Reise 5/2004

KinderStrich an der deutsch-tschechischen Grenze

Vor aller Augen

Einer der größten Straßenstriche liegt unmittelbar hinter der deutsch-tschechischen Grenze. Hier trifft der reiche Westen auf den verarmten Osten. Frauen, Mädchen und Jungen bieten rund um die Uhr sexuelle Dienste jeder Art an. Die Ergebnisse einer Studie aus dem Grenzgebiet sind erschütternd.

Foto: Sabine Sauer/images.de
Nicht einmal ein Prozent der Täter kommt vor Gericht. Bei kaum einem anderen Verbrechen ist die Aufklärungsquote so niedrig wie bei der Strafverfolgung pädosexueller Sextouristen.

Seit 1996 beobachtet und betreut Cathrin Schauer im Rahmen des Sozialprojektes Karo Kinder in Cheb und Umgebung, denen eines gemeinsam ist: Sie werden als Prostituierte verkauft. Schauer berichtet in ihrer Studie, die das Kinderhilfswerk Unicef zusammen mit ECPAT unter dem Titel „Kinder auf dem Strich“ herausgegeben hat, Unvorstellbares: Freier aus Deutschland kaufen sich Jungen und Mädchen im Kindergartenalter, Achtjährige verhandeln mit Männern in Autos mit deutschem Kennzeichen über Sexualpraktiken und feilschen um Preise, Frauen bieten ihre Kleinkinder und sogar Säuglinge an. Die Peiniger fahren mit ihren Opfern fast immer allein im Auto zu Orten, die sie „Stichplätze“ nennen, damit sie die Kinder dort unbeobachtet sexuell missbrauchen können.

Was man zunächst kaum glauben will, schildert die Autorin als brutale Realität. Die Sozialarbeiter von Karo geben an, über 500 Kinder regelmäßig beobachtet zu haben. Auch Adolf Gallwitz, Professor für Sexualdelikte an der Polizeihochschule Villingen-Schwenningen, bestätigt, dass das Anbieten von Kindern im tschechischen Grenzgebiet unübersehbar in der Öffentlichkeit stattfindet und die Täter keine Scham kennen (s. Interview S. 44). Niemand in den betroffenen Orten kann demnach das abscheuliche Geschäft leugnen.

Von offizieller tschechischer Seite wird allerdings heftig widersprochen. Der tschechische Innenminister und der Ministerpräsident haben nach Erscheinen der Studie diese als „völlig unrealistisch“ zurückgewiesen und behaupten, die publizierten Daten hätten „überhaupt nichts mit der Realität zu tun.“

Soziale Armut in den Familien, sexueller Missbrauch sowie der Zwang durch Familienangehörige sind im Wesentlichen die Gründe, die die Kinder in die Prostitution treiben. Oft sind es die eigenen Geschwister, die ihre jüngere Schwester oder den Bruder begleiten und verkaufen, denn die Forderungen der Freier werden immer dreister. „Wenn die Deutschen so Kleine wollen, dann hole ich meinen sechsjährigen Bruder“, erzählt ein Junge der Autorin im Interview.

Die deutsche Bundesregierung verhält sich auf diplomatischer Ebene zurückhaltend. Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt hat das Bundeskabinett im Januar 2003 einen Aktionsplan aufgelegt. Dieser soll die verschiedenen Aktivitäten der Bundesregierung zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch, Kinderpornografie, Kinderhandel und Kinderprostitution bündeln. Neben der Verschärfung des Strafrechts und einer Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit und Strafverfolgung wurde speziell zur Bekämpfung des Frauen- und Mädchenhandels und zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung eine deutsch/tschechisch/polnische Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese soll Konzepte zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität entwickeln, Informatinonskampagnen starten und die Grenz- und Polizeibeamten vor Ort schulen.

Die Kinder vom Straßenstrich in Cheb wünschen sich – sollte je der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass sie sich etwas wünschen dürfen – „dass die Deutschen nicht mehr kommen. Es wäre gut, wenn sie die Grenzen schließen oder die deutschen Männer, die mit Kindern Sex haben wollen, nicht mehr reinlassen.“

Uta Linnert

Mehr lesen: Cathrin Schauer: Kinder auf dem Strich. Bericht von der deutsch-tschechischen Grenze.
Bad Honnef 2003, 135 S., 9,90 Euro.

 

zurück zum Inhalt