Titel 1/2007

Emissionshandel

Über den Wolken…

... ist die Freiheit immer noch grenzenlos. Fluggesellschaften zahlen keine Kerosinsteuer und keine Mehrwertsteuer im internationalen Verkehr. Im Kyoto-Protokoll kommt Verkehr nur am Rande vor. Das Ergebnis: Die Europäer fliegen massenhaft zum Taxipreis. 2006 doppelt soviel wie noch 1990. EU-Umweltkommissar Stavros Dimas will dies ändern, indem er den Flugverkehr in den Europäischen Emissionshandel integriert.

 
  Foto: Marcus gloger

Alle sind inzwischen irgendwie für den Klimaschutz. Aber bitte nicht, wenn’s um die eigene Mobilität geht. Hier klaffen Sein und Bewusstsein besonders weit auseinander. Für immer mehr Europäer ist Urlaub und Flugreise gleichbedeutend. Die Porzellanfirma Rosenthal verschenkte vor Weihnachten New-York-Flüge ab einem Mindestumsatz von 349 Euro. Aldi verkauft Billigurlaube nach Mallorca und Mauritius zum Schnäppchenpreis. Den Vogel abgeschossen hat allerdings die Bundesregierung in einer bundesweiten Anzeigenkampagne für Europa. Im ersten Textabsatz stellt Berlin die Vorteile für Verbraucher heraus: „Sie können billiger telefonieren und in den Urlaub fliegen.“ Wenige Zeilen weiter steht: „Gemeinsam stärken wir in Ihrem Interesse den Klimaschutz.“ Ja, merkt denn keiner, dass das eine etwas mit dem anderen zu tun hat?

Doch, es gibt einen: Den EU-Umweltkommissar Stavros Dimas. Der Grieche hat kurz vor Weihnachten nicht nur eine härtere Gangart gegenüber der Automobilindustrie angekündigt, er hat auch die Treibhausgasemissionen im Flugverkehr ins Visier genommen.

Die Initiative der Europäischen Kommission versucht, eine Lücke zu schließen, die das vielzitierte Kyoto-Protokoll gelassen hat. Im Unterschied zu energieintensiven Kraftwerken oder Stahlhütten blieb der Verkehr aus dem Emissionshandel ausgeklammert. Mit Folgen: Die Treibhausgase aus Autoauspuffen haben EU-weit seit 1990 um 26 Prozent zugenommen, die aus Flugzeugtriebwerken um fast 100 Prozent. Zwar stammen derzeit nur drei Prozent weltweiten der CO2-Emissionen aus Flugzeugturbinen. Das ist allerdings nur scheinbar eine zu vernachlässigende Größe. Andere klimawirksame Abgase kommen nämlich hinzu und der ganze Treibhauscocktail wird der Atmosphäre in knapp 10000 Metern Höhe verabreicht. Alle Klimaexperten rechnen daher inzwischen mit einem Faktor zwei bis vier, mit dem man den CO2-Effekt des Flugverkehrs multiplizieren muss, um seine wahre Klimaschädlichkeit abzubilden.

Ein fliegendes Kraftwerk

„In seiner Treibhauswirkung bewegt sich der Flugverkehr weltweit schon heute in einer ähnlichen Kategorie wie der Autoverkehr“, sagt Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer von atmosfair, einem Unternehmen, das sich die Neutralisierung der flugbedingten Klimawirkung zur Aufgabe gemacht hat.

Höchste Zeit also in das ungebremste Wachstum am Himmel einzugreifen. EU-Kommissar Dimas will die Klimabelastungen begrenzen, indem er den Flugverkehr in das bestehende EU-Emissionshandelssystem integriert. Und hier scheiden sich die Geister. Für die einen ist der Handel mit Verschmutzungsrechten, wie es das Kyoto-Protokoll vorsieht, die erkaufte Lizenz zum ruinösen Weiter-wie-bisher, und damit moderner Ablasshandel. Für die Anhänger des Kyoto-Protokolls ist es schlicht der einzige bisher rechtlich abgesicherte Schlüssel zur Rettung der Erde vor dem Klimakollaps.

 
  Foto: Fraport
  Europäisches Handeln würde wirken:
Die Hälfte der weltweiten Flubewegungen beginnen oder enden auf einem europäischen Flughafen.

„Sie müssen sich das vorstellen wie ein Kraftwerk, das fliegt“, versucht Brockhagen das Prinzip zu erklären. Jedes Flugzeug wird wie ein Kraftwerk oder ein Stahlwerk betrachtet. Für diese energieintensiven Industrien läuft der Emissionshandel bereits. In „Nationalen Allokationsplänen“ machen die EU-Länder Vorschläge, wie viele Tonnen CO2 ihre Industrien weiter in die Luft pusten müssen. Die EU wacht in der Gesamtschau, dass das Kyoto-Reduktionsziel der Gemeinschaft erreicht werden kann. Brüssel nimmt diese Wächterrolle ernst, wie der aktuelle Streit mit Deutschland zeigt. Im Prinzip funktioniert Emissionshandel marktwirtschaftlich: CO2 hat einen Preis. Wer mehr davon produziert, muss zahlen. „Entscheidend ist, dass jetzt erstmals auch beim Flugverkehr ein Deckel draufgesetzt wird“, sagt Brockhagen.

Der Entwurf des Umweltkommissars sieht vor, dass der Kohlendioxidausstoß aller Flugzeuge im Jahr 2005 als Basis genommen wird. Ab 2011 werden alle innereuropäischen Flüge erfasst, ab 2012 alle Flüge, die in Europa starten und landen. Ab 2011 gibt die EU Zertifikate für den CO2-Ausstoß weitgehend kostenlos an die Fluggesellschaften ab. Experten rechnen mit einem Auktionsanteil von nur fünf bis zehn Prozent, der tatsächlich bezahlt werden müsste. Vielen Umweltverbänden ist das zu lasch. Auch Michael Cramer, Europaabgeordnerter der Grünen, ist unzufrieden: „Man hätte 1990 als Basisjahr nehmen müssen, das ist ja auch für alle anderen Kyoto-Bestimmungen der Ausgangspunkt. Und man hätte sofort mit dem Handel beginnen können.“

Wissenschaftler, die schon lange bei den weltweiten Klimaverhandlungen mitarbeiten, haben Gelassenheit gelernt: „Wenn der Flugverkehr so weiterwächst wie bisher, liegt sein CO2-Ausstoß 2011 schon 25 Prozent über dem von 2005“, rechnet Falk Heinen vom Umweltbundesamt vor, „die Fluggesellschaften müssten also in 2011 schon rund 25 Prozent einsparen oder eben Zertifikate zukaufen, die anderswo eingespart wurden.“ Damit sei für Hektik bei den Fluggesellschaften schon gesorgt.

Martin Cames, Klimaexperte beim Öko-Institut, ist sich mit Heinen einig: „Wichtig ist doch, dass überhaupt etwas passiert.“ Das weitere Streiten für eine EU-weite Kerosinsteuer, die nie kommt, war er jedenfalls leid. Die Internationale Luftverkehrsorganisation ICAO habe bisher erfolgreich alle Initiativen blockiert.

Der Verdacht liegt nahe, dass der Dimas’sche Entwurf wegen massiver Lobbyisten-Attacken relativ schwach ausfiel. „Bei uns hätten Sie eine Drehtür einbauen können“, beschreibt die Sprecherin des Umweltkommissars deren Penetranz. „Das ist wohl der Grund dafür, dass die dreifach höhere Treibhauswirkung der Flugzeugemissionen nicht auch dreifach bezahlt werden muss“, beklagt Martin Cames den Einfluss der ICAO.

Falk Heinen vom UBA kritisiert außerdem den geringen Anteil der „auktionierten Zertifikate“, von lediglich fünf bis zehn Proeznt. „Der Vorentwurf schrieb hier wenigstens für die Zeit nach 2015 Auktionsanteile von bis zu 40 Prozent fest“, beschreibt Heinen die Erfolge der Luftverkehrslobbyisten.

Auch wenn die Experten unisono den CO2-Handel im Prinzip begrüßen, prognostizieren sie geringe Effekte, was die reale Zahl der Flüge angeht. Die geschätzte Preissteigerung liegt bei drei bis sechs Euro pro innereuropäischem Flugticket. „Mit den jetzt diskutierten Maßnahmen“, blickt Brockhagen voraus, „wird die erneute Verdoppelung des Flugverkehrs vielleicht von 2020 auf 2021 vertagt, mehr nicht.“

„In der Logik von Kyoto ist das allerdings egal“, erklärt Heinen vom UBA, „entscheidend ist, dass die Treibhausgase dann eben in einer anderen Branche oder in einem anderen Land eingespart werden.“ Künftig läge es dann wieder an der Politik, verschärfend einzugreifen.

Wenn es nach dem VCD ginge, würde das allerdings sofort passieren. „Wir brauchen jetzt eine klimaentlastende Wirkung, nicht in 20 Jahren“, sagt der Bundesvorsitzende Michael Gehrmann. Der VCD fordert daher zusätzlich eine Kerosinsteuer und eine Ticketabgabe. Die Ticketabgabe nach britischem Vorbild hätte den Charme, dass sie sofort eingeführt werden könnte. „Da muss nicht lange ein europäischer Konsens gesucht werden, jedes Land kann dies für sich selbst beschließen“, sagt Gehrmann. Der grüne EU-Parlamentarier Michael Cramer glaubt an die Kerosinsteuer: „Es geht um die gerechte Behandlung der Verkehrsträger untereinander“, sagt er. Die Befreiung des Flugverkehrs von der Mineralölsteuer sei nichts anderes als eine Subvention. „EU-weit würde eine Kerosinsteuer rund 14 Milliarden Euro pro Jahr bringen“, rechnet Cramer vor, „damit könnten wir schnelle Bahnverbindungen schaffen und den Flugverkehr damit weiter reduzieren.“

In Brüssel ist auch Verkehrskommissar Barrot offen für gerechteren Wettbewerb. Allerdings müsste eine solche Initiative auch von den Nationalstaaten getragen werden. Und hier sind Zweifel angebracht. Mag sein, dass sich dann ein ähnlich unwürdiges Schauspiel, wie es derzeit in Deutschland aufgeführt wird, woanders darböte. Die EU-Ratspräsidentin Angela Merkel betont in Sonntagsreden gerne die Priorität des Klimaschutzes, um dann mit Hilfe ihres nationalen Wirtschaftsministers ihrem europäischen Umwelt-Kommissar für seine klimapolitische Initiative mit Klage zu drohen. Ein solch offensichtlicher Kniefall vor Lobbyinteressen stellt die Glaubwürdigkeitsfrage an die Politik. Die Antwort fällt derzeit für Brüssel deutlich positiver aus als für Berlin – zumindest was Stavros Dimas anbelangt.

Michael Adler

   
 

Wie funktioniert das EU-Emissionshandel-
system? Das Beispiel Flugverkehr

Angenommen im Basisjahr 2005 lag der Gesamtausstoß an CO2 aus Flugzeugen bei 100 Millionen Tonnen. Voraussichtlich 90 bis 95 Millionen Tonnen werden 2011an die Fluggesellschaften, die Verschmutzungsrechte beantragt haben, kostenlos ausgegeben. Die Flugemissionen würden, die derzeitigen Steigerungsraten zugrunde gelegt, im Jahr 2011 bei rund 125 Millionen Tonnen liegen. 30 bis 35 Millionen Tonnen müssten die Airlines also zukaufen. Dies könnte entweder bei anderen Unternehmen geschehen, die CO2 gespart haben und Zertifikate übrig haben, oder das CO2 würde über Projekte im Rahmen des sogenannten „Clean development mechanism“ irgendwo in der Welt eingespart. Je nach Knappheit wird die Tonne zwischen zehn und 20 Euro kosten. Experten gehen von einer Verteuerung eines innereuropäischen Fluges von drei bis sechs Euro aus. Dies wird die Nachfrage nach Flügen kaum verringern.

Wer die Treibhauswirkung des Fliegens schon jetzt zu 100 Prozent kompensieren will, kann dies freiwillig tun: Bei www.atmosfair.de kostet ein Flug nach Mallorca allerdings 15 Euro mehr. Am klimaschonendsten ist es, überhaupt nicht zu fliegen!

   
 

zurück zum Inhalt