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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

VCD aktiv 4/2017

Interview: „Sonne und Wind können den Energiehunger der E-Mobilität stillen“

VCD-Vorständin Kerstin Haarmann spricht im Interview darüber, wie der VCD Klimaschutz im Verkehr kommuniziert und wie man der Elektromobilität zum Erfolg verhelfen kann.

Kerstin Haarmann, Schatzmeisterin des VCD, ist im Vorstand neben den Finanzen auch für Klimaschutz zuständig. Die ehemalige Geschäftsführerin des Bundesverbandes Windenergie ist Expertin für erneuerbare Energien und für Elektromobilität. Bei ihren Aufgaben kommen der 50-Jährigen ihr BWL- und Jurastudium zugute.
Die Mobilstation am Bahnhof Altenbeken: Hier startet Kerstin Haarmann viele Reisen und kann E-Autos und E-Räder ausleihen.

Frau Haarmann, Sie waren von 2009 bis 2011 Geschäftsführerin des VCD. Seit Ende 2016 sind Sie im Bundesvorstand. Was hat sich im VCD in der Zwischenzeit verändert?
Kerstin Haarmann: Es gibt mittlerweile ein Bewusstsein dafür, dass der VCD sich in den Strukturen, in den Methoden und in der Themenfokussierung ändern muss. Das Umfeld hat sich geändert. Immer mehr NGOs und Thinktanks, wie beispielsweise die Agora Verkehrswende,  entdecken Verkehr als Thema. Daher muss der VCD seine Nische finden und seine Anliegen anders verpacken.

Wie wollen Sie die Anliegen neu verpacken?
Indem wir sie anders kommunizieren. Der VCD hat sich für die kommenden Jahre den Schwerpunkt „Lebenswerte Städte“ gesetzt. Da passen Forderungen wie die schadstofffreie Mobilität und der Vorrang des Umweltverbundes vor dem Auto genau rein. Saubere Luft ist unabdingbar für die Gesundheit, und zum Vorrang für Bus, Bahn, Rad- und Fußverkehr gehört auch, dass es weniger Parkraum für Autos in den Städten gibt. Diesen Platz wollen wir den Menschen zurückgeben.

Wie kann der VCD seine Forderungen zur Bundestagswahl 2017 so kommunizieren, dass diese auch gehört werden?
Wir müssen positive Botschaften senden. Die Politik und viele Menschen interessieren sich für die Automobilindustrie. Dazu müssen wir uns positionieren. Wir müssen klarmachen: Wenn wir uns für den Abschied vom Verbrennungsmotor, für die Förderung von Elektroautos und für strengere CO2- und Abgasgrenzwerte einsetzen, sind wir diejenigen, die sich für eine saubere und überlebensfähige Automobilindustrie starkmachen.

Welche verkehrspolitischen Ziele wollen Sie mit dem VCD erreichen?
Die vollständige Dekarbonisierung des Verkehrs – also null CO2-Ausstoß – liegt mir besonders am Herzen. Ich bin im Vorstand unter anderem für den Klimaschutz zuständig. Wir müssen Schadstoffe aus der Luft in Städten und Wohngebieten raushalten, den Verkehr also „entgiften“. Die Verkehrsmittel des Umweltverbundes – Zufußgehen, Rad, Bus und Bahn, aber auch Seilbahnen – müssen finanziell stärker gefördert werden und mehr Platz in den Städten und Gemeinden bekommen.

Die Bundesregierung setzt die Dekarbonisierung des Verkehrs mit Elektroautos gleich. Sind die 4 000 Euro Kaufprämie geeignet, um dieses Ziel zu erreichen?
Keinesfalls. Die Kaufprämie ist gut gemeint, aber schlecht gemacht. Die Autohersteller sollen zur Prämie 50 Prozent beitragen. Das hat dazu geführt, dass einige Produzenten einfach die Preise ihrer Autos erhöht haben – und zwar im Umfang ihres Anteils an der Kaufprämie.

Was brauchen wir stattdessen, um mehr E-Autos auf die Straße zu bekommen?
Eine gute Ladeinfrastruktur. Dafür reicht in vielen Fällen aus, wenn man E-Auto oder E-Fahrrad im Wohngebiet und am Arbeitsplatz aufladen kann. Die meisten Fahrten im Alltag sind kurz. Zudem sollten wir uns ein Beispiel an Ländern nehmen, in denen viel mehr Elektroautos verkauft werden. In China gibt es eine Quotenregelung. Die Hersteller müssen den Anteil der Elektroautos, die sie verkaufen, stetig erhöhen. Die EU versucht es bislang, indem sie die CO2-Grenzwerte für Autos regelmäßig verschärft. Die Standards sind mit konventionellen Autos immer schwerer zu erreichen. Mit Elektroautos ist das einfacher. Der Ansatz funktioniert natürlich nur, wenn die EU dafür sorgt, dass die Pkw die Grenzwerte einhalten.

Würden in 25 Jahren viele Millionen Elektroautos auf unseren Straßen fahren, stiege der Stromverbrauch stark. Ist es realistisch, den Bedarf mit grünem Strom zu decken?
Das ist es. Zurzeit liegt der gesamte Stromverbrauch bundesweit bei 600 Terawattstunden. Wenn man vom Energiebedarf des heutigen Verkehrs ausgeht, brauchen wir etwa 150 Terawattstunden zusätzlich. Man kann den Strom aus Solarenergie und aus Windkraft gewinnen. Und zwar dezentral, da, wo der Strom gebraucht wird.

Wie geht das?
Würde man auf der Hälfte des deutschen Autobahnnetzes – das Netz ist 13 000 Kilometer lang – im Abstand von einem Kilometer Windkraftanlagen errichten, könnte man etwa 75 Terawattstunden Strom gewinnen. Technisch ist das möglich und nicht gefährlich. Die andere Hälfte könnte man mit dem Ausbau von Solardächern decken. Das Potenzial liegt in Deutschland bei 161 Terawattstunden. Der Strom würde dezentral dort erzeugt, wo er gebraucht wird.

Der VCD-Schwerpunkt für 2017 ist „Lebenswerte Städte“. Wie stellen Sie sich die Mobilität in Städten im Jahr 2050 vor?
In den Städten haben Fahrrad, Bus und Bahn Vorfahrt, es gibt einen durchgehenden Takt und autonome Fahrzeuge ergänzen den öffentlichen Verkehr. In den Innenstädten dürfen nur noch Lieferfahrzeuge und die Fahrzeuge mobilitätseingeschränkter Menschen parken. Im Lieferverkehr schreiben die Städte Lizenzen für bestimmte Stadtgebiete und Zeiträume aus. Dadurch ist pro Gebiet nur noch ein Lieferdienst unterwegs. Es fahren weniger halbvolle Lieferwagen herum und parken Radstreifen zu.

Interview: Benjamin Kühne

Die Gesichter des VCD

fairkehr gibt dem VCD ein Gesicht: Auch 2017 sprechen wir in jeder Ausgabe mit einem Mitglied des VCD-Bundesvorstandes. Vier Frauen und drei Männer engagieren sich dort derzeit ehrenamtlich für umweltfreundliche Mobilität. Sie gestalten die Ausrichtung des VCD und repräsentieren diesen durch Lobbyarbeit gegenüber der Politik.

fairkehr 5/2023