Titel 5/2005
Leben ohne Auto
Mobil und frei
Man muss nicht in einer autofreien Siedlung wohnen, um sich
für ein Leben ohne Auto zu entscheiden. fairkehr-Redakteurin
Uta Linnert hat Menschen in unterschiedliche Lebenssituationen
gefragt, warum sie kein Auto besitzen. Interessante
Übereinstimmung: Alle Befragten empfinden es nicht als Last
aufs Rad oder auf öffentliche Verkehrsmittel
„angewiesen“ zu sein – im Gegenteil – das
Leben ohne Auto empfinden sie als Freiheit.
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Foto: www.photocase.de |
Freie Wahl der Wege: Ohne lange
Parkplatzsuche geht’s mit dem Fahrrad direkt in die
Innenstadt. |
Inzwischen über 45 Millionen Pkw in 39 Millionen
Haushalten – da wird doch fast jeder Deutsche einen haben!?
Ganz so ist es dann doch nicht: Nach den Ergebnissen der
bundesweit größten Verkehrsbefragung im Auftrag des
Bundesverkehrsministeriums „Mobil in Deutschland“
2002 (25000 Haushalte) besitzen 19 Prozent der Haushalte keinen
Pkw, Tendenz rückläufig. Im Osten sind es etwas mehr
(24%), im Westen etwas weniger (18%). Die meisten autolosen
Haushalte finden sich in Berlin (41%), Bremen (38%) und Hamburg
(33%), die wenigsten in Bayern (15%) und Baden-Württemberg
(13%).
Dabei ist diese Lebenform vielfach nicht freiwillig
gewählt, sondern ergibt sich eher aus sozialen Gründen
wie Alter, Einkommen, kein Führerschein. Ohne (eigenes) Auto
leben besonders viele Haushalte von Alleinstehenden (41%),
alleinstehenden Rentnern (62%), Studierenden (53%), in niedrig
bewerteten Wohnlagen (29%) und in Großstädten ab 500000
Einwohnern (36%).
Kein Pkw im Haushalt sagt dabei nicht unbedingt etwas
darüber aus, inwieweit ein Auto genutzt wird: So gaben von
den befragten alleinstehenden Rentnern 40% und von den
Studierenden nur 16% an, gar nicht über einen Pkw
verfügen zu können. Während im Bundesdurchschnitt
13% sagten, allenfalls ausnahmsweise einen Pkw zu nutzen, sind
dies in Berlin 26%, in Bremen und Hamburg 23%. Entsprechend ist
der Anteil derjenigen Menschen, die monatlich oder seltener ein
Auto nutzen, in Berlin und Bremen doppelt so hoch wie im
Bundesdurchschnitt (30% gegenüber 15%).
Und dennoch gibt es sie – jene Erwerbstätige, zum
Teil gar in Familien mit Kindern, die in Hamburg Barmbek,
Münster-Weißenburg oder anderswo ganz bewusst ohne
eigenes Auto leben und dies als Entscheidung zugunsten von mehr
Lebensqualität und Wohlstand in anderen Bereichen verstehen.
Insgesamt machen sie aber nur einen geringen Anteil aus,
zählen doch gerade Erwerbstätige und Familien zu den
Gruppen, die am meisten über ein Auto verfügen und
nutzen. Ohne eigenen Pkw leben demnach nur 3% der Haushalte mit
Schulkindern und 2% derjenigen mit Kleinkindern.
Jürgen Eichel
Stadtmenschen
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Foto: Uta Linnert |
Angelika und Jacob Steinwede
arbeiten als Sozialforscher am Institut für
angewandte Sozialwissenschaft (infas) in Bonn. Aus
eigenen Studien wissen sie, dass auf vielen kurzen
Wegen eine Fahrt mit dem Auto überflüssig
wäre. Sie selbst fahren in der Stadt mit dem
Fahrrad. |
fairkehr: Sie beide
sind Sozialforscher und wissen sicher auch, dass seit
„Hartz IV“ Menschen, die staatliche
Unterstützung erhalten, anders als es früher bei
der Sozialhilfe geregelt war, ein Auto besitzen
dürfen. Autobesitz ist sozusagen ein Grundrecht
geworden. Sie verzichten darauf. Warum?
Jacob Steinwede: Weil wir in den
Lebensverhältnissen, in denen wir uns bewegen, kein
Auto brauchen. Wir sind ein kinderloses Ehepaar, wohnen
mitten in der Stadt und können unseren Arbeitsplatz
ohne Auto erreichen. Dass wir kein Auto besitzen hat keine
finanziellen Gründe, sondern ökologische. Ich
will kein Auto besitzen, wenn ich es nicht zwingend
brauche.
fairkehr: Also eine
bewusste Entscheidung.
J. Steinwede: Ja. Trotzdem fahren wir beide gerne Auto.
Wir mieten uns ein Auto, wenn wir eins brauchen, zum
Beispiel für unsere Frankreich-Urlaube.
Angelika Steinwede: Einer der Gründe
ist, dass wir dort Freunde und Familie besuchen und in
Gegenden fahren, wo es keine Anbindung an öffentliche
Verkehrsmittel gibt. Sonst würden wir uns das durchaus
überlegen.
fairkehr: Sie suchen
Ihr Urlaubsziel also nicht danach aus, ob man vor Ort ohne
Auto unterwegs sein kann?
J. Steinwede: Nein, das ist nicht unsere
Ambition. Man kann ein Auto durchaus genießen, wenn
man es drei oder vier Wochen im Jahr hat.
fairkehr: Wie kommen
Sie zur Arbeit?
J. Steinwede: Mit dem Fahrrad, bei jedem
Wetter. Es sind etwa drei Kilometer.
A. Steinwede: Ich fahre auch hin und
wieder mit dem Bus, ich habe ein Abo für den
öffentlichen Nahverkehr und eine sehr gute Verbindung.
fairkehr: Sie wohnen in
der Bonner Südstadt, einem sehr schönen
Gründerzeitviertel, das leider völlig zugeparkt
ist. Ärgert einen das nicht besonders, wenn man selbst
kein Auto hat?
J. Steinwede: Ja, es ärgert mich,
aber es würde mich noch mehr ärgern, wenn ich
selbst ständig auf Parkplatzsuche sein müsste.
Ich bin nicht schadenfroh, aber ich empfinde es als
Freiheit, besonders dann, wenn ich mit dem Fahrrad genau zu
dem Zeitpunkt dahin komme, wo ich hin will.
fairkehr: Müssen
Sie dienstlich Auto fahren?
J. Steinwede: Ich muss sehr viel reisen.
Ich nehme in der Regel die Bahn und vor Ort in den
Städten ein Taxi oder öffentliche Verkehrsmittel.
Viele Kollegen verstehen nicht, dass ich kein Auto habe.
Auch bei einigen Kunden trifft das auf Unverständnis.
Es ist eben die Norm, ein Auto zu besitzen.
fairkehr: Welches sind
die größten Hindernisse im Alltag ohne Auto?
A. Steinwede: Ich empfinde es als
größten Nachteil, dass wir die Freunde, die ins
Umland ziehen, nicht mehr so oft besuchen. Sie kaufen sich
ein Auto – uns ist der Weg mit dem Fahrrad oft zu
weit und die Bussen fahren zu selten. Das ist einfach eine
Schwelle. Diese Kontakte sind dann leider doch sehr
reduziert.
J. Steinwede: Bei der Abwägung der
Vor- und Nachteile überwiegen aber trotzdem ganz klar
die Vorteile: Wenn ich mich mit dem Fahrrad bewege,
fühle ich mich freier und mobiler.
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Rad fahrender Reporter
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Foto: Uta Linnert |
Henk Raijer arbeitet seit 1985
als Redakteur bei der taz in Berlin und leitet zur Zeit
das Redaktionsbüro der Zeitung in Köln. Der
gebürtige Holländer hat sein Auto irgendwann
verschrottet und genießt seitdem die Freiheit des
Radfahrens und die Möglichkeiten der
öffentlichen Verkehrsmittel. |
fairkehr: Sie sind
zur Zeit oft als Reporter im Rheinland unterwegs. Wie geht
das ohne Auto?
Henk Raijer: Indem ich mir vorher im
Internet die Abfahrtszeiten der Züge raussuche, mir
mein Rad schnappe und in kürzester Zeit von A nach B
komme, mein Rad dort wieder auslade und zu meinem
Bestimmungsort fahre.
fairkehr: Sie nehmen
immer ihr Rad mit?
Raijer: In der Regel ja. Die Städte
hier sind ja alle klein – im Verleich zu Berlin
– und alle Regionalzüge nehmen Fahrräder
mit. Wenn ich mal für länger nach Berlin muss,
such’ ich mir den IC raus, in dem das auch geht.
Tickets kaufe ich im Internet.
fairkehr: Wäre
nicht trotzdem vieles einfacher, wenn Sie ein Auto
hätten?
Raijer: Nicht hier in diesem
Ballungsraum. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste nach
Düsseldorf, Bochum oder Essen mit dem Auto fahren
über diese Autobahnen zu diesen Uhrzeiten – da
bin ich doch mit der Bahn viel schneller. Und ärgern
muss ich mich außerdem nicht. Die Parkplatzsuche
entfällt, auch den Bestimmungsort erst einmal zu
finden – das kostet nur Nerven. Und dazu habe ich
einfach keine Lust.
fairkehr: Viele
Journalisten könnten sich nicht vorstellen, nach
Terminen mit Rad und Bahn zurück in die Redaktion zu
fahren. Verändert Arbeiten in der taz das Verhalten?
Raijer: Ich sehe das ehrlich gesagt nicht
so sehr idiologisch als vielmehr pragmatisch –
Holländer der ich bin. Ich bin mit dem Fahrrad
aufgewachen. Als Kind war es für mich schon
selbstverständlich 20 Kilometer zur Schule zu fahren
und auch wieder zurück. Ich komme vom Land, ich bin es
gewohnt, bei jedem Wetter, auch bei Regen oder im Winter
– kalt ist es in unseren Breiten ja nicht wirklich
– mit dem Fahrrad zu fahren. Und das habe ich immer
beibehalten.
fairkehr: Sind Sie auch
im Urlaub autofrei unterwegs?
Raijer: Manchmal leihe ein Auto. Das kann
ich dann einfach wieder abgeben und habe keinen Ärger
mit Zusatzkosten, Versicherungen und der ganzen
Verantwortung.
fairkehr: Haben Sie nie
ein Auto besessen?
Raijer: Doch, als ganz junger Mann. Man
fühlte sich unabhängig, konnte nachts zum Konzert
nach Amsterdam oder Berlin fahren. Aber sobald ich in
Berlin Fuß gefasst hatte und dort die Segnungen des
U-Bahn-Verkehrs kennengelernt hatte, habe ich das Auto
stehen lassen und irgendwann verschrottet.
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Mobile Familie
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Foto: Marcus Gloger |
Thomas und Sabine
Christaller fahren am liebsten die täglichen Wege
mit dem Fahrrad. Darüber freut sich auch
ihre Tochter
Felicitas. |
fairkehr: Als
Mathematiker beschäftigen Sie sich beruflich mit
autonomen, intelligenten Systemen und entwickeln Roboter.
Trotz dieser Nähe zu hochkomplexer Technik fahren Sie
kein Auto. Wie passt das zusammen?
Thomas Christaller: Ich will, wenn ich
beruflich unterwegs bin, professionell unterwegs sein.
Selber Auto zu fahren bedeutet: Ich muss mich aufs Fahren
konzentrieren. Das ist nicht ungefährlich, vor allem,
wenn man mit den Gedanken woanders ist oder Termindruck
hat. Im beruflichen Kontext habe ich so viel Anstrengung
und Herausforderung, da möchte ich mir das Auto fahren
nicht noch zusätzlich antun. Das überlasse ich
jemand anderem. Sobald ich irgendwo einsteige, in ein Taxi
oder den Zug, ist die Hektik weg.
fairkehr: Nur drei
Prozent aller Familien mit Kindern in Deutschland haben
kein Auto. Sie sind die absolute Ausnahme.
Sabine Christaller: In Bonn braucht man
kein Auto. Wir wohnen sehr zentral und haben keine weiten
Strecken zu fahren. Ich fahre überall mit dem Fahrrad
hin – beispielsweise mit dem Anhänger zum
Einkaufen in den Bioladen und wieder zurück bis vor
die Haustür. Es ist eher eine Erleichterung nicht mit
dem Auto fahren zu müssen. Und meine Praxis habe ich
hier im Haus.
fairkehr: Suchen Sie
sich Ihre Freizeitaktivitäten gezielt danach aus, ob
man sie ohne Auto erreichen kann?
S. Christaller: Nein. Wir kommen
überall hin. Wenn es mal nicht mit dem Fahrrad oder
mit öffentlichen Verkehrsmitteln geht, dann nehmen wir
ein Taxi.
T. Christaller: Wenn man kein Auto hat,
sind ja alle Kosten, die man für öffentliche
Verkehrsmittel oder für Taxis ausgibt keine
zusätzlichen Kosten. Wenn man wirklich rechnet, ist es
billiger, kein Auto zu haben.
fairkehr: Haben Sie nie
ein Auto besessen?
T. Christaller: Doch. Aber nachdem klar
war, dass wir kein Auto mehr besitzen wollen und wir das
eine zeitlang ausprobiert haben, haben wir festgestellt:
Man kann das Leben so organisieren, dass einem nichts
fehlt.
fairkehr: Auch Ihr Kind
muss nicht irgendwo hin gefahren werden?
S. Christaller: Nein, das ist alles kein
Problem in der Stadt. Und wenn wir zu Freunden fahren, ist
das meistens ein längerer Besuch. Wir nehmen uns Zeit
und bleiben über Nacht. Was viele Autofahrer machen
– mal eben am Nachmittag vorbeischauen und
wieder zurückfahren – das machen wir nicht.
Was für uns wirklich wichtig war, ist, dass unser
Kind frei aufwachsen kann. Kinder, die immer nur hinten im
Auto ihrer Eltern sitzen, lernen ihre Welt gar nicht
kennen, bleiben zurück. Ich bin sicher, dass Felicitas
ein viel besseres Orientierungsvermögen hat als
Autofahrerkinder, weil sie sich einfach freier bewegen
kann.
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