Die Ideen hinter dem neuen Radelkonzept sind nicht
neu, deswegen aber nicht weniger überzeugend: Wer regelmäßig
Rad fährt, bekommt Kraft, Kondition und ein gutes Körpergefühl.
Radfahren hält gesund. Wer Gewichts- oder Gelenkprobleme
hat, ist beim Radfahren besser aufgehoben als beim Joggen. Das
sind die altbekannten Gründe, aus denen einige Krankenkassen
seit langem versuchen, ihre Mitglieder zum sanften Training mit
dem Rad zu bewegen. Eine Massenbewegung haben sie bisher
nicht ausgelöst.
Nun scheinen die nötigen trendbildenden Faktoren zusammenzukommen:
die Fitness-Welle, die noch den letzten Sportmuffel
zum Marathonläufer mutieren lässt, die Erkenntnis der
Fahrradindustrie, dass das große Geld nicht mit Alltags-,
sondern mit Sporträdern zu machen ist, und ein geschäftstüchtiger
Professor, der das ganze wissenschaftlich untermauert und mit
dem entsprechenden Marketing an die Öffentlichkeit bringt.
Das Prinzip ist einfach: Wer sich unfit fühlt oder vom Arzt
Bewegung verordnet bekommt, lässt sich auf der Internetseite
www.fitness-biking.de einen persönlichen Trainingsplan zusammenstellen.
Je genauer die persönlichen Werte sind, die der Trainingswillige
ins Programm einspeist, um so besser auf ihn zugeschnitten ist
der 12-wöchige Trainingsplan mit je vier Trainingseinheiten
pro Woche. Für Sporteinsteiger oder Menschen mit Gesundheitsproblemen
empfiehlt sich allerdings zuvor ein Gesundheits-Check beim Arzt
und eine Leistungsdiagnostik im Sportstudio.
Zuerst bestimmt allein die Herzfrequenz das Training.
Es beginnt mit 30 Minuten radeln auf einer dem Trainingsstand
entsprechenden Belastungsstufe. Dann steigert sich das Leistungsniveau:
An die 30 Minuten Grundbelastung werden mal 5, mal 15 Minuten
radeln mit höherer Herzfrequenz angehängt. Dazu
kommt das Tretfrequenz-Training, das den ungeübten Radler
zum gleichmäßigen, lockeren Treten hinführen
soll, und das Koordinationstraining, das das Körpergefühl
und den Gleichgewichtssinn trainiert. Ein leichtes Krafttraining,
Dehnübungen und Ernährungstipps ergänzen
den Trainingsplan.
Hält sich der Trainierende brav an den Plan, müsste
er beim Leistungscheck nach zwölf Wochen deutlich besser
abschneiden als vorher. „Er fühlt sich insgesamt wohler,
ist körperlich belastbarer und kommt beispielsweise beim
Treppensteigen nicht mehr so schnell aus der Puste“, sagt
der Sportphysiologe Klaus Baum, der sich selbst als „Erfinder
des Fitness-Biking“ bezeichnet.
„
Dazu brauche ich weder ein Fitness-Rad noch einen Trainingsplan“,
entgegnen viele Alltagsradler, die ihr Rad auf den Wegen zur
Arbeit, zumEinkaufen oder in der Freizeit sowieso täglich
im Einsatz haben. Ist Fitness-Biking nur ein Trick der Marketingabteilungen,
um neue Räder zu verkaufen?
Was ist dran am Trend?
„Wenn Fitness-Biking dazu führt, dass mehr Leute
Rad fahren, dann ist das auf jeden Fall positiv“, sagt
Fahrradhändlerin Monica Fassbender vom Bonner vsf-Laden
Velocity. Dass das Konzept vor allem der darbenden Fahrradindustrie
auf die Beine helfen soll, ist für Monica Fassbender an
sich noch kein Problem. Ihre Befürchtung ist eher, dass
Information und Nutzen für den Kunden nur an der Oberfläche
bleiben. „Der Kunde kauft sich ein günstiges Fitness-Bike
im Versandhandel oder im Supermarkt, fängt mit dem Training
an und stellt bald fest, dass das Rad überhaupt nicht zu
ihm passt“, schildert sie ihre Erfahrung. „Dann ist
es vorbei mit dem Training. Das Rad kommt in den Keller und der
gewünschte Effekt – dass mehr Leute Rad fahren – wird
nicht erreicht.“
Untrainierte Menschen, die an Bewegungsmangel leiden, können
am meisten vom Fitness-Biking profitieren. Aber die Untrainierten
haben auch den größten Beratungsbedarf. „Eine
gute Beratung ist für mich die Voraussetzung für den
Erfolg eines solchen Konzepts“, betont Monica Fassbender. „Wer
mit Fitness-Biking gesundheitliche Probleme angehen möchte,
muss auf jeden Fall vorher zum Arzt. Danach müsste eigentlich
der Leistungscheck im Sportstudio stehen – den tatsächlichen
Leistungszustand eines Kunden kann kein Fahrradhändler bestimmen – und
dann bleibt die Frage nach dem richtigen Rad.“
Viele Fahrradhersteller halten die Bezeichnung „Fitness-Bike“ für
verkaufsfördernd und taufen Räder, die sie schon länger
im Sortiment haben, einfach um. Die Folge: Jedes Rad ist irgendwie
auch ein Fitness-Rad – was grundsätzlich ja auch nicht
falsch ist.
Viele Fitness-Bikes orientieren sich am Rennrad. Sie haben
extrem schmale Reifen, Rennsattel und Clickpedalen und werden
windschnittig,
in weit nach vorne gebeugter Haltung gefahren. Der sportliche
Einsteiger ist von diesen Rädern oft überfordert.
Wer mehrere Fahrradtypen ausprobiert, kann am besten entscheiden,
auf welchem Rad er auch längerfristig trainieren möchte.
Um eine falsche Belastung der Gelenke und des Rückens zu
vermeiden, ist es außerdem wichtig, dass das Rad zum Körper
passt. Eine ausführliche Beratung im Fachhandel und die
eine oder andere Testfahrt gehören also auch beim Kauf eines
Fitness-Bikes unbedingt dazu.
Wichtig für die sportliche Motivation: Das Rad muss leicht
sein und einwandfrei funktionieren. Je sportlicher das Rad, um
so spürbarer ist der persönliche Fitness-Fortschritt
und um so stärker die Motivation, beim Training dranzubleiben.
Je mehr Gänge ein Rad hat, um so besser kann der Trainierende
seine Anstrengung steuern und seine Herz- und Tretfrequenz
auch bei Steigung oder Gefälle stabil halten.
Wer für seine Fitness nicht nur einfach Radeln, sondern
das Baumsche Trainingsprogramm absolvieren möchte,
braucht Herzfrequenz- und Tretzahlmesser. Nur die wenigsten Fitness-Bikes
auf dem Markt haben einen integrierten Bordcomputer, der
am Lenker montiert ist und alle Trainingswerte gut sichtbar anzeigt.
Kein Problem für den Fachhandel: „Wir können
an jedes Rad einen entsprechenden Computer montieren“,
sagt Monica Fassbender.
Ob Fitness-Biking sinnvoll oder überflüssig ist, muss
jeder für sich selbst entscheiden. Das kontrollierte Training
liefert schnelle Erfolgserlebnisse, wenn es diszipliniert durchgehalten
wird. Gemütliches Radeln auf einem bequemen Rad ist für
die Gesundheit aber nicht weniger gut. Regine Gwinner
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