Politik 5/2005

Flächenverbrauch

Den Flächenfraß stoppen

Um den stetigen Landschaftsverbrauch für neue Siedlungen und Straßen zu bremsen, haben Wissenschaftler des Nachhaltigkeitsbeirates Baden-Württemberg ein interessantes Konzept ausgearbeitet: Sie möchten Flächenzertifikate auf den Markt bringen – nach dem Vorbild des Emissionshandels.

 

Foto: www.markus-gloger.de

Jede Sekunde wird in Deutschland eine Fläche von zehn Quadratmetern überbaut oder asphaltiert. Am Tag sind das fast eine Million Quadratmeter, also 100 Hektar. 13 Prozent der bundesdeutschen Fläche nimmt der Mensch derzeit in Form von Straßen, Schienen, Gebäuden und Sportanlagen in Anspruch, davon ist über die Hälfte versiegelt. Etwa acht Prozent der verbauten Fläche fallen auf Siedlungen, fünf Prozent auf den Verkehr. Was auf den ersten Blick wenig scheint, ist verantwortlich für viele Probleme, deren Ausmaße nicht abzuschätzen sind: Die Zerschneidung und Zubetonierung des Landes schädigt Boden und Vegetation, verändert das Kleinklima, verursacht Lärm- und Schadstoffemissionen, verändert den Wasserhaushalt, zerstückelt die Lebensräume von Tieren und Pflanzen und verändert das Landschaftsbild.

In seinem Buch zum Artensterben „Der Gesang des Dodo“ macht der Autor David Quammen die Landschaftszerschneidung mitverantwortlich für den Artenschwund. Er vergleicht unsere Landschaft mit einem Perserteppich, der in viele kleine Stücke zerschnitten wird. Zusammengerechnet sind die Einzelteile immer noch so groß wie der ursprüngliche Teppich. Faktisch sind es aber nur noch ausgefranste, wertlose Fetzen.

Auch die Bundesregierung hat das Problem endlich wahrgenommen. In der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie hat sie sich zum Ziel gesetzt, den täglichen Flächenverbrauch bis zum Jahr 2020 schrittweise auf 30 Hektar zu senken. Ein ehrgeiziges Ziel.

Modell Emissionshandel

Der Nachhaltigkeitsbeirat des Landes Baden-Württemberg, bestehend aus Wissenschaftlern der Universität Stuttgart, hat in einem Sondergutachten einen interessanten Lösungsvorschlag ausgearbeitet. Um die weitere Zerstückelung und Versiegelung aufzuhalten, schlagen die Experten vor, Flächenzertifikate nach einem Modell wie beim Emissionshandel einzuführen. Baden-Württemberg ist für etwa ein Zehntel des deutschen Flächenverbrauchs verantwortlich. Durch das Konzept der Wissenschaftler soll die Flächenverbrauchsrate nach und nach gesenkt werden. Von derzeit zehn Hektar pro Tag kurzfristig auf acht. Dann ab 2010 auf sechs Hektar, ab 2015 auf vier und schließlich ab 2020 auf drei Hektar pro Tag.

Zur Einführung eines Zertifikatssystems schlägt der Nachhaltigkeitsbeirat folgende Schritte vor: Die Landesregierung müsste den Gemeinden in Fünfjahresabständen Flächenkontingente zuteilen, zum Beispiel abhängig von der Einwohnerzahl. Dann müssten Ausschlussflächen festgelegt werden, die aus Gründen des Arten- und Landschaftsschutzes, des Hochwasserschutzes, des Mikroklimas der Gemeinde sowie der Ernährungssicherung nicht in Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewandelt werden dürfen. Als nächster Schritt müsste eine Art Flächenbörse geschaffen werden, damit die Kommunen ihre zugewiesenen Kontingente wie beim Aktienhandel verkaufen oder zusätzliche Anteile kaufen können. Gemeinden, die Naturschutzgebiete ausweisen oder Brachflächen und Baulücken nutzen, statt auf der grünen Wiese neu zu bauen, würden mit diesem System finanziell belohnt werden. Zuletzt müsste regelmäßig überprüft werden, dass die Regeln des Handelssystems eingehalten und die Ziele tatsächlich erreicht werden.

Die Stuttgarter Landesregierung zeigte sich bei der Übergabe des Gutachtens im letzten Jahr eher skeptisch. Aus Gründen des Wettbewerbs bevorzugen die Landespolitiker eine bundesweite Regelung. Statt zu handeln begegnet Baden Württemberg dem Problem mit einer Öffentlichkeitskampagne – „damit das Thema stärker in das öffentliche Bewusstsein gelangt“ – wie ein Landessprecher sagte. Dabei wären konkrete Maßnahmen dringend notwendig. Die Wissenschaftler des Nachhaltigkeitsbeirates aus Stuttgart rechnen vor, dass selbst ihr anspruchvolles Ziel den Flächenfraß zunächst nur bremsen, nicht aber stoppen kann. So wäre 2025 in Baden-Württemberg ohne Maßnahmen ein Flächenanteil von 16 Prozent (heute 13,5 Prozent) verbaut. Würde man den Flächenhandel einführen, läge der Anteil der verbauten Landschaft zwanzig Jahre später bei 14,6 Prozent.

Valeska Zepp

• Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Gaia, ökologische Perspektiven für Wissenschaft und Gesellschaft, aus dem Oekom Verlag behandelt das Thema Landschaftszerschneidung und Flächenverbrauch in einem 90-seitigen Schwerpunkt. Bestellen: Gaia 2 – 2005, Oekom Verlag München, 22,80 Euro (zuzüglich Porto), www.oekom.de oder Tel.: (089) 5441840
• Das Sondergutachten des Nachhaltigkeitsbeirates „Neue Wege zu einem nachhaltigen Flächenmanagement in Baden-Württemberg“ ist öffentlich. Es steht als Download zu Verfügung unter www.nachhaltigkeitsbeirat-bw.de
• David Quammen: Der Gesang des Dodo, Econ+List Taschenbuchverlag 2001, 973 Seiten, 19,95 Euro

 

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