Reise 5/2006

Interview

Gönnen wir ihnen das Vergnügen

 
Foto: Uta linnert  
Markenzeichen für Südtirol: Hans Kammmerlander, sechstes Kind einer Bergbauernfamilie, erklomm bereits in seiner Jugend die heimischen Gipfel. Dann zog es ihn in die Welt hinaus. Schritt für Schritt eroberte er fast alle Achttausender dieser Erde. Legendär sind seine Skiabfahrten vom Gipfel des Mount Everest.
Hans Kammerlander gehört zu den erfolgreichsten Extrembergsteigern der Welt.
 

fairkehr: Herr Kammerlander, können Sie vom Wandern leben?

Kammerlander: Mein großer Wunsch war es immer, mein Hobby zum Beruf zu machen, und das ist mir gelungen, als ich zwanzig Jahre alt war: Ich wurde Bergführer und Skilehrer. Ich hatte das Glück, in der Alpinschule von Reinhold Messner arbeiten zu dürfen, und die war das ganze Jahr über ausgebucht.

fairkehr: Trägt heute die Marke Kammerlander?

Kammerlander: 15 Jahre lang war ich bei Messner und habe mit ihm die höchsten Gipfel des Himalaya bestiegen. Dann hat er mir und noch zwei Freunden die Alpinschule überlassen. Die habe ich jetzt weitergegeben und wieder mehr Zeit zum Klettern und für ganz besondere Führungen.

fairkehr: Welche Führungen sind das?

Kammerlander: Ich biete neben den Wanderreisen jedes Jahr drei bis vier Marathon-Wanderungen an. Das sind 24-Stunden-Touren, so weit die Füße tragen. Wir brechen um sechs Uhr abends nach einem leichten Abendessen auf und wandern weiter bis um sechs am nächsten Abend, mit einigen schönen Stopps auf den Hütten, wo das Essen schon auf uns wartet und wir zu trinken bekommen. Und wenn wir dann abends am Ziel müde und glücklich ankommen, machen wir ein schönes Fest.

fairkehr: Müssen die Teilnehmer klettern können?

Kammerlander: Nein, jeder kann mitgehen, das sind reine Wanderungen. Wir nehmen einige Bergführer mit, und wem es zwischendurch zu viel wird, den bringt der Guide ins Tal. Beim Fest am Abend sind dann alle wieder dabei.

fairkehr: Müssen viele aufgeben?

Kammerlander: Nein, gar nicht. In dieser Saison biete ich eine Wanderung über 36 Stunden an, denn es waren doch so sportliche Leute dabei, die wollten noch einige Stunden weitergehen: Ok, Freunde!

fairkehr: In den Dolomiten gibt es in allen Wänden Klettersteige, an denen Ahnungslose den Nervenkitzel suchen. Was sagen Sie zum „Spielplatz Alpen“?

Kammerlander: Ich finde, die Klettersteige, die heute schon da sind, das geht schon in Ordnung. Eine steile Wand ohne Eisen, Leitern oder Stahlseile kommt ein Durchschnittsmensch nicht hoch, das geht nicht. Und nicht jeder hat das Geld, einen Bergführer zu bezahlen.

fairkehr: Kann denn wirklich jeder solche Steige hochklettern?

Kammerlander: Erfahrung und Kondition braucht man schon. Die sollte man sich bei schönen, schweren Wanderungen antrainieren. Aber wer schwindelfrei ist und das gerne einmal erleben möchte, der kann zusammen mit einem Freund eine steile Wand hochgehen und sich dort selbst sichern. Ich habe in diesen Steigen so viele glückliche Gesichter gesehen, dass ich mir sage: Gönnen wir ihnen das Vergnügen.

fairkehr: Also weiter mit der Erschließung der Steilwände?

Kammerlander: Nein, nein, es sind genug da. Ich bin total dagegen, dass man alle bekannten Gipfel mit einem Stahlseil zugänglich macht. Das wäre ein Horror. Das wäre wie die Erschließung mit einer Seilbahn.

fairkehr: Einer Ihrer vielbesuchten Diavorträge heißt „Am seidenen Faden“. Neulich ist im Himalaya Ihr Freund in Ihrer Seilschaft tödlich abgestürzt. Können Sie jetzt noch diese Vorträge über das Spiel mit dem Tod machen?

Kammerlander: Wenn ich die Bilder mit diesem schönen Berg sehe, den wir versucht haben, hinaufzugehen, dann muss ich auch die Anschlussgeschichte erzählen, das ist schon schwer. Ich sehe auch die letzten Bilder von ihm vor mir. Ich werde sicher den Vortrag etwas ändern müssen. Auf der anderen Seite kann ich sehr hart gegenüber mir selbst sein.

fairkehr: Sie werden also mit dem Klettern nicht aufhören oder Ihr Verhalten ändern?

Kammerlander: Nein, überhaupt nicht. Jeder geht freiwillig auf solche Touren, niemand wird gezwungen.

fairkehr: Ihr großes Ziel?

Kammerlander: Ich möchte so lange auf Berge steigen können, wie es geht. Und wenn ich mit 80 noch auf meinen Hausberg, den Moosberg, gehen kann, auf dem ich als Achtjähriger zum ersten Mal war, und dann schön langsam, so, wie ich hinaufgestiegen bin, auf der anderen Seite wieder hinuntergehe, bin ich glücklich.

Interview: Uta Linnert

 

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