Titel 5/2005

Quartier Vauban

Die grüne Leichtigkeit des Seins

Rund 4400 Menschen leben auf dem ehemaligen Kasernengelände Vauban im Freiburger Süden mit wenigen Autos. Viele sind extra wegen der autoarmen Verheißung aus ganz Deutschland in die Breisgau-Metropole gezogen, viele haben kleine Kinder, die Grünen kommen hier in die Nähe von 70 Prozent. Vauban ist ein Biotop, ein Experiment, ein sympathisches modernes Dorf. fairkehr befragte die Bewohner des Viertels zu Vor- und Nachteilen des autofreien Lebensstils.

 

Fotos: Marcus Gloger
Quartier Vauban: In Eigentümergemeinschaften konnten die Bewohner die Planung stark beeinflussen.
Das Ergebnis: Die Häuser folgen einer Grundlinie und sind doch sehr individuell.

Sommerliche Hitze liegt über Vauban, der unbefestigte Marktplatz ist staubig. Die einzige Kneipe im Viertel trägt den passenden Namen „Der Süden“. Im Inneren des alten Kasernengebäudes ist es kühl. Mit Lammsteaks und Zwiebel-Salbei-Spießen lockt der „Süden“ seine Mittagskundschaft. Hannes Linck, der VCD-Mann im Vauban, erklärt uns das Verkehrskonzept: „Vauban ist nicht autofrei, sondern Stellplatzfrei“. In den Wohnstraßen darf man entsprechend nur halten, aber nicht parken. Es gibt in den hufeisenförmigen Straßenhenkeln keine Stellplätze am Straßenrand und keine Garagen oder Carports auf den Grundstücken. Wer sein eigenes Auto parken will, hat zwei Hochgaragen zur Auswahl. „Käufer von Wohnungen müssen rund 20000 Euro für so einen Garagenstellplatz zusätzlich bezahlen“, stellt er lapidar fest. Was draußen im Lande wie eine Bestrafung des Autobesitzers empfunden wird, ist laut Linck nur die gerechte Anlastung der entstehenden Kosten. In einem normalen Stadtviertel zahle eben jeder Hausbauer oder Mieter für den automatisch vorhandenen Stellplatz, ob er ihn brauche oder nicht. Hannes Linck ist mit seiner Frau und seinen zwei Kindern von Berlin nach Freiburg umgezogen. „Um in einer autofreien und ökologischen Modellstadt zu leben“, sagt er. So setzt er praktisch um, was er in der Berliner Umgebung immer nur theoretisch planen konnte.

Sabine Heinrich: „In Vauban gibt es keine Nachwuchsprobleme. Der Trend geht zum dritten und vierten Kind.”

Der Marktplatz hat sich inzwischen gefüllt mit einer Hand voll Wagen örtlicher Bauern. Große alte Linden spenden Schatten. Mechthild Marquard schiebt ihre einjährige Tochter im Fahrradsitz an den Ständen vorbei. Die gebürtige Freiburgerin hat noch nie ein Auto besessen. „Weil ich keins brauche“, sagt sie. Ein Satz, der uns noch häufig begegnen wird. Einmal hätten sie und ihr Mann für den Urlaub ein Auto geliehen. Eine eher anstrengende Erfahrung. „Man spürt dann den Druck, sich alles anschauen zu müssen, was erreichbar ist. Wir fahren einfach lieber mit der Bahn und mit dem Fahrrad“, resümmiert sie. Für Vauban hat sich die junge Familie nicht zuerst entschieden, weil es autofrei ist, sondern weil es sicher ist und es so viele Kinder gibt.

Regine Kässmann:
„Car-Sharing ist der reine Luxus. Man muss sich um nichts kümmern.”

Kinder prägen das Straßenbild in Vauban. In den kühleren Nachmittagstunden sammeln sie sich auf den Straßen mit Fahrrädern, Inlinern und Einrädern. Kleinkinderbanden ziehen um die Häuser und nutzen den Platz, der nicht von Autos zugestellt ist. Sabine Heinrich hat drei Kinder, sechs, zehn und sechszehn Jahre alt. „Hier gibt es keine Nachwuchsprobleme“, lacht sie. „Der Trend geht zum dritten oder vierten Kind.“ Warum das so ist? „Es ist alles viel einfacher, als draußen in der Autowelt. Der Supermarkt, der Bioladen, Kindergarten, Schule, alles ist im Viertel schnell mit dem Fahrrad oder zu Fuß erreichbar.“ Die Nachbarschaft sei gut, wie in einem kleinen Dorf. „Die Kinder sind auch viel selbständiger unterwegs. Mit dem Auto von einem Termin zum nächsten kutschieren, das gibt’s hier nicht“, stellt sie fest. Dabei sind auch die Heinrichs keineswegs dogmatisch. „Für den Toskana-Urlaub haben wir uns ein Auto gemietet“, sagt Sabine Heinrich, das sei zwar punktuell teuer, aber immer noch viel billiger, als das ganze Jahr eine Blechkutsche vor der Tür stehen zu haben.

Ute Linsbauer: „Es ist schöner aus dem Fenster auf Gärten zu schauen als auf hässliche Blechkarossen.“

60 Architekten irren nicht

Auch der Vorstand des Vereins „Autofrei wohnen“ kommt nicht mit verbiesterter Verzichtsmine daher. Wolfgang Heinze ist Architekt und hat schon seine Examensarbeit über die Nachteile des ruhenden Verkehrs geschrieben. „Autos nehmen einfach zu viel Platz weg“, benennt er sein Credo. Rund 25 Quadratmeter müsse man für einen Stellplatz mit allem Drumherum einplanen. Damit werde den Städten permanent wirtschaftlicher Schaden zugefügt. „Über den Kaufpreis oder die Miete holen sie die Kosten nie wieder rein“, ist er sicher. Er ist von Frankfurt nach Freiburg umgesiedelt, um in Vauban zu leben. Rund 60 Berufskollegen haben es ihm gleichgetan und leben auch in Vauban. „60 Architekten können nicht irren“, hält Heinze deshalb den Zweiflern immer entgegen. Irgendwas müsse schon an der Wohnqualität dran sein. Und diese Qualität beschreibt der Fachmann so: Der Straßenraum sei nicht monofunktional genutzt, die Menschen könnten sich den freien Raum aneignen. „Kinder tun das am hemmungslosesten. Aber auch die Erwachsenen feiern Feste auf der Straße.“

Auffallend sei auch der soziale Zusammenhalt in Vauban. Die Menschen kennen sich untereinander, sie bleiben stehen, reden miteinander. „An manchen Tagen kommt man aus dem Grüßen gar nicht mehr heraus“, sagt Heinze. Es herrsche eine große Nähe im „Ökodorf“.

Mechthild Marquardt:
„Nach Vauban zog uns die Tatsache, dass es so viele Kinder hier gibt und dass die sich auch sicher bewegen können.”

Auch sein selbstgewähltes autofreies Dasein begründet der Architekt mit seinem Idealbild der zukünftigen Stadt. „Ich lebe autofrei, weil es der Stadt der Zukunft und den Menschen darin mit weniger Autos deutlich besser geht.“

Die Parkhäuser sind zu groß

Kitty Weis hat schon viel gemacht in ihrem Leben – eine Kneipe geführt, bei der Stuttgarter Zeitung gearbeitet. Jetzt ist sie in Vauban gelandet. Sie ist eine engagierte Kämpferin für ihr Viertel. „Die Parkhäuser sind viel zu groß“, sagt sie, „die Beamten in der Stadtverwaltung konnten sich einfach nicht vorstellen, dass Menschen auch anders leben, als es in ihren Papieren geschrieben steht.“ Sie ist sauer auf die Stadt, der grüne Oberbürgermeister Salomon hat nach ihrer Sicht bei weitem nicht das gehalten, was alle sich von ihm versprochen haben. „Den Marktplatz wollen sie uns halbieren“, echauffiert sich Kitty Weis. Die Stadt wolle ein Geschäftshaus mitten reinbauen. „Und das alles, weil sie sich davon ein paar hunderttausend Euro Erlöse versprechen“, sagt sie verärgert. Vauban brauche jedoch unbedingt einen gestalteten Marktplatz, eine schöne Mitte.

Kitty Weis:
„Wegen ein paar hunderttausend Euro will uns die Stadt den Marktplatz halb zu bauen. Vauban braucht eine schöne Mitte.

Zusammen mit zwei anderen Frauen gibt Weis die Quartierszeitung „Vauban Aktuell“ heraus – eine politische Bühne für die Bewohner, aber auch der Veranstaltungskalender, in dem man sich informiert, was läuft. Außerdem macht sie Führungen in Vauban – zuletzt für eine Gruppe von Freiburger SPD-Mitgliedern. Der Ruf in der Stadt sei nicht der Beste. „Viele glauben“, sagt sie, „weil wir so super ökologisch sind, bekommen wir alles hinten und vorne reingeschoben. Und, wie so oft, schreien die am lautesten, die noch nie da waren“. Das will Kitty Weis ändern, weil sie gerne in Vauban lebt, weil es so schön ruhig und familiär sei. „Ich fühl’ mich freier, seit ich hier lebe“, stellt sie fest.

Christa Becker ist die Mitstreiterin von Kitty Weis bei „Vauban aktuell“. Die 69-Jährige betont auch die Nähe, die unter den Bewohnern herrscht. „Hier ist Nestwärme“, sagt sie nach ihrem Lebensgefühl in Vauban befragt. „Wir Ältere tun mehr für die Jüngeren als im normalen Leben. Manche Kinder aus unserer Genossenschaft sehen mich schon als Ersatzoma“, freut sich Becker. 28 Jahre hat sie in der einzigen Gesamtschule in Baden-Württemberg unterrichtet. Da sei ihr keine Diskussion, kein Konflikt fremd. Diese Schule kann sie in Vauban gut gebrauchen. Man gehe hier mit großem Respekt auf den Nachbarn ein. Konflikte würden offen ausgetragen. „Es gibt nicht dieses falsche Schweigen hier“, beschreibt sie das Zusammenleben.

Hannes Linck:
„Um in einer autofreien und ökologischen Modellstadt zu leben, sind wir von Berlin nach Freiburg gezogen.”

Autofrei lebt Christa Becker erst seit 1999. „Keine Entscheidung ist mir so leicht gefallen“, sagt sie. Sie ist überzeugtes Car-Sharing-Mitglied. Auch für kurze Touren mietet sie sich schon mal ein Auto. „Mit meiner etwas gehschwachen älteren Schwester bin ich da hinten auf den Schönberg gefahren“, sagt sie. Mit Car-sharing koste das nur ein paar Euro. „Ich weiß jetzt allerdings, was ein Auto kostet und ich kenne die Alternativen besser als vorher“, erklärt sie. Zum Konzert in die Freiburger Innenstadt beispielsweise fährt sie gerne mit dem Fahrrad, von Haustür zu Haustür. Ihre Freundinnen denken immer, sie täten ihr einen Gefallen, wenn sie sie zum Konzert mit dem Auto abholen. „Das dauert doppelt so lange und kostet viel mehr Nerven“, weiß Christa Becker inzwischen aus Erfahrung.

Neben diesen ganz praktischen Erwägungen spielt allerdings auch die Umwelt für Becker eine wichtige Rolle. „Ich lebe autofrei“, sagt sie, „weil ich einen Minibeitrag gegen den Treibhauseffekt leisten will.“

Man ist näher an den Leuten mit Bus und Bahn

Ute Linsbauer treffen wir in der Glasgarage, wo ihr Auto steht. Rund 70 Euro im Monat zahlen die Linsbauers für den Stellplatz zusätzlich zur Miete und loben dennoch das autoarme Konzept der Siedlung. „Es ist schön aus dem Fenster auf Gärten zu schauen und nicht auf hässliche Blechkarrossen“, sagt die Ethnologin. Ihr Mann ist Werbetexter und muss dreimal die Woche in Basel arbeiten. Meistens nimmt er dafür den Zug. Den Urlaub hat das kinderlose Paar gerade auf Städtetour in Böhmen und Mähren verbracht. Mit dem Nachtzug sind sie hingefahren und dann alle zwei bis drei Tage umgezogen. „Man ist näher bei den Leuten, wenn man die öffentlichen Verkehrsmittel in einem fremden Land benutzt“, nennt Ute Linsbauer einen wesentlichen Vorzug des autofreien Urlaubs. Sie hat sich von Anfang an im Arbeitskreis Verkehr in Vauban engagiert. Jetzt hat sie sich etwas frustriert zurückgezogen. „Viele boykottieren das autoarme Konzept von Vauban“, erklärt sie. Deshalb bekomme man die Vaubanallee nicht frei von Autos. Es werde wild geparkt und manche hätten ihr Auto auf den Namen ihres Onkels angemeldet nur um die Kosten zu umgehen. „Die Stadt kontrolliert so gut wie nie und wenn, dann gibt’s fünf Euro Strafe“, stellt sie fest. Da sei es für manche halt schon lukrativ die Regeln zu umgehen. Trotz dieser Einschränkungen fühlen sich die Linsbauers wohl in Vauban. „Der Baustil gefällt uns, es ist spannend in einem solchen Projektviertel zu leben und ich kenne ganz viele Leute“, zieht sie positiv Bilanz. „Und der Kinderlärm ist allemal angenehmer als das Verkehrsrauschen.“

Regine Kässmann, genannt Rex, ist eine Frau, die das Glas gerne halb voll sieht, die auch an einem trüben Novembertag noch strahlt. Sie und ihr spanischer Mann führen die Eisdiele von Vauban. Als Mitglieder im Car-Sharing können sie alle Fahrzeugrößen nutzen, die sie privat oder beruflich für den Eistransport brauchen. „Das ist der reine Luxus, wenn man sich um nichts kümmern muss“, sagt Rex. In Vauban ein Auto zu besitzen, sei dumm oder Geldverschwendung oder beides.

Wolfgang Heinze:
„Städte mit weniger Autos sind ein menschenfreundliches Zukunftsmodell.“

„Wir haben ja alles vor der Tür“, sagt sie. „Ich kaufe gern in kleinen Läden ein, das ist das Leben der kurzen Wege hier.“ Viele Autofahrer führen in billige Discounter am Stadtrand, um ein paar Cent zu sparen um sich dann heftig über die Spritpreise aufzuregen. Diese Art zu leben, ist ihr zu eng. Sie fühlt sich frei in Vauban, frei von Kleinkariertheit und Menschen, die sich an allem stören. Freilich müsse man aufpassen, dass nicht alles etwas zu kopflastig werde. „Es gibt schon so etwas wie eine Neo-Öko-Bourgeosie,“ denkt sie laut nach. „Da fehlt schon mal das Lachen.“

Den Abend lassen wir im „Süden“ ausklingen. Nach 24 Stunden im Viertel gehören wir schon fast dazu. Man kennt sich schnell in Vauban, man duzt sich und die Bewohner sind sich politisch sehr einig. Ein grünes Paralleluniversum weit ab von Verkehrslärm und Benzinpreiswut. Bei der aktuellen Bundestagswahl gewannen die Grünen 61 Prozent der Stimmen, die CDU 6 Prozent.

Michael Adler

 

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