Andalusien

Diesseits von Afrika

Jahrzehntelang war Andalusien das Paradebeispiel Europas für einen selbstzerstörerischen Massentourismus. Nun etabliert sich in der Region nach und nach eine Infrastruktur für Natur-, Kultur- und Aktivurlauber, die die versteckten Schätze des spanischen Südens entdecken wollen.

 

Fotos (5): Regine Gwinner
Die Alhambra in Granada ist ein Wunderwerk der maurischen Architektur. Abend für Abend versammeln sich Einheimische und Touristen auf dem gegenüberliegenden Hügel, um die „Rote Burg“ im Sonnenuntergang zu bewundern.

 

Enrique ist in seinem Element. Zu den Klängen eines Pasodoble schiebt der zahnlose andalusische Bergbauer mit stählernem Griff eine blonde Touristin über die Tanzfläche. Die junge Frau, die den zähen Landmann um mindestens zwei Köpfe überragt, zollt seiner sportlichen Leistung Respekt: „Er führt gut“, lacht sie. Die Gäste im Internet-Café „Cíber-Monfi“ applaudieren dem ungleichen Paar.

In Bubión, einem der „weißen Dörfer“ der Sierra Nevada, steht das orientalisch gestylte Caféhaus „Cíber-Monfi“ für das Nachtleben im Ort. Hier trifft sich die Dorfjugend zum Kartenspielen, Tee trinken oder zum Surfen im Internet. Die Übernachtungsgäste aus den wenigen umliegenden Pensionen, die zum Wandern, Skifahren oder Reiten in der Sierra Nevada sind, genießen das arabische Flair des Caféhauses und nutzen die Möglichkeit, für einen Euro mit Freunden in der ganzen Welt zu kommunizieren. Das Internetcafé „Cíber-Monfi“ steht für das moderne Andalusien, das sich augenzwinkernd seiner Klischees und Traditionen bedient, um sich in Szene zu setzen.

Andalusien ist die südlichste Provinz Spaniens – und eine der gegensätzlichsten. Eine lange Geschichte der Eroberungen, 700 Jahre maurische Herrschaft, gefolgt von Inquisition, Judenvertreibung, Machtkämpfen, Bürgerkrieg, 40 Jahren Franco-Diktatur und schließlich einem Tourismusboom, der entlang der Küste keinen Stein auf dem anderen ließ, haben das Gesicht des spanischen Südens geprägt.

 

Infografik: fairkehr/M.A.Venner

 

Strand oder Berge

Paco ist in Pitres, einem der „weißen Dörfer“ der Alpujarra aufgewachsen. Er arbeitet als Busfahrer für die „Gebrüder Gallego“, die in der Region im Süden der Sierra Nevada zu den großen Busbetreibern gehören. Fünf Busse hat der Familienbetrieb. „Schülerverkehr, meistens zwischen den Dörfern“, erzählt Paco. „Aber vor allem fahren wir Reisegruppen, die in den Bergdörfern Wanderungen machen wollen.“ Seit ungefähr zehn Jahren sei der Naturtourismus in der Alpujarra im Kommen, sagt der Einheimische. Und: „Die unterschiedlichen Tourismusarten mischen sich nicht. Die Badetouristen bleiben am Strand und die Naturtouristen lassen sich direkt vom Flughafen in die Berge fahren.“

Mit Hilfe der spanischen Regierung und der Europäischen Union schaffen und erhalten die Kommunen in den attraktiven Naturregionen Andalusiens eine touristische Infrastruktur, die den Bedürfnissen der Naturliebhaber angemessen ist. Verschönerungsprogramme für die landschaftstypischen „weißen Dörfer“ gehören genauso dazu wie die Pflege von Wanderwegen, die Förderung kleiner, familiärer Hotels oder die Unterstützung regionaltypischer Kunsthandwerksbetriebe.

Ein Fünftel der Fläche Andalusiens steht unter Naturschutz – aus gutem Grund. Zahlreiche größere und kleinere Gebirgszüge teilen die Provinz zwischen Atlantik und Mittelmeer in eine Vielzahl unterschiedlichster Klimazonen. Viele Pflanzen, die hier wachsen, sind einzigartig. Viele Vogelarten finden in den tief eingeschnittenen Schluchten oder in den weiten Seegebieten ideale Brutstätten.

Allein der Nationalpark Sierra Nevada schützt ein Gebiet von über 85000 Hektar. Karg und steinig sind hier die Hänge. Metallisch glänzende Schieferbrocken, niedriges Gestrüpp oder Kräuter bedecken den Boden. Die über 3000 Meter hohen und oft bis in die Sommermonate schneebedeckten Gipfel bilden das eindrucksvolle Panorama für alpine Aktivitäten. Mit dem 3400 Meter hohen Mulhacén birgt die Sierra außerdem den höchsten Gipfel des spanischen Festlands.

 

Karg und einsam sind die Höhenzüge der Sierra Nevada. Die Gipfel der südlichen Gebirgskette sind oft bis in den Frühsommer hinein mit Schnee bedeckt.

 

Immer mehr Touristen kommen der Natur wegen nach Andalusien. Zwar entstehen rund um die Tourismuszentren Málaga, Fuengirola, Estepona oder Marbella immer noch neue Hotel- und Ferienhauskomplexe. Gleichzeitig entwickelt sich jedoch bei den Tourismusverantwortlichen der Region die Erkenntnis, dass die Natur- und Kulturschätze im Hinterland ebenfalls gewinnbringend zu nutzen sind.
Geld oder Liebe

Pepe geht das alles zu langsam. Der aus Alicante stammende Spanier lebt und arbeitet seit zwanzig Jahren in Granada. Er ist staatlich geprüfter Fremdenführer und zeigt am liebsten deutschsprachigen Gruppen die maurischen und christlichen Bauwerke Granadas. „Ich lebe seit vielen Jahren in Andalusien“, sagt er. „Es ist schön hier. Aber die Mentalität der Andalusier bleibt mir fremd.“ Er bemängelt die Passivität, mit der viele Südspanier sich in die Arbeitslosigkeit fügen, das organisatorische Chaos und den Mangel an Eigeninitiative.

Während die Nordeuropäer sich in der Mehrzahl als strukturiert, strebsam und intellektuell wahrnehmen, wird der Südeuropäer – selbst von den nur wenige hundert Kilometer nördlicher lebenden Landsleuten – als chaotisch und faul abqualifiziert. So ist schnell erklärt, warum die Arbeitslosenzahlen in Andalusien die höchsten im Land sind, warum es kaum Industrie gibt oder warum der andalusische Liebhaber zwar feuriger sein mag als sein nördliches Pendant, aber dafür weniger im Geldbeutel hat.

Dennoch pilgern die Nordländer jedes Jahr zu Millionen gen Süden, um Klima, Kultur und Lebensstil zu genießen. Wie auf einer Ameisenstraße winden sich jeden Tag Tausende Besucher den Hügel zur Alhambra, der maurischen Festung Granadas, hinauf. Zu dem Herzstück der Anlage, den reich mit Mosaiken, Schnitzereien, Skulpturen und Fresken geschmückten Nasriden-Palästen, gewährt das Tourismusbüro auf Grund des Andrangs nur noch zeitlich limitierten Zugang.

 

Begegnung der Kulturen: Bergbauer Enrique zeigt einer jungen Touristin, wie man in seiner Jugendzeit getanzt hat.

 

Orientalisch ist in – nicht nur bei Touristen. Kneipen, Hotels und Restaurants besinnen sich gerne auf die maurische Geschichte der Region. Schön ist das in jedem Fall, und so manch eine deutsche Touristin stößt begeisterte Schreie aus, wenn sie auf der Damentoilette einen schmiedeeisernen Waschtisch oder buntes Keramikmosaik entdeckt.

Auch die zeitgenössische Architektur lässt sich von 1001 Nacht inspirieren: Hotelneubauten, Diskotheken und Einkaufszentren schmücken sich mit bunten Zwiebeltürmchen, Mosaiken und Fenstern in Schlüssellochform. In Granada zahlt die Elite der Stadt Rekordmieten, um ein Haus oder eine Wohnung in den steilen Gassen des ehemaligen arabischen Viertels, dem Albaicín, zu ergattern – einem Stadtviertel, das in den 80er Jahren als gefährlich galt und trotz seiner traumhaften Lage nur bei Studenten gefragt war.

Heute beginnt die „Gefahrenzone“ ein paar Straßenzüge weiter im Gitano-Viertel Granadas. Das hat sich inzwischen zwar zur Touristenattraktion gewandelt, gilt bei Nacht aber immer noch als unsicheres Pflaster.

 

Bogenfenster in der Alhambra: Buntes Mosaik, polierte Säulen und feinzisselierte Marmorschnitzereien versetzen den Besucher direkt in die maurische Vergangenheit Andalusiens.

 

Flamenco – ein Familienunternehmen

Die seit über 500 Jahren unter schwierigsten Bedingungen in Südspanien lebenden Gitanos sorgen dafür, dass die Flamenco-Kultur in Andalusien lebendig bleibt. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und die hartnäckigen Vorurteile machen es den Gitanos nicht leichter, in herkömmlichen Berufen Fuß zu fassen. Was liegt also näher, als die Vorurteile für sich arbeiten zu lassen: Dass die Zigeunerinnen schön und feurig sind, die Zigeuner stolz und leidenschaftlich, dass sie hervorragende Sänger und Tänzer sind und die Rhythmen und Gesänge des Flamenco von Generation zu Generation weitervererbt bekommen, dass es gerade die Armut ist, die ihre Ausdruckskraft beflügelt und so weiter.

Tausende von Touristen ziehen Abend für Abend in die Gitano-Viertel von Granada, Sevilla oder Cadíz. Für 20–30 Euro können sie da – ganz privat – an einer kleinen Party unter Gitanos teilnehmen, in der Familienwohnung quasi, ein Glas Sangría inklusive. „In diesem Bett hat mich meine Mutter geboren“, sagt José, Oberhaupt eines Gitano-Clans in Granada, und zeigt stolz auf ein stabiles Metallbett im Nebenraum des in den Fels geschlagenen Kneipenraums. Etwa fünfzig Besucher passen in das Gewölbe. Wenn die Nachfrage groß genug ist, finden an einem Abend mehrere Vorstellungen statt. Seit dem Tod der Mutter managt José das Familienunternehmen, von dem einige Onkels, Tanten, Brüder, Schwestern und die dazugehörigen Familien leben müssen.

Authentisch oder nicht – das Publikum kommt an diesem Abend voll auf seine Kosten. Nur von Gitarre, Gesang, Händeklatschen oder Stampfen begleitet und von den Rufen der Gruppe angefeuert, treten die einzelnen Tänzerinnen und Tänzer vor die Gruppe. Sie singen von verschmähter Liebe oder vom Tod und tanzen, dass Röcke und Scherpen fliegen. Ein sicherer Lacherfolg ist es, wenn Zuschauer auf die Tanzfläche geholt und zu unbeholfenen Schritten animiert werden.

Liebesleid, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sind die Themen, die beim klassischen Flamenco in Musik und Tanz ihren Ausdruck finden. Da sich zu viel Leid aber nicht gut verkauft, sind die Flamenco-Shows – je nach künstlerischem Anspruch – eine mehr oder weniger gelungene Mischung aus traditionellen und kommerzialisierten Elementen. „In vielen Kneipen werden die Touristen einfach ausgenommen“, sagt Gerd Pagel, der für mehrere deutsche Reiseveranstalter Reisen durch Andalusien führt. „Die Preise sind zu hoch und mit Flamenco hat das, was da vorgeführt wird, kaum noch etwas zu tun.“

Aber der „echte“ Flameco lebt, und wer Glück hat und ihn bei einem Straßensänger, bei einem Fest am Strand oder in einer Flamenco-Bar erleben darf, kann sich der Ausdruckskraft von Gesang oder Tanz kaum entziehen.

Im Internet-Café „Cíber-Monfi“ im Alpujarra-Dorf Bubión gibt es keinen Flamenco. Dafür tritt hier zu ausgewählten Terminen eine Bauchtänzerin auf. Bis hier hinauf in die Berge hat sich herumgesprochen, dass alles Orientalische zur Zeit gut ankommt. Nur Enrique, der Bergbauer, bleibt den traditionellen Rhythmen treu. „Leg’ einen Pasodoble auf“, ruft er dem Wirt zu, klemmt die Selbstgedrehte in den Mundwinkel und zeigt den Touristen, wie der Spanier tanzt.

Regine Gwinner

 

Ronda ist auf steilen Felsenklippen erbaut. Eine tiefe Schlucht spaltet die Stadt in zwei Teile, die durch eine beeindruckende Bogenbrücke miteinander verbunden sind.

 

 

Informationen

Andalusien hat das ganze Jahr über Saison. Im März und April sorgen die zahlreichen Osterprozessionen in kleinen und größeren Orten für eine ganz besondere Stimmung. Die „Feria de Abril“ stellt außerdem mit Stierkämpfen, Konzerten und zahlreichen Veranstaltungen die Provinzhauptstadt Sevilla auf den Kopf.

Zum Wandern, Reiten oder Radfahren sind die Monate März bis Mai und September und Oktober ideal. Ab Mai ist an Mittelmeer und Atlantikküste sicheres Badewetter. Wer hitzeresistent ist, kann während der Sommermonate das besondere Flair des andalusischen Nachtlebens genießen. Da es tagsüber zu heiß ist, verlagern sich die meisten Freizeitaktivitäten in die Nachtstunden. Bars, Restaurants und Diskotheken sind bis lange nach Mitternacht geöffnet und auf Straßen, Plätzen und Strandpromenaden tobt das öffentliche Leben. In der Johannisnacht feiert ganz Andalusien die „Fiesta de San Juán“ mit Volksfesten, Strandpickinicks und Johannisfeuern. In dieser Nacht ist die spanische Küste von der französischen bis zur portugisischen Grenze von Feuern erleuchtet.

Im Winter wird es ruhiger in Andalusien. Zu dieser Jahreszeit trifft man besonders Langzeittouristen oder Ferienhausbesitzer aus Nordeuropa, die das milde, sonnige Mittelmeerklima der Costa del Sol zu schätzen wissen. Und wer nicht ganz aufs Skifahren verzichten möchte, findet während der kühleren Monate in der Sierra Nevada trotz milden Klimas schneesichere Pisten.

 

Rund- und Wanderreisen in Andalusien bieten an:

Empfehlenswerte Reiseführer:

  • Thomas Schröder: Andalusien, Michael Müller Verlag, 2002, 22,90 Euro
  • Juergen Paeger: Wandern in Andalusien, Dumont aktiv, 2000, 12 Euro


Weitere Infos:
Spanisches Tourismusbüro, Tel.: (030) 8826543, www.tourspain.es


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