Stellen Sie sich vor, Sie haben zum
zweiten Mal 18 Jahre hinter sich und halten die Zeit für gekommen,
sich nicht länger über das zu definieren, was Sie nicht
können. Sie wollen sagen können: „Ich kann.“ Sie
wollen die Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeuges.
Sie wollen den Führerschein.
Wenn Sie doof sind, laufen Sie zur Fahrschule an der Ecke und unterschreiben.
Wenn Sie nur geringfügig weniger blöd sind, rufen Sie die
drei Fahrschulen Ihrer Umgebung an und vergleichen die Preise. Sind
Sie etwas schlauer, hören Sie sich um. Wenn Sie richtig klug
sind, überlegen Sie sich, was Ihnen wichtig ist, gehen hin und
klopfen die Anbieter auf Ihr Anforderungsprofil hin ab. Die Reaktion
auf Fragen wie „Wie schulen Sie umweltgerechtes Fahren?“, „Gibt
es Gruppenarbeit?“ oder „Kann ich mich von einer Frau
ausbilden lassen?“ kann Aufschluss darüber geben, ob Sie
hier richtig sind.
Nehmen Sie mich: Ich war total bescheuert. Mit Anfang 30 hielt
ich den Zeitpunkt für gekommen, Auto fahren zu lernen. Es
war kurz nach der Geburt meines Sohnes. Mein Partner meckerte in
einem fort, dass immer er zu Ikea und das Kind zur Oma fahren müsse.
Ich malte mir aus, wie toll mein Leben wäre, wenn ich ohne
jedes Murren, Kind, Einkäufe und vielleicht auch ihn durch
die Gegend chauffieren würde. Wie cool ich hinter dem Steuer
säße und durch eine Welt gleiten würde, die sich
mir in ihrer Gänze erst noch erschließen würde.
Ich wäre eine Frau ohne Furcht. In Hamburg, einer Stadt ohne
Platz.
Ich rief drei Fahrschulen an. Ich nahm die billigste. Ich war
zu blöd, zu bedenken, dass einer, der zwei Euro billiger ist,
sein Geld an anderer Stelle wieder herausholen würde. Über
die Stunden. Über eine zu früh angesetzte Prüfung,
in der man nur versagen kann. Ich hatte mir nicht überlegt,
dass es auch inhaltliche Ansprüche an Fahrschulen geben könnte.
Dass hinter einer Fahrschule ein Konzept stecken kann. Menschen,
die mehr wollen, als nur zu kassieren. Denen etwas daran liegt,
ein gleichberechtigtes Miteinander im Verkehr zu erreichen, ihre
Mitmenschen zu befähigen, sich fair und verantwortungsvoll
im Straßenverkehr zu bewegen, statt das Vehikel als Ausdrucksmöglichkeit
einer rudimentär entwickelten Persönlichkeit zu nutzen.
Die Fahrschulen, die es in meiner Umgebung gab, manifestierten
das Bild, das in meinem Kopf herrschte: die Einrichtung aus Büroauflösungen
zusammengesucht, die Didaktik und Lehrmaterialien aus der Zeit
des Opel Admiral und das Personal männlich. Mit Schnauzbart
und/oder Bierbauch. In zwei von drei Fällen ehemalige Bundeswehraktivisten.
Auf jeden Fall immer eine daddyhafte Gönnerhaltung oder eine überbetonte
Lockerheit der unter 40-jährigen Ausbilder.
Gerd Lottsiepen bedauert, dass es solche Ein-Mann Fahrschulklitschen
in zu kleinen Ladenlokalen mit billigen Plastikstühlen immer
noch gibt. Für den verkehrspolitischen Sprecher des VCD symbolisiert
dieses Bild eine inadäquate Ausbildungssituation. „Hier
ist kein vernünftiger Unterricht möglich“, so Lottsiepen.
Ein auf Frontalunterricht ausgerichteter Schulungsraum biete keine
Möglichkeit für die didaktisch wichtige Gruppenarbeit.
Längst schon haben Fachleute erkannt, dass eine Beeinflussung
der Einstellung der überwiegend jugendlichen Fahranfänger
fast nur im Kontakt untereinander möglich ist. Der erhobene
Zeigefinger des Lehrenden ist für die meisten Jugendlichen so
interessant wie ein Rauchverbot durch die Eltern. Ein Gespräch
untereinander, in dem Jungs und Mädels sich darüber austauschen,
wie sie sich tatsächlich fühlen, wenn der Kumpel mit 90
km/h nachts über die kurvenreiche, regennasse Landstraße
brettert, kann hingegen das Denken korrigieren.
Nicht alle, die mit Fahrausbildung beschäftigt sind, teilen
Lottsiepens Haltung. Doch die hohe Prozentzahl von schweren Unfällen
unter Fahranfängern, jeder vierte Unfallbeteiligte und jeder
vierte Unfalltote gehört der Gruppe der 18- bis 25jährigen
an, das Imponiergehabe meist männlicher Autofahrer, das gestiegene
Verkehrsaufkommen sowie die zunehmende Ignoranz gegenüber Verkehrsregeln,
verdeutlichen die Notwendigkeit einer Neuausrichtung der Ausbildung.
An Universitäten, in Ministerien und Fahrschulen beschäftigen
sich diverse Fachleute mit der Frage, wie eine zeitgemäße
Schulung aussehen könnte.
Ausbildung für Fahrschüler und Fahrlehrer
Mein Fahrlehrer, der aus unerfindlichen Gründen als kompetent
gilt, Fahrschüler auszubilden hatte keine Ahnung von Pädagogik
und Psychologie. Natürlich konnte dieser Mann nett sein. Plaudern
konnte man mit ihm und manchmal war er richtig lustig. Ansonsten
zog er es vor, persönlich zu werden. Sich Betrachtungen der
Persönlichkeitsstruktur zu erlauben und seine analytischen
Giftpfeile gezielt unter die Gürtellinie zu schießen.
Einen Fahrschüler erwischte es bei der Überlandfahrt.
Nachdem sie sich bei erhöhtem Tempo bezüglich seines
angeblichen Vaterproblems angeschrien hatten, fuhr der Schüler
kurzerhand an den Straßenrand und stieg aus. Er kam per Anhalter
zurück nach Hamburg.
Ich hielt aus. Bis nach der versiebten, zweiten Prüfung ließ ich
mir seine Beleidigungen und Anmaßungen gefallen. Ich war 33
Jahre alt und in diesem Abhängigkeitsverhältnis zu klein,
für Konsequenzen.
Eine pädagogische Schulung der Fahrlehrer ist eine der elementaren
Forderungen all jener, die eine Neuausrichtung der Fahrlehrerausbildung
fordern. Anne Pfeiffer-Wagner, 35 Jahre alt und seit zehn Jahren
als Fahrschullehrerin tätig, sieht hierin das größte
Manko. Zwar würde in Fortbildungen über die sinnvolle
Aufstellung von Verkehrsschildern debattiert, nicht aber pädagogisches
Rüstzeug vermittelt, etwa zum Umgang mit Gruppen, mit Konflikten
während der engen Situation im Wagen oder den Machtkämpfen,
die insbesondere männliche Jugendliche ausländischer
Herkunft mit einer Frau als Ausbilder anzetteln.
Auch der Bundesverband der Fahrlehrer, dem mit ca. 16000 Betrieben
etwa 80 Prozent aller Fahrschulen angehören, sieht Handlungsbedarf
in punkto der pädagogischen Kompetenz seiner Mitglieder. Doch
hinter Forderungen wie der, die Einstiegsbedingungen für den
Beruf zu erhöhen und Fahrlehrer zu einem Ausbildungsberuf
mit zwei Lehrjahren zu machen, steht wohl vor allem das wirtschaftliche
Interesse. Darüber hinaus ist es der Versuch, Plänen
wie denen, Mobilitätserziehung an den Schulen zu unterrichten,
entgegenzuwirken.
Verkehr umgestalten
Als Leiter der Arbeitsstelle für verkehrspädagogische
Forschung und Lehre an der TU Berlin hat sich Professor Adolf-Eugen
Bongard jahrelang mit dem Thema der an Nachhaltigkeit orientierter
Fahrausbildung beschäftigt. Mit Bongards Pensionierung 1997
wurde das einzige europäische Hochschulinstitut, das primär
Fahrausbildungsforschung betrieb, dichtgemacht. Der unbequeme Professor
mischt heute als Vorsitzender des Instituts für Verkehrspädagogik
weiter mit. Sein Ziel ist die Humanisierung des Verkehrs, was bedeutet, „dass
der Verkehr umgestaltet werden muss“, wie er erläutert.
Momentan zielt alles darauf ab, „den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen
zu ermöglichen und bei den Menschen das dazu nötige Verhalten
zu erreichen“. Der Verkehr an sich wird dabei nicht hinterfragt.
Für Bongard liegt der Schlüssel hierzu in einer Umwelt-
und soziale Aspekte umfassenden Mobilitätsausbildung, die
in Kooperation mit Fahrschulen von den allgemeinbildenden Schulen übernommen
wird und an deren Ende ein Mobilitätspass für die Absolventen
steht. Ein Pass, mit dem Bus und Bahn verbilligt in Anspruch genommen
werden können.
Lob gepriesen wird derzeit die „Zweite Ausbildungsphase“,
die in allen Bundesländern praktiziert werden soll. Sie soll
Fahranfängern die Möglichkeit bieten, in einem Seminar
Erfahrungen und Probleme im Straßenverkehr zu erörtern
und ein Sicherheitstraining zu absolvieren. Belohnt wird diese
freiwillige Maßnahme mit einer Verkürzung der Probezeit
von zwei auf ein Jahr. Doch Bongard zeigt sich enttäuscht: „Es
ist kein Punkt dabei,“ moniert er, „der mit Ökologie
zu tun hat. Es ist nichts von den ursprünglichen Gedanken übrig
geblieben“.
Weiter als die „Zweite Phase“ gehen der Psychologe Michael
Walk und sein Kollege Lothar Taubert. Mit ihrer Berliner Fahrschule „Verkehr
human“ wollen sie Bewusstsein schaffen, damit Autofahrern die
Bedeutung und Verantwortung ihres Handels deutlich wird. So veranstalten
sie Hörgänge durch die Stadt, um für die Wucht des
Verkehrs zu sensibilisieren, demonstrieren, wie schnell sich ein
riesiger Ballon mit Auspuffgasen füllt oder lassen ihre Fahrschüler
wortlos miteinander spielen, um das zu schulen, was wesentlich für
den Straßenverkehr ist: Kommunikation und Rücksichtnahme.
Nicht nervös zu werden, wenn die anderen drängeln, können
Fahrschüler dort lernen, sich nicht zu überhöhter
Geschwindigkeit nötigen lassen, bei sich zu bleiben, um eigene
Entscheidungen zu treffen, anstatt sie sich von den Mitautofahrern
aufdrängen zu lassen. Nicht zufällig entspricht das Konzept
der beiden den Forschungsergebnissen des Verkehrspädagogischen
Instituts unter Bongard: Michael Walk war dort bis 1997 tätig.
Alternative Ferienfahrschule
Meine zweite Fahrprüfung war ein großer Tag für
das kleine Ego meines Lehrers. Sie bot ihm die Gelegenheit, mich
in meiner ganzen Unfähigkeit bloß zu stellen. Statt mir
meine Nervosität zu nehmen, war es ihm wichtiger, vor dem
Prüfer nicht doof dazustehen. Also stöhnte er lauthals „Oh
Gott!“ ob meines Zitterns und fragte mich, „Geht’s
Ihnen noch gut?!?“, als ich vor dem Einparken laut durchatmete.
Ich träumte zweieinhalb Jahre lang davon. Immer und immer
wieder. Es war klar, ich würde nie wieder in eine normale
Fahrschule gehen. So etwas wollte ich nie wieder erleben. Dann
wurde ich zum zweiten mal 18 Jahre alt. Und ich dachte, eine Ferienfahrschule – vielleicht
ist das etwas für mich. Ich informierte mich über das
Internet. Ich sortierte die wenigen Anbieter aus, die hinter dem
Schlagwort „Ferienfahrschule“ ein Konzept zu haben
schienen. Ich überlegte mir Dinge, die ich wissen wollte und
rief dort an. Ich ließ mir Material schicken. Ich fand eine
Ferienfahrschule in einem kleinen Ort in Hessen. Aber das ist eine
andere Geschichte. Eine schöne.
Silke Burmester
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