitionsvertrag sieht eine erneute Elbvertiefung vor. Durchgesetzt haben sich damit Reedereivertreter wie Niels Harnack von der China Shipping Agency, der der Riesenpott gehört. Solche Megafrachter sparen im Vergleich zu halb so großen Schiffen pro Container 20 Prozent Sprit, argumentiert Harnack – und das sei schließlich gut für das Weltklima.

Zwar kann der Gigant 25 Knoten schnell fahren – das entspricht 46 Stundenkilometern. Doch großes Tempo ist auf den Weltmeeren gegenwärtig nicht angesagt: Weil zu viel Frachtraum im Angebot ist, sind die Einnahmen der Reeder stark gesunken und sie sparen, wo sie können. Am einfachsten ist das durch eine Drosselung der Geschwindigkeit zu erreichen. Auch wenn der Ölpreis gegenwärtig sehr niedrig liegt und auf Schiffstreibstoff keine Steuern erhoben werden, ist er mit Abstand der größte Kostenfaktor beim internationalen Schiffsverkehr. 300 Tonnen Schweröl am Tag braucht ein Großfrachter bei voller Fahrt, etwa die Hälfte im Langsamfahrmodus. So schippert seit der Finanz- und Wirtschaftskrise vor sieben Jahren ein Großteil der Containerflotte mit 26 bis 31 Stundenkilometern über die Weltmeere, Tanker und Massengutfrachter sind noch langsamer unterwegs. Die Personalkosten sind dagegen fast zu vernachlässigen: Gerade einmal 23 Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt auf der CSCL Globe.

Grenzwerte senken

So gut wie überall benutzen internationale Transportschiffe den schmutzigsten Treibstoff, den es gibt: Schweröl. Die zähe, stinkende Masse ist der Abfall, der nach der Benzin- und Dieselherstellung übrig bleibt. Würde er nicht als Schiffsbenzin oder zum Asphaltieren von Straßen eingesetzt, müsste er teuer als Sondermüll entsorgt werden.

Ein zentrales Problem stellt dessen Schwefelgehalt dar. Bis zum Jahr 2020 ist auf den Weltmeeren ein Anteil von 3,5 Prozent zulässig, dann soll der Grenzwert auf 0,5 Prozent gesenkt werden. Auch das ist allerdings alles andere als sauber: Der Grenzwert liegt dann immer noch 500 Mal über dem, was im Straßenverkehr erlaubt ist. Wirksame Abgastechniken gibt es für stark schwefelhaltigen Sprit bisher nicht – und weil die Schadstoffteilchen bis zu 500 Kilometer weit fliegen und sich das Gros des Schiffsverkehrs im Abstand von maximal 90 Kilometern vor einer Küste abspielt, belasten die Emissionen die Gesundheit vieler Menschen. Die kalifornische Luftreinhaltungsbehörde geht davon aus, dass nicht nur zahlreiche Atemwegserkrankungen darauf zurückzuführen sind, sondern jährlich auch 3700 Embryos niemals das Licht der Welt erblicken. Hinzu kommen schädliche Stickoxide und Feinstaub. Von den 400000 Menschen, die aufgrund von Luftbelastungen einen vorzeitigen Tod erleiden, gehen etwa 60000 auf das Konto des Schiffsverkehrs.

Foto: Christian OeserEinfahrt in den Hafen, direkt am Ostseestrand entlang.

„Allerdings gibt es inzwischen ein starkes Interesse in der Branche, hier etwas zu tun“, sagt Heiko Balsmeyer, Koordinator beim VCD für das Projekt LIFE+ Clean Air (siehe Kasten Seite 17). Die Reeder wollten verhindern, dass ihr Geschäft in der Öffentlichkeit immer stärker mit Dreck und Umweltbelastungen verbunden wird. Deshalb seien die Schiffsbetreiber auch bereit, mit Umweltschützern, Werftvertretern und Politikern über Verbesserungsmöglichkeiten zu diskutieren. Seit einem halben Jahr organisiert der Naturschutzbund Deutschland runde Tische zum Thema Luftreinhaltung und Schiffsverkehr. „Wir werden als Gesprächspartner ernst genommen“, betont NABU-Fachmann Sönke Diesener. Auch die Grünen sind in Hamburg mit dem Anspruch in die Landesregierung eingetreten, den riesigen Innenstadthafen umweltfreundlicher zu gestalten. So sollen möglichst viele Schiffe während der Liegezeiten mit Landstrom versorgt und die Hafengebühren je nach Emissionen gestaffelt werden; in einigen skandinavischen Häfen gibt es so etwas schon.

Außerdem hat die für den Verkehr in internationalen Gewässern zuständige UN-Organisation IMO Anfang 2015 stren­gere Schwefelgrenzwerte für Nord- und Ostsee und im Ärmelkanal eingeführt. Nun müssen die Kapitäne ein paar Stunden vor Einfahrt in die Gebiete auf den saubereren Schiffsdiesel umstellen – eine längere Prozedur, weil das Schweröl nur bei 60 bis 80 Grad flüssig ist, der Diesel aber eine niedrigere Maschinentemperatur benötigt. Die Alternative ist eine Nachreinigung durch einen sogenannten Scrubber. Dieser wäscht einen Teil des Schwefels aus den Abgasen und leitet ihn in vielen Fällen ins Wasser ab, was dann das Meerwasser erheblich verdreckt, wie das Umweltbundesamt kritisiert.

Flüssiggas wäre sauberer

Immerhin hat die Verklappung von Öl in die Nord- und Ostsee deutlich abgenommen, seit sogenannte Schnüffelflugzeuge unterwegs sind. „Und weil inzwischen nicht nur Müll- und Öltagebücher geführt werden müssen, sondern die Route jedes Schiffs digital erfasst wird, lassen sich illegale Verschmutzungen durch Schiffe genau nachvollziehen“, sagt Christof Schwaner vom Verband Deutscher Reeder. Stellen Hafenverwaltungen Ungereimtheiten bei den Daten fest, können sie Bußgelder verhängen und Schiffe notfalls sogar am Auslaufen hindern.

Wesentlich sauberer als die Reinigung von Schweröl an Bord durch Scrubber wäre die Nutzung von Flüssiggas – abgekürzt LNG. Das enthält so gut wie keinen Schwefel, wenig Stickoxid und Feinstaub und belastet auch das Klima in geringerem Maße. Allerdings gibt es bisher nur wenige Tankstellen, und weil der Treibstoff teurer ist, wollen die Reedereien das Gas nur in den Regionen mit
den strengeren Grenzwerten einsetzen. „Trotzdem: In Nord- und Ostsee wird die Entwicklung in Richtung LNG gehen“, ist Petri Valanto von der Schiffsbauversuchsanstalt in Hamburg überzeugt. Ansonsten aber ist der Finne pessimistisch, was ökologische Entwicklungen der Frachtflotte angeht. Weil der globale Wettbewerb sehr hart ist, können Verbesserungen gegenwärtig fast nur durch Absprachen auf Ebene der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) erreicht werden. Da treten aber viele Regierungen auf die Bremse oder haben, wie Deutschland, dort wenig Einfluss, weil die Reeder viele ihrer Schiffe in weniger kritische Staaten ausgeflaggt haben. Hinzu kommt, dass ein Schiff durchschnittlich 30 Jahre lang genutzt wird und sich Innovationen schon deshalb nur langsam durchsetzen können.

Doch es mangelt auch an Geld für Grundlagenforschung. Die Schiffsbauversuchsanstalt in Hamburg muss sich seit etwa 15 Jahren fast ausschließlich über Drittmittel finanzieren. Die Fragen geben die Reedereien vor: Welcher Schiffsanstrich, welcher Bugwulst und welche Rumpfform sparen Sprit? Alternative Antriebe durch Wind- oder Wellenenergie sind dagegen heute kaum ein Thema, bedauert Valanto.

Foto: Christian OeserViele Schiffspassagen von Fähren und Frachtern laufen entlang der Küsten – die Rußwolken wehen aufs Land.

So haben es innovative Unternehmen schwer. Die Hamburger Firma Skysails hat Zugdrachen für große Frachtschiffe entwickelt: Die Vorrichtung sammelt den Wind in 100 bis 420 Meter Höhe ein und reduziert die benötigte Spritmenge bei einer Atlantik- oder Pazifiküberquerung um zehn bis 20 Prozent. „Die Technologie ist fertig, erprobt und sie funktioniert“, sagt Geschäftsführer Stephan Wrage. Auch der Personalaufwand auf den Schiffen sei nach einigen Anfangsschwierigkeiten inzwischen zu vernachlässigen. Trotzdem sind gegenwärtig nur drei Schiffe damit unterwegs: Die Reedereien scheuen die Anfangsinvestition von ein bis 2,5 Millionen Euro, die sich bei den gegenwärtigen Rahmenbedingungen erst innerhalb von fünf bis acht Jahren amortisiert. Dennoch ist Wrage optimistisch: Sobald der Ölpreis wieder steigt, erwartet er Rückenwind.

Auch der Windanlagenbauer Enercon, der ein Spezialschiff hat entwickeln lassen, um die Mühlen zu ihren Einsatzorten zu transportieren, sah sich mit erheblichen Anfangsschwierigkeiten konfrontiert. Doch inzwischen ist das mit windgetriebenen Generatoren ausgestattete „E-Ship 1“ wieder im Einsatz und produziert im Vergleich zu konventionellen Antrieben 50 Prozent weniger Klimagase. Heinz Otto, ein glühender Verfechter alternativer Schiffsantriebe, sammelt auf der Internetseite windschiffe.de vielversprechende Beispiele (s. Kasten).

Klimafaktor Schiff

Dass der Schiffsverkehr immer stärker dazu beiträgt, das Treibhaus Erde anzuheizen, wurde in den vergangenen Jahren kaum thematisiert: Schließlich ist die Klimabilanz, gemessen an der transportierten Warenmenge eines Schiffes, viermal so günstig wie die eines Lkw. Doch über 85 Prozent der internationalen Warentransporte werden heute auf dem Wasserweg abgewickelt. Die IMO schätzt, dass die Weltflotte jährlich über eine Milliarde Tonnen CO2 in die Luft bläst – mehr als der Flugverkehr. Und die Kurve zeigt steil nach oben: Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl der Tonnenkilometer laut OECD noch einmal mehr als vervierfachen. Zwar sollen immer größere Frachter, eine bessere Logistik und einige technische Verbesserungen dafür sorgen, dass der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen durch Schiffe „nur“ um den Faktor 3,9 wächst. Doch unübersehbar steigt die ­Bedeutung der Seeschifffahrt für die Klimabilanz. Obwohl der Weltklimarat IPCC immer wieder darauf hingewiesen hat, war auf den internationalen Konferenzen davon bisher nur wenig die Rede, auch, weil die Emissionen bisher keinem Land zugeordnet sind. Das könnte sich im Herbst endlich ändern, wenn in Paris die nächste Vertragsstaatenkonferenz stattfindet.

Stephan Rammler, Professor für Transportation Design & Social Sciences in Braunschweig, plädiert dafür, den Blick zu weiten: Solange beim Transport die einzigen Kriterien „immer mehr, immer weiter und immer billiger“ sind, werde sich nichts ändern. Ideen und Prototypen für den umweltfreundlichen Transport übers Wasser gäbe es: Frachter mit digital gesteuerten Segeln oder mit Kaminsäulen, in denen vom Wind angetriebene Rotoren kreisten, seien nur zwei Beispiele, eine Kombination aus Brennstoffzelle, Wasser-, Wind und Solarenergieantrieb ein anderes. Allerdings müsse man sich davon verabschieden, Einheitslösungen für die ganze Welt zu suchen und die natürlichen Gegebenheiten zu ignorieren. Es gelte, das „Gesamtsystem Schiffstransport“ neu zu erfinden, so Rammler. Eine zentrale Frage wird bei alledem fast nie gestellt: Machen ständig wachsende Transporte überhaupt Sinn?

Annette Jensen

fairkehr 5/2023