Reise 6/2005

Hundeschlittentour

Schlittenhunde machen Tempo

Nicht nur in Skandinavien, wo es im Winter genug Schnee und weite Ebenen gibt, bieten Wintersportorte Hundeschlittentouren für ihre Gäste an. Das Mitfahren ist schnell gelernt und ein Vergnügen für einen Nachmittag oder eine mehrtägige Reise.

Foto: Karsten-Thilo Raab

Ruhe geben sie erst, als die Fahrt endlich los geht. Zu sechst eingespannt vor den Schlitten können sie nicht warten, ohne aufgeregt zu bellen. Sie tun es ausnahmslos alle, fast ein bisschen aggressiv, auf jeden Fall laut. Mit nach oben gereckter Schnauze und weit aus dem Maul heraushängender Zunge springen sie auf der Stelle und werfen sich in die Leinen. Schlittenhunde wollen laufen.

Es sind weiße und weiß-grau gescheckte Mischlinge, Verwandte der Huskys, die sich Johan Müller aus Spitzbergen mitgebracht hat. Seit zwei Jahren bietet der 30-jährige Norweger mit dem deutsch klingenden Namen von Anfang Dezember bis Ende April Schlittenhundetouren an. „Es kommen hauptsächlich Familien mit Kindern, immer öfter aber auch Skifahrer, die einmal einen Nachmittag lang etwas Neues kennen lernen möchten“, beschreibt Müller seine Kundschaft. Die Vermittlung übernimmt das Touristenbüro von Hemsedal, Norwegens bedeutendstem Skigebiet.

Nach kurzer Einweisung mitten im kläffenden Hunderudel ist die Tour losgegangen. Jeweils zwei Personen können auf einem Schlitten mitfahren. Hinten steht der Schlittenführer, der sogenannte Musher, und hält sich an dem hochgezogenen Handgriff fest. Vorn auf der textilbespannten Ladefläche kann dicht über den Kufen noch ein Mitfahrer Platz nehmen. „Gewichtsverlagerung auf den Kufen beeinflusst die Kurvenfahrt, alles andere machen die Hunde selbst“, hatte Müller seinen Gästen mit auf den Weg gegeben, denn wirklich lenken mittels Leinen oder Zügel lässt sich das Gespann nicht. Auch kennen die Hunde keine verschiedenen Gangarten. Sie preschen los, immer volle Geschwindigkeit.

Seltsam instabil wirkt der aus dünnem Holz gebaute, mit wenig Metall zusammengehaltene Schlitten. Diese Flexibilität scheint das leichte Gefährt zu brauchen, denn die schnittige Fahrt geht zunächst durch unebenes Gelände. Die enge Spur durch das hügelige Waldstück ist stark ausgefahren, Sträucher stehen im Weg, Wurzeln ragen aus dem Schnee und Frida, Malin, Sander und ihre vierbeinigen Kollegen scheinen sich einen Spaß daraus zu machen, bergauf und bergab möglichst eng an Felsbrocken und Baumstämmen vorbeizujagen. Die Besatzung, vor allem die Beifahrer, sind zunächst damit beschäftigt, sich auf dem Schlitten zu halten und vor heranfliegenden Ästen in Deckung zu gehen.

Rasante Fahrt

Vorne im Tross fährt Johan Müller. Er ist ein echter Musher und sieht auch so aus: Seine dichten braunen Haare hat er zum Zopf zusammengebunden, er trägt eine lange dunkle Jacke mit Pelzkragen, die geschnürte Lederhose steckt in hohen Stiefeln. Die Hunde hören auf sein Kommando. Er kann sie durch bestimmte Rufe anfeuern, anhalten lassen, oder zum Richtungswechsel bewegen. Die Gespanne mit den in bunte Skijacken und -hosen gekleideten Passagieren tun einfach das, was Johan Müllers Hunde auch tun, und rasen hinterher.
Zum Anhalten gibt es neben den Ruf-Kommandos auch eine Bremse. Der Schlittenlenker tritt dabei auf ein gezacktes Blech, das sich mehr oder weniger stark in den Schnee krallt. Je nach Gewichtsbelastung kann er damit auch das Tempo insgesamt regulieren. Wenn nichts mehr hilft oder der Schlitten stehen bleiben soll, kann der Musher den Anker werfen. Dieses scharfkantige Metallteil ist über eine Leine mit dem Schlitten verbunden und zieht sich unter Zugbelastung fest in den Untergrund, wodurch es das Gespann am Fortkommen hindert.
Anker werfen ist auch das Kommando für die Pause am See. Johan Müller gönnt seinen Hunden eine Verschnaufpause und zeigt seinen Gästen die frische Spur eines Luchses, der gerade erst den verschneiten Weg gekreuzt haben muss. Das Waldstück ist geschafft und die neue Aussicht über die verschneite Fjelllandschaft endlos weit und unverstellt. Das weiche Weiß durchzieht nur der Trail der Hundeschlitten, deren Weg ab hier über den zugefrorenen See führt. Das Eis liegt unter einer dicken Schneeschicht versteckt.

Weniger Gewicht ist besser

Bevor es weitergeht, wechselt Müller einige Hunde gegeneinander aus und setzt sie an neue Positionen. Der letzte Schlitten mit den schwereren Passagieren braucht Verstärkung. „Die Zusammensetzung der Schlittengespanne ist eine heikle Angelegenheit“, sagt Müller, „nicht jeder Hund kann an jeder Position laufen. Nur wenn sich die Hunde untereinander gut vertragen, geben sie ein ideales Gespann ab.“ Johan Müller kennt seine Tiere sehr gut. Vorneweg läuft der Leithund, der sogenannte Leader. Er gibt das Tempo vor und muss die Anforderungen des Musher genau umsetzen. Für diese Aufgabe sind nur wenige, intelligente Hunde geeignet. Aber auch auf den anderen Positionen müssen die Tier nach Geschlecht, Kraft, Durchhaltevermögen und persönlichen Vorlieben eingespannt werden, damit der Schlitten gut vorankommt.

Alle Hunde sind wieder an den Leinen, die Anker gelichtet, die Fahrer auf den Schlitten, die Unruhe der Hunde unüberhörbar. Das von Müller gerufene „Go“ als Kommando zum Loslaufen ist in Anbetracht der vor ihnen liegenden Strecke eher eine Formalie. Die Hunde kennen den Weg: Es geht nach Hause. Auf der weiten weißen Fläche ist Geschwindigkeit reiner Spaß. In weitem Bogen fliegen die Schlitten dem Ruheplatz vor Müllers Hof zu. Die Hundeschlittenteams lernen aufs Neue: Wenig Gewicht macht Tempo. Die leichten Gefährte haben immer die Nase vorn und wagen sich sogar an ein Überholmanöver.

Foto: Uta linnert

Weniger schroff und steil als in den Alpen: Langläufer und Schneeschuhwanderer finden im nordischen Winter weite Hochebenen für Touren abseits präparierter Bahnen.

Am Ziel angekommen sind die temperamentvollen kleinen Zugtiere mit dem angeborenen Bewegungsdrang nicht wiederzuerkennen. „In Wirklichkeit sind meine Hunde eben faul“, beschreibt Müller das ruhige Bild. Mucksmäuschenstill haben sich alle Hunde auf der Stelle in den Schnee gelegt, den Kopf auf der Seite oder ins weiche dicke Fell des Nachbarn gekuschelt. Die Augen fest geschlossen scheinen alle unmittelbar eingeschlafen zu sein. So ruhig und entspannt möchten sie nach getaner Arbeit keine weiteren Kommandos des Musher mehr hören.

Uta Linnert

Zahlreiche Veranstalter in Deutschland bieten Hundeschlittentouren an.
Siehe: www.forum-anders-reisen.de

 

Winter in Hemseldal

Auf den Winter in Norwegen ist noch Verlass. Von November bis Ende April liegen Wälder und Berge unter einer makellosen Schneedecke. Schneekanonen kommen so gut wie keine zum Einsatz. Der Schnee in Norwegen ist lockerer und trockener als in den Alpen, wo der Schnee immer mal wieder durch hereinbrechenden Fön oder starke Sonneneinstrahlung zusammengedrückt wird.

Die Gebirgslandschaft ist anders, als man sie aus den Alpen kennt. Keine dramatischen Bergmassive türmen sich auf, keine wilden Felswände verstellen den Blick. Hier sind die Berge runde Kuppen und in der Höhe baumlos. Der Besucher wähnt sich im Mittelgebirge. Die höchsten Erhebungen im Fjell liegen um die 1500 Meter, eine Höhe, bei der die Skilifte in den Alpen gerade starten. Der Breitengrad macht den Unterschied. Dementsprechend sind die Pisten weniger lang und steil und auch für durchschnittliche Skifahrer gut zu meistern. Langläufer ziehen auf den verschneiten Buckeln des Fjells auf 1000 Metern Meereshöhe ihre einsamen Runden.

Die Norweger sind unpretentiös. Diszipliniert und gelassen zeigen sie sich beim Wintersport. Große Angeberei und Protz wie in einigen Alpendestinationen kennt man hier nicht. Auf Pisten und Loipen herrscht Alkoholverbot. Riesige Berghütten mit Stimmungsmusik und üppigem Büffet stören die Winterruhe nicht. In Hemsedal heißt es, trifft man jeden Winter Mette Marit und Prinz Haakon, die sich wie alle Besucher an einer Bude auf der Piste nach süßer Brause, Kaffee oder Waffeln anstellen. Oder sie essen wie alle andern auf den Holzbänken davor ihr Matpakke – so heißen die bei Norwegern beliebten und kostensparend beim Frühstück geschmierten Stullenpakete.

Trotzdem ist Norwegen nicht preiswert. Die Skipasspreise liegen am oberen Rand dessen, was man in den Alpen für wesentlich größere Gebiete zahlt. Das Bier – von Einheimischen beim After-Ski heftig genossen – ist sündhaft teuer. Hinzu kommt die weite Anreise. Um den in Oslo ankommenden Touristen die Anreise hinauf ins 240 Kilometer entfernte Hemsedal zu erleichtern, subventioniert die Gemeinde einen Zubringerbus (375 Norwegische Kronen, ca. 48 Euro).

Diskussionen um Klimaveränderungen oder Schneemangel scheinen in Hemsedal noch nicht angekommen zu sein. In den nächsten zehn Jahren bauen die Norweger das Dorf nach Entwürfen kanadischer Planer zur Skistation „Hemsedal Mountain Village“ aus. Damit will man den Ski-Arenen der Alpen und Nordamerikas Konkurrenz machen. Der Masterplan sieht vor, die Bettenzahl von heute 6000 schrittweise auf 11000 zu erhöhen. Die Zahl der Pistenkilometer soll von 44 auf 75 km wachsen – was in den Alpen immer noch nicht viel wäre. Während heute die wenigen Hotels, Hütten und Ferienwohnungen eher locker verstreut im Gelände liegen oder entlang der Straße der ehemaligen Bauernschaft aufgereiht sind, wird die Betreibergesellschaft mit ausdrücklicher Zustimmung des Gemeinderates ein autofreies Skidorf amerikanischen Zuschnitts als neues Herz von Hemsedal errichten.

Der Zug von Oslo zum nächstgelegenen Bahnhof Gol mit Transferbus nach Hemsedal kostet regulär 630 NOK (ca. 80 Euro)
1-Tages-Skipass im Januar 2006 320 NOK (ca. 40 Euro), 6-Tage-Skipass 1320 NOK (ca. 166 Euro). www.hemsedal.com

 

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