Titel 5/2006

Waren weltweit

Güter der Globalisierung

Das T-Shirt kommt aus China, die Jeans aus der Türkei, die Schulhefte stammen aus Frankreich, die Äpfel aus Neuseeland und der Blumenstrauß kommt aus Kolumbien. Der Inhalt unserer Einkaufstaschen ist weit gereist. Die Transportwege des Welthandels sind lang, perfekt vernetzt – und alles andere als nachhaltig.

 
  Foto: www.marcusgloger.com

Der Traum, Raum- und Zeitwiderstände überwinden zu können und aus fernen Ländern die Waren heranzuschaffen, ist so alt wie die Menschheit und war lange Zeit nur einer kleinen, privilegierten Gruppe vorbehalten. Schon damals geschah das nicht zum wirtschaftlichen Nutzen aller, wenn man den Sklavenhandel oder die Plünderung Lateinamerikas als Beispiel nimmt. Andererseits ist nicht zuletzt die Einführung von Seide, Porzellan oder der Kartoffel in Europa Ausdruck eines frühen globalen Handels.

Heute ist die ständige Verfügbarkeit aller Gebrauchs- und Luxusgüter in den Industriestaaten Standard. Obst und Gemüse kommen selbstverständlich aus der ganzen Welt. Auf einem durchschnittlichen Wochenmarkt gibt es gleichzeitig Tomaten aus Holland, Frankreich, Spanien, den Kanarischen Inseln oder aus Bayern. Wer achtet schon darauf, wo die Jeans eines amerikanischen Herstellers tatsächlich genäht wurde? Und die Rosen auf dem Küchentisch, die nach acht Tagen in den Müll wandern, können gut und gerne 10000 Kilometer unterwegs gewesen sein. In der globalisierten Welt steuert der Markt den Warenfluss – und der Güterverkehr ist ein Faktum, auf das die Politik nur noch reagiert – mit dem Bau neuer Flughäfen oder neuer Straßen zum Beispiel.

Es ist die Vision der EU, ganz Europa mit einem Autobahnnetz zu überziehen, um die Zentren miteinander zu verbinden und die massiven Zuwächse des Güterverkehrs auf der Straße zu bewältigen. Eine von vielen Ursachen für die dramatischen Zuwächse von fast 100 Prozent in den letzten 20 Jahren ist die Just-in-Time-Produktion und die Verminderung der Fertigungstiefe. Dieser Prozess begann in der Automobilindustrie und hat sich seit den 80er Jahren, begünstigt durch eine unterstützende Raumordnungs- und Preispolitik, in allen Produktionsbereichen durchgesetzt. Durch die Auslagerung einzelner Komponenten auf kleinere Produktionsbetriebe, die punktgenau anliefern müssen – oft in strukturschwachen Regionen –, sparen die Firmen Lagerhaltungs- und Lohnkosten. Nicht nur das Auto hat bei seiner ersten Fahrt – bezogen auf seine Einzelteile – schon mehr Kilometer angesammelt, als es jemals auf dem Tacho haben wird. Auch der Fruchtjoghurt kommt auf seinem Weg zum Kühlregal, rechnet man den Transport aller Komponenten vom Inhalt bis zum Deckel zusammen, auf insgesamt 8000 Kilometer.

Zurzeit werden etwa vier Milliarden Tonnen Güter pro Jahr in Deutschland durchs Land gefahren, statistisch gesehen pro BundesbürgerIn und Tag sind das etwa 150 Kilo Gütermenge, 87 Kilometer weit.

Vernetzter Warenverkehr

Durch zunehmenden Preisverfall bei Ferntransporten wird sich diese Produktionsweise weiter in die Billiglohnländer verlagern, mit dem Resultat enormer Zuwächse im Transit- und Luftfrachtverkehr. Wer kennt nicht das Beispiel der vielzitierten Krabben, die, an der Nordseeküste gefangen, anfänglich zum Pulen nach Polen und inzwischen aus Kostengründen nach Marokko gekarrt werden.

Trotz aller Ausbaupläne scheint es aber angesichts der prognostizierten Verkehrs-zuwächse bei gleichzeitig steigendem Investitionsbedarf für den Straßenerhalt nur eine Frage der Zeit, wann dieses System immobil wird. Just-in-Time führt sich selbst ad absurdum, wenn die Lastwagen nur noch im Stau stehen. Die zunehmende Verflechtung des Welthandels, des immer stärker vernetzten Kapital- und Warenverkehrs vollzieht sich vorwiegend innerhalb und zwischen den Industriestaaten. Dazu gesellen sich einige Gewinner in der Weltarbeitsteilung, die von einer immer aggressiveren Ressourcenzerstörung begleitet ist.

Verlierer der Globalisierung gibt es sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern. 15 Ländern, darunter, China, Malaysia und Korea, prognostiziert man ein immenses Wirtschaftswachstum und Einkommensverbesserungen für einen Teil der 1,5 Milliarden Menschen in diesen Staaten. Demgegenüber stehen allerdings über 100 Länder mit ungefähr 1,6 Mrd. Menschen, vor allem in Afrika, für die sich die Wirtschaftslage dramatisch verschlechtert hat. Zu einem Drittel rutschen diese Länder unter das Niveau von 1970.

Die Durchsetzung des freien unbegrenzten Warenverkehrs führt also nicht zwangsläufig zu einer Angleichung des Lebensstandards auf hohem Niveau, sondern eher zu einer Polarisierung zwischen Arm und Reich sowie zu einer Entsolidarisierung zwischen den ArbeitnehmerInnen im Kampf um immer niedrigere Löhne. Man braucht gar nicht erst bis Vietnam zu gehen, wo in der Textilindustrie für Centbeträge gearbeitet wird, auch in Europa bewegten sich bis vor kurzem die Löhne unter Berufskraftfahrern von Hochlohn- zu Niedrigstlohnländern zum Teil noch im Verhältnis 1:30.

Weltweite Konkurrenz

Der zunehmende Flugverkehr verschärft die Konkurrenzsituation dramatisch. Er ist die Fortführung der Diversifikation der Produktion mit anderen Mitteln – angeheizt durch Preisdumping auf dem Transport-, Produktions- und Dienstleistungssektor. Allein die weiterhin fehlende Kerosinsteuer zeigt, dass auf diesem falschen Weg mutig vorangeschritten wird. So tanken die Flieger weiterhin den Treibstoff für etwa 0,48 Eurocent pro Liter.

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Zwischen den Fluggesellschaften tobt ein oft staatlich subventionierter, aggressiver Verdrängungswettbewerb um Marktanteile. Transportiert wird alles, was der Markt hergibt: tonnenweise Lebensmittel, Luxusgüter, Computertechnik, Textilien, Blumen, Millionen von Küken, Meeres- und Versuchstiere. Das Ganze wird von einer Logistik begleitet, von der die Bahn noch weit entfernt ist. Zentrale Großrechner, elektronische Datenverarbeitung, Container- und Kühltechnik machen eine punktgenaue globale Just-in-Time-Produktion mit ausgetüftelten Transportketten möglich, die für Außenstehende schon lange nicht mehr durchschaubar sind. Der Rhein-Main-Flughafen zum Beispiel dient als Drehscheibe für die Versorgung der weltweit verstreuten Außenstellen von VW, BMW und Opel mit Einzelteilen.

   
 

Forderungen des VCD

  1. Vermeidung unsinniger Transporte
  2. Verlagerung von Transporten auf Schiene und Schiff
  3. Verbesserung der Schieneninfrastruktur und der Zugangsmöglichkeiten für Transporteure
  4. Vereinfachungen für den grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr
  5. Weiterentwicklung der Lkw-Maut auf Lkw ab 3,5 t und auf alle Straßen, ihre Erhöhung auf 45 Cent/km und die Berücksichtigung der externen Kosten
  6. Entwicklung eines integrierten Seehafenkonzepts mit umwelt- und sozialverträglicher Hinterlandanbindung
  7. Berücksichtigung ökologischer und sozialer Aspekte bei der Entwicklung des Masterplan Güterverkehr
  8. Einführung einer Kennzeichnungspflicht über die Energiebilanz bei Verbrauchsgütern
 

Der Preiskrieg wirkt sich in doppelter Hinsicht verkehrserzeugend aus. Durch massive Dumpingpreise der Flughäfen wird die Ware oft hunderte Kilometer mit Lastwagen zum Zielflughafen gefahren, von wo aus sie dann in umgekehrter Richtung weitergeflogen wird. Mehrere 100000 Tonnen Ladung werden so vom Markt abgesaugt und umgeleitet. Zu den verkehrserzeugenden Verkehren am Boden kommen unausgelastete Flüge, die den Luftraum verstopfen und Geld und Treibstoff verpulvern.

Werden keine Maßnahmen zur Steuerung der Entwicklung ergriffen, so wird sich laut dem im Auftrag des Umweltbundesamtes entwickelten „business-as-usual“-Szenario der Straßengüterverkehr bis 2030 gegenüber dem Ausgangswert von 1990 mehr als verdoppeln und der Flugverkehr insgesamt sogar verfünffachen. Was das an volkswirtschaftlichen Kosten hinsichtlich Lärm- und Abgasemissionen, Flächenversiegelung und Straßenreparaturen verursacht, lässt sich bereits erahnen.

Das Rad zurückdrehen in die Zeit der gar nicht so heilen Welt der Postkutsche will niemand. Es geht darum, den Verkehr wieder auf den ursprünglichen Zweck – zielgerichtet mobil zu sein – zu reduzieren. Das gilt für Menschen und Güter gleichermaßen und setzt einen Wertewandel in der Gesellschaft voraus. Um dorthin zu gelangen, brauchen wir ein neues Bewusstsein von Lebensqualität, in dem andere Prioritäten gesetzt werden, als die allem vorangestellte Notwendigkeit, Güter aller Art um die Welt zu fahren oder zu fliegen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir als Verbraucher die Nachfrage steuern, die dieses irrsinnige Aufkommen verursacht, besonders im Bereich der Verbrauchsgüter und Nahrungsmittel.

Obst zu jeder Jahreszeit

Das gilt zum Beispiel für den inzwischen selbstverständlich gewordenen Konsum von Obst und Gemüse – unabhängig von Ursprungsort und Jahreszeit. Schmecken die Kiwis aus Neuseeland wirklich noch so gut, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Transport eines Kilos fünf Kilogramm Luftschadstoffe verursacht? Bleiben uns die winterlichen Erdbeeren nicht im Halse stecken, wenn wir wissen, dass sie pro Kilogramm einen Liter Kerosin benötigen, bis sie aus ihren Ursprungsländern USA, Mexiko, Kolumbien oder Israel in der heimischen Kompottschale gelandet sind?

„Ein nachhaltiges Verkehrssystem befriedigt die Bedürfnisse nach sozialen Kontakten und Kommunikation und ermöglicht den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, ohne die Gesundheit der Menschen zu gefährden oder das Ökosystem zu bedrohen.“ So formuliert es die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Rahmen ihres Projektes „Environmentally Sustainable Transport“ (EST). Der Verbrauch erneuerbarer Ressourcen dürfe nicht höher sein als deren Regenerierungsrate, die nicht erneuerbaren Ressourcen dürften nicht schneller verbraucht werden, als erneuerbare Quellen zur Substitution neu erschlossen werden können.

Das Bundesverkehrsministerium will nun bis Ende 2007 einen Masterplan Güterverkehr und Logistik auflegen. Der erste Entwurf lässt allerdings jede Hoffnung fahren, dass es zu dem dringend notwendigen Umsteuern in der Verkehrspolitik kommt. Allem voran wird das hinlänglich bekannte Lied aus „Stärkung des Produktions- und Logistikstandorts“ zur Verbesserung von „Wachstum und Beschäftigung“ angestimmt, die sozialen und ökologischen Folgen wie gehabt ausgeblendet oder nur am Rande formelhaft erwähnt. Dabei ist es höchste Eisenbahn, dass die scheinbar unverwüstliche Philosophie durchbrochen wird, Entwicklungen dieser Art nur zu bedienen statt sie zu steuern und die Begehrlichkeiten der Wirtschaft und der Bauindustrie nach Großprojekten zu befriedigen. Der VCD sieht es als seine Aufgabe an, die Verkehrspolitik daran zu messen, inwieweit sie ihrer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe einer umwelt- und sozialverträglichen Mobilität nachkommt und zukunftsweisende, nachhaltige Ziele formuliert und umsetzt.

Gila Altmann

Die Autorin ist Mitglied im Bundesvorstand des VCD und war von 1994 bis 1998 verkehrspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag und von 1998 bis 2002 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium

 

Entwicklung des Güterverkehrs 1970 bis 2005

Wachstumsmarkt Güterverkehr

Seit 1970 hat sich das Transportaufkommen – die Menge der transportierten Güter in Tonnen – des Straßengüterverkehrs auf das Eineinhalbfache erhöht, die Transportleistung – das Produkt aus der Menge transportierter Güter und der Entfernung, gemessen in Tonnenkilometern – hat sich sogar verfünffacht. Das zeigt: Güter werden häufiger und über immer größere Entfernungen auf der Straße transportiert. Dies spiegelt auch der Modal Split wider.


Infografiken: VCD , Quellen: DIW, Berlin; ifo, München; Statistisches Bundesamt, Wiesbaden; Prognos/ProgTrans, Basel und Berechnungen des
 

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