Politik 1/2008

Stadtverkehr

Von der Umwelt- zur Qualitätszone

Ohne Plakette keine freie Fahrt in Hannover – die
Umweltzone sollte laut VCD aber nur der Auftakt für
weitere Maßnahmen sein.

 

Foto: Sebastian Hoff
Wer ohne gültige Plakette mit dem Fahrzeug in eine Umweltzone fährt, begeht eine Ordnungswidrigkeit und muss bei Kontrollen mit Strafen rechnen.

Jedes Jahr im März und April beginnen in Hannover die weltgrößten Fachmessen, die Computerschau CeBIT und die Industriemesse HMI. Zigtausende Besucher fahren auch dieses Jahr mit dem Auto zu den Restaurants und Hotels in der Stadt. Viele von ihnen werden eine Ordnungswidrigkeit begehen – ohne es zu wissen: Seit dem 2. Januar gilt in Hannover die Umweltzone. Innerhalb eines großen Rings, der um das Zentrum verläuft, dürfen nur noch Autos mit einer Plakette hinter der Windschutzscheibe fahren. Aber wer hat davon schon in Kiel, Freiburg, Oberhausen oder Dresden gehört? Selbst im Umland von Hannover ist die Umweltzone kaum bekannt. Doch Unwissenheit schützt nicht vor Strafe: Wer ohne Plakette angetroffen wird, dem drohen 40 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg.

Die Einführung der Umweltzone ist eine Konsequenz aus der EU-Feinstaub-Richtlinie, die im Jahr 2000 erlassen wurde, um den Ausstoß krebserregender Feinstaubpartikel in Abgasen einzudämmen: Wenn in einer Stadt zwei Jahre hintereinander an 35 Tagen zulässige Grenzwerte überschritten werden, muss die Kommune einen Luftreinhalteplan vorlegen. Welche Maßnahmen ergriffen werden, entscheiden die Städte selbst. Hannovers Verwaltung befürchtete, dass Anlieger ihren Rechtsanspruch einklagen und vor Gericht sogar Straßensperren durchsetzen könnten. Da ab 2010 zudem weitere Grenzwerte für Stickoxide eingehalten werden müssen, beschloss die rot-grüne Mehrheit im Rat der Stadt, die Umweltzonen zum Jahresanfang einzuführen.

Zeitgleich wurden in Berlin und Köln Umweltzonen eingerichtet, 17 weitere Städte, vor allem im süddeutschen Raum, darunter München und Stuttgart, wollen in den kommenden Monaten folgen. In Köln besteht ein besonderes Problem: Mitten durch die Umweltzone fließt der Rhein, der in diesem Bereich täglich von bis zu 300 Schiffen befahren wird. Die meisten davon werden mit Dieselkraftstoff betrieben und belasten die Luft zusätzlich mit Feinstaub. Darauf hat die Stadt allerdings keinen Einfluss, weil der Rhein ein internationales Gewässer ist.

Kein Diesel ohne Filter

In Hannover kostet die Plakette ab fünf Euro. Auf den Aufkleber wird das Kennzeichen geschrieben. Die Plakette gilt bundesweit. Ihre Farbe richtet sich nach der Schlüsselnummer im Fahrzeugschein. Ausgegeben werden die Plaketten unter anderen von der Stadt, dem TÜV und Werkstätten. Mit einer roten Plakette darf die Umweltzone bis Ende 2008, mit einer gelben bis Ende 2009 befahren werden. Für Fahrzeuge mit grünen Plaketten gelten keine zeitlichen Beschränkungen.

Dieselfahrzeuge ohne Partikelfilter und Benziner mit ungeregelten Katalysatoren müssen die Umweltzone meiden, es sei denn, der Fahrzeughalter erhält gegen Gebühr eine Sondergenehmigung. Die gibt es beispielsweise dann, wenn Privatautos in der Umweltzone jährlich maximal 500, gewerblich genutzte Fahrzeuge höchstens 2000 Kilometer zurücklegen. Rund 1800 Sondergenehmigungen hat die Stadt bereits erteilt, also für knapp jedes achte Fahrzeug, das keine Plakette bekommt.

Insgesamt sind in Hannover etwa 220000 Fahrzeuge gemeldet. Nach einer Schätzung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) tragen mittlerweile rund 75 Prozent aller Pkw auf den Straßen in Hannovers Umweltzone eine Plakette, die meisten davon eine grüne. „Berlin und Köln liegen mit etwa 85 Prozent allerdings deutlich darüber“, sagt Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse bei der DUH.

Rosenkranz kritisiert, dass die Stadt inzwischen eine Schonfrist eingeräumt hat und Verstöße gegen die Umweltzone erst ab Mai verfolgen will: „Das ist ein völlig falsches Signal. Wir wollen, dass die Umweltzone von Anfang an ernst genommen wird.“ Die DUH hat deshalb ein Fahrzeug ohne Plakette beim hannoverschen Ordnungsamt gemeldet und wartet nun die Reaktion ab. „Wenn die Verwaltung nichts unternimmt, erwägen wir juristische Schritte gegen die Stadt“, sagt Rosenkranz. Gegner der Umweltzone bezweifeln deren Nutzen generell und berufen sich auf eine Studie der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus. Danach wird durch Umweltzonen die Feinstaubbelastung nur um wenige Prozent reduziert. Dieter Apel, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des VCD, hält deshalb auch die sekundären Effekte der Umweltzone für viel entscheidender: Viele Fahrzeuge würden nun nachgerüstet, neue, umweltfreundlichere angeschafft. In der Öffentlichkeit wachse außerdem ein neues Umweltbewusstsein. „Diesen Schwung muss man nutzen“, fordert Apel.

Gemeinsam mit der Bürgerinitiative Umweltschutz (BIU) hat der VCD eine Broschüre herausgegeben, in der weitere Maßnahmen beschrieben werden. So sollten Lkw zunehmend aus der Stadt verbannt, zusätzliche Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeführt und der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden. Aus der Umweltzone solle eine „Qualitätszone“ werden, in der „die Menschen nicht nur vor Luftschadstoffen, sondern auch vor Verkehrslärm, Unfällen und Barrieren durch Autoverkehr geschützt werden“, heißt es in einer Kurzfassung der Broschüre.

Diese Forderungen decken sich weitgehend mit den Vorstellungen der Grünen und der SPD in Hannover. Manfred Müller, der umweltpolitische Sprecher der SPD, weist darauf hin, dass die Einführung der Umweltzone nur ein Punkt unter vielen des Luftreinhalte-Aktionsplanes sei: „Wir haben auch ein Verbot für den Lkw-Durchgangsverkehr erlassen.“ Die Stadt fördere zudem den Ausbau von Radwegen, schaffe schadstoffarme Fahrzeuge an und richte immer mehr Tempo-30-Zonen ein: „Die machen schon etwa 80 Prozent des Stadtgebietes aus.“ Derzeit arbeite die Verwaltung an Vorschlägen für ein umfassendes CO2-Reduzierungsprogramm. Eine Vision sei zum Beispiel die Einführung eines City-Logistik-Systems: So könnte der öffentliche Nahverkehr nicht nur Personen, sondern auch Waren transportieren.

Über die Anlieferung von Waren innerhalb der Umweltzone muss sich die Politik allerdings schon sehr bald Gedanken machen, mahnt Rosenkranz. Die Deutsche Umwelthilfe hat in Berlin auch Lkw kontrolliert und festgestellt, dass nur zwölf Prozent aller Fahrzeuge eine grüne Plakette tragen. „Da muss dringend etwas geschehen, sonst bricht hier in wenigen Jahren die Versorgung zusammen.“

Sebastian Hoff

   
 

Die Broschüre „Verkehrsplanung schafft Stadtqualität. Vom Luftreinhalte-Aktionsplan zu einem Konzept für umwelt- und stadtverträglichen Verkehr in Hannover" kann kostenlos bezogen werden über: VCD Kreisverband, Hausmannstraße 9–10, 30159 Hannover, hannover@vcd.org

Mit welchem Transporter darf ich in die Umweltzone einfahren? Kann ich mein Fahrzeug nachrüsten? Wo kann ich Kosten sparen? All diese Fragen beantwortet der VCD im Internet: www.besser-autokaufen. de. Die Broschüre gibt es als Download oder beim VCD-Versandservice, Heinrich-Sommer-Straße 13, 59939 Olsberg, Tel.: (02962) 845865, oder im VCD-Online-Shop: www.vcd.org/shop. Versandkostenpauschale: 2,55 Euro.

Welche Plakette Ihr Fahrzeug bekommt, erfahren Sie unter: www.vcd.org/umweltzone

   
 

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