Reise 3/2007

Kurze Pause

Allein in der Eifel

Mal raus aus allem Stress, abschalten, die Reizüberflutung stoppen – davon träumen viele. Die meisten gehen dann in ein Wellnesshotel, einige ins Kloster, ich ging durch die Eifel.

 

 
Fotos: Michael Adler  

Kennen Sie diesen Geschmack auch aus der Kindheit? Süß und sauer, diese klassische Paprikasoße, die über Zigeunerschnitzel gekippt wird. Dazu gibts Fritten und gemischten Salat, was sonst? Nach sechs Stunden Wanderung durch menschenleeren Wald befinde ich mich in einem Paralleluniversum mit dem gemütlichen Namen Mürlenbach. Hier fahren die großen Jungs noch mit echten Opel-Mantas die Hauptstraße rauf und runter, wahrscheinlich ist sogar der Fuchsschwanz an der Antenne echt. Der Eifeler Hof ist das erste Haus am Platz, es ist auch das einzige. Und wenn man die Arroganz des Städters erstmal abgelegt hat, kommt man mit den Menschen ins Gespräch.

Die Wirtin hat schon in Düsseldorf in einem Bürojob gearbeitet. Sie hat sich gegen eine weitere Karriere entschieden. „Zu hohl, die Düsseldorfer Wichtigwelt“, sagt sie. Die Dorfpolitiker sitzen am Nachbartisch und verständigen sich gerade über ihre Pensionstermine. Man raucht Zigarre und trinkt Bitburger, was sonst?

Die örtlichen Bauunternehmer veranstalten Treibjagden für ihre Geschäftspartner, erzählt mir ein Mann am Tresen. „Da ist kürzlich noch ein Treiber erschossen worden.“ Entlang der A1 würden immer wieder Leichen im Wald verscharrt. „Es ist ja auch so einsam, dass die Chancen gut stehen, dass sie nie gefunden werden“, sagt er.

Nach einigen Bitburgern schlafe ich gut in meiner bescheidenen Kammer. Am nächsten Tag achte ich auf Leichen am Wegesrand und horche nach schießwütigen Jägern. 20 Kilometer Tagesetappe nach Kyllburg lassen mir Zeit, die Monotonie des Gehens zu genießen. Links, rechts, links, rechts … immer weiter. Der Rhythmus passt heute. Ich freue mich nach jeder Kurve über die Strecke, die noch vor mir liegt. Von Müdigkeit keine Spur. Es bleibt Zeit, an der Kyll zu sitzen und den Mückentanz im Sonnenlicht zu beobachten. Hin und wieder springt eine Forelle.

In Kyllburg logiere ich in der Villa Rütt, über der Stadt auf dem Stiftsberg. Alte Gemäuer, eine höchst erstaunliche Kirche mit Kreuzgang, ein geschmackvoll möbliertes Zimmer. Ännchen, die Wirtin, trägt ihr Herz auf der Zunge. Sie war lange Jahre Ober-Mön im Kyllburger Karneval. Sie erzählt von der schwierigen Zeit, als sie vom Rheingau nach Kyllburg kam, der Liebe wegen. Ihr Mann war eigentlich schon einer anderen versprochen. „So war das damals noch“, sagt sie, „die Familie war gar nicht gut auf mich zu sprechen.“ Zum Abendessen gibts Schnitzel mit Salzkartoffeln und Blumenkohl. Zum Trinken Bitburger, was sonst?

Nach einem kurzen Stück mit dem Zug führt der Weg am dritten Tag von Spichern, über Kordel zur Ruine Ramstein. Schwarzes Dreieck, links, rechts, links, rechts … Der Kopf wird leer. Da fliegt ein Eisvogel durchs Bild. Ein bunt schillernder Federball im Grau-Braun eines schmalen Bachlaufs. Es ist, wenn ich mich recht entsinne, erst der dritte Eisvogel, den ich in Freiheit sehe. Es ist heiß Ende April. An vielen Stellen hat der Sturm Kyrill Mikado mit den Fichten gespielt. Die ätherischen Öle der Nadeln duften wie im Süden. In den Nachrichten war in diesen Tagen immer wieder von der Waldbrandgefahr infolge der Sturmschäden in Verbindung mit der Trockenheit die Rede. Ich verstehe jetzt erst, was die Meldung meinte.

Auch an diesem dritten Wandertag begegnen mir keine zweibeinigen Wesen im Wald. Der Weg bleibt menschenleer. So ist man ganz bei sich. Wo auch sonst? Der Stress ist weit weg, das Handy aus, die Reize beschränken sich auf den Weg, die Bäume, den Fluss und hin und wieder ein flüchtiges Reh im Wald oder eine Blindschleiche am Wegesrand. Ich könnte immer so weitergehen.

Am Abend lande ich im Landhaus Weis. Es ist Freitag. Freitag und Samstag ist Schnitzeltag. 15 verschiedene Schnitzelsorten von sechs bis 7 Euro 50, mit Pommes und Salat, versteht sich. Ich nehme Zigeunerschnitzel mit dieser klassichen Paprikasoße. Ich kenne diesen Geschmack aus der Kindheit.

Michael Adler

   
 

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