Verkehrspolitik

Mehr Mut!

 

Illustrationen: zwo3media

 

Für Bundesverkehrsminister Bodewig steht fest: Der Verkehr wird wachsen – und zwar kräftig. Bis zum Jahr 2015 soll der Gütertransport um 64 Prozent zunehmen und der Personenverkehr um 20 Prozent steigen. Diese Verkehrsbedürfnisse gilt es zu befriedigen, lautet das Credo des Sozialdemokraten. Oberstes Ziel seiner Politik ist, den absehbaren Dauerstau möglichst zu verhindern.

Denkbar wären aber auch ganz andere Grundsatzwerte. Stünde der Schutz jedes einzelnen Menschenlebens oben auf der Prioritätenliste, käme dabei eine völlig andere Verkehrspolitik heraus als die, die seit Jahrzehnten in Deutschland gefahren wird. Eine „Vision Zero“, eine Verkehrssicherheitspolitik, die null Tote zum Ziel hat, führt im Ergebnis zu ähnlichen Veränderungen wie eine ökologische Reform. Wer die ökologischen Belastungsgrenzen und Gerechtigkeit oben auf die Werteskala setzt, müsste ebenfalls eine neue Rechnung aufmachen. Zum Beispiel diese: Jeder Mensch auf der Erde darf höchstens zwei Tonnen CO2 im Jahr verursachen – dann wäre das für das Klima zu verkraften. In Deutschland liegt der Wert aber zur Zeit bei 10,5 Tonnen – die extrem klimaschädlichen Flugmeilen noch nicht einmal mitgerechnet. Schon der Aufwand für erdgebundene Mobilität übersteigt hierzulande bei den meisten Leuten die 2-Tonnen-Grenze.

Klimaschutz ernstgenommen hieße, politische Instrumente zu entwickeln, die auf eine massive Verhinderung von Emissionen abzielen. Warum nicht die CO2-Gesamtmenge für ein Jahr festlegen und sie per Versteigerung anbieten? Dann würde sich der Molkereibesitzer aus dem Allgäu überlegen, ob er einen 40-Tonner nach Berlin fahren lässt und dafür 3,3 Tonnen CO2 ersteigert oder auf die Bahn umlädt, für die er nur 0,9 Tonnen erwerben müsste. Vermutlich wäre eine neue Produktionsstätte vor den Toren der Hauptstadt aber auf Dauer die weitaus günstigste Lösung.

 

 

Alternativ oder ergänzend können auch die Öko-Steuer und die Lkw-Maut die CO2-Verschwendung im Verkehr bremsen. Zwei gute Steuerungsinstrumente, die allerdings ausgebaut werden müssen. Um den nötigen Innovationsschub bei der effizienten Verwendung von knapper Energie auszulösen, müssen bei Abgaben für die nächsten zehn Jahre bei jährlicher Steigerung festgeschrieben werden.

Unter der Annahme, dass jedem Menschen künftig durchschnittlich etwa eine halbe Tonne CO2 für seine Mobilität zur Verfügung stünde, würde der Automobilindustrie mit Sicherheit innerhalb kürzester Zeit eine technische Revolution gelingen. Denn während eine heutige Limousine bereits nach gut 2500 Kilometern das Kontingent erschöpft hätte, käme der Nutzer eines 1-Liter-Autos immerhin fast 20000 Kilometer weit. Klimaschonendere Antriebsarten oder ein höherer Besetzungsgrad würden den Aktionsradius noch erheblich erweitern.

Der VCD schlägt zur Senkung des Spritverbrauchs einen CO2-Grenzwert vor. Dieser sollte bei 120 Gramm pro Kilometer liegen und spätestens ab 2005 gelten. Autos, die mehr verbrauchen, werden mit einem kräftigen, linear steigenden Aufschlag bei der Kfz-Steuer oder einer Kaufsteuer belegt.

Auch Bahnreisende, die mit ihrem 500-Kilo-CO2-Budget heute 7700 Kilometer fahren könnten, dürften sicher auf technische Innovationen im Schienenverkehr hoffen. Und dass auch ein attraktiveres Angebot den Anteil des Schienenverkehrs gegenüber dem Straßenverkehr deutlich erhöhen kann, zeigt schon heute die Schweiz, wo knapp 14 Prozent aller Kilometer mit dem Zug zurückgelegt werden. In Deutschland ist es gerade einmal die Hälfte.

 

 

Die gesündeste und kostengünstigste CO2-Einsparung bringt natürlich ein Umstieg auf den Fahrradsattel oder auf die Füße. Das Fahrrad ist auch in Sachen Tempo konkurrenzfähig: Auf Strecken unter sechs Kilometern ist das Fahrrad das schnellste Verkehrsmittel in der Stadt. 30 Prozent aller Pkw-Fahrten in der Stadt könnten laut Bundesverkehrsministerium auf das Rad verlagert werden. Die CO2-Ersparnis liegt im Bereich von mehreren Millionen Tonnen. Diese konkrete Utopie wird mit dem Masterplan Fahrrad der rot-grünen Bundesregierung angegangen. Vorbild sind die Niederlande. Dort liegt der Radverkehrsanteil bei 27 Prozent aller Wege, in Deutschland noch bei 12 Prozent.

Neben effektiveren Verkehrsmitteln und einer besseren Auslastung der Fahrzeuge sollte Politik aber auch kürzere Wege im Alltag fördern. „Im Grunde müsste das Bleiben in der Stadt subventioniert werden“, meint Dieter Apel aus dem wissenschaftlichen Beirat des VCD. Doch tatsächlich geschieht gegenwärtig genau das Gegenteil.

Beispiel Eigenheimzulage: Bevorzugt werden Leute, die sich ein neues Häuschen bauen – und das geschieht überwiegend auf bisher unbesiedelter Fläche. Wer dagegen ein bereits bestehendes Gebäude erwirbt, steht wesentlich schlechter da. Die Politik könnte diesen Grundsatz ganz einfach umdrehen.

Auch die Pendlerpauschale leistet der Streubebauung Vorschub. In dieser Legislaturperiode wurde sie sogar noch einmal erhöht. Zwar gilt sie jetzt für Fahrrad-, Bus, Bahn- und Autofahrer gleichermaßen, doch stellt sie jetzt einen noch größeren Anreiz als vorher dar, weit weg vom Arbeitsplatz zu wohnen. Für das Klima ist das genauso fatal wie für die Landschaft: Wer mit dem Kleinwagen jeden Tag 25 Kilometer zur Arbeit fährt, pustet in einem Jahr 1800 Kilogramm CO2 in die Luft.

 

Aufgaben für die neue Bundesregierung

 

Würde die Entfernungspauschale ersetzt durch einen höheren Werbungsfreibetrag für alle Arbeitnehmer, stünden die Menschen vor der ökonomischen Alternative, billiger zu wohnen und teurer zu fahren oder umgekehrt mehr fürs Wohnen auszugeben und dafür günstigere Wegekosten zu haben.

Weniger Pendler würden neben Schadstoff- und CO2-Emissionen auch weniger Krach verursachen. Der Lärm durch Straßen-, Schienen- und Luftverkehr ist die vielleicht am meisten unterschätzte Gesundheitsgefahr. Über 2000 Herzinfarkte pro Jahr gehen in Deutschland auf das Konto motorisierter Krachmacher.

Es fehlt eine moderne Lärmgesetzgebung. Lärmgrenzwerte müssen tagsüber bei 65 dB(A) und nachts bei 55 dB (A) festgeschrieben werden. Um mehr Ruhe ins Land zu bringen, gibt es probate Mittel: Geschwindigkeitsbegrenzungen, Nachtflugverbote, lärmarme Reifen und Straßenbeläge.

Insbesondere das von 1971 stammende Fluglärmgesetz muss dringend novelliert werden. Die Berechnungsverfahren für Krach aus Düsentriebwerken sind veraltet. Eine EU-weite Emissionsabgabe muss die ökologisch fatalen Subventionen für Jets und Airlines ersetzen. Die Flughafenplanung wird unter Bundeshoheit gestellt und mit den Nachbarländern abgestimmt.

Es gibt also noch viel Arbeit auf dem Weg zu einer Verkehrspolitik, die Mensch und Umwelt im Auge hat. Vier Jahre zaghafte Reformen konnten 50 Jahre „verkehrte“ Verkehrspolitik noch nicht umkrempeln.

Annette Jensen/Michael Adler


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