Titel 6/2008

Familienmobilität

„Bitte keine teuren Reparaturen“

Die Kosten für Mobilität werden für viele Menschen zu einer immer größeren Belastung. Vor allem einkommensschwache Familien können sich manche Fahrten nicht mehr leisten.

 
Foto: Uwe Dillenberg  
Für die Familie Stoffels aus Hannover sind viele Fahrten
unbezahlbar gewor­den.
 

Die Familie Stoffels aus Hannover führt ein bewegtes Leben. Ihre sieben Kinder halten die 32-jährige Tanja und den 39-jährigen Thomas auf Trab: Die Älteren müssen zur Schule oder in den Kindergarten, die Jüngeren haben Termine bei Ärzten und Therapeuten. Nachmittags wollen die Kinder zum Sport, zu Freunden oder zu Schulveranstaltungen. Außerdem sind fast täglich Einkäufe zu erledigen. „Wir versuchen, das meiste zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu machen“, sagt Tanja Stoffels, „aber vieles können wir nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Taxi erreichen.“

Einen eigenen Wagen besitzt die Familie nicht mehr, dafür fehlt ihnen das Geld. Thomas Stoffels ist seit längerer Zeit arbeitslos und bezieht derzeit Arbeitslosengeld I. Seine Frau ist Hartz-IV-Empfängerin. Das Kindergeld hinzugerechnet, stehen ihnen monatlich rund 2800 Euro zur Verfügung. Davon zahlen sie eine übertragbare Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr zum Preis von rund 60 Euro. Eine weitere Monatskarte für eine der Töchter kostet 21 Euro. Wenn sie mit der ganzen Familie unterwegs sein möchten, kaufen die Stoffels zusätzlich Tagestickets. Etwa einmal im Monat leisten sie sich für Ausflüge oder Besuche bei Freunden für 27 Euro ein „Niedersachsenticket“ der Deutschen Bahn, mit dem fünf Personen einen Tag lang im ganzen Bundesland fahren können.

Bis zu 150 Euro wendet die Familie im Monat insgesamt für Mobilität auf, also etwa fünf Prozent ihres monatlichen Einkommens. Das entspricht ungefähr dem, was im Arbeitslosengeld II vorgesehen ist: Tanja Stoffels dürfte danach monatlich rund vier Prozent ihrer 351 Euro für Mobilität ausgeben. „Viel zu wenig“, findet sie. „Das ist inzwischen einfach nicht mehr angemessen.“ Während die Kosten für den Nahverkehr in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen sind, ist der für Mobilität vorgesehene Betrag im Sozialgesetzbuch (SGB) II deutlich gesunken. Nicht zuletzt deshalb sind viele Fahrten für die Familie Stoffels unerschwinglich geworden. „Im Sommer wollten wir einen Tagesausflug an die Nordsee machen“, erzählt Tanja Stoffels, „aber das war uns zu teuer.“

Freundschaften leiden

Die Steinmanns aus Hannover haben auf ihren diesjährigen Sommerurlaub an der Nordsee lange gespart. Es war ihre erste größere Reise seit Jahren. Monatlich muss die achtköpfige Familie mit rund 2300 Euro auskommen. Der 38-jährige Nils Steinmann verdient als Fernfahrer so wenig, dass er Lohnzuschüsse vom Staat erhält. Kosten für Mobilität schlagen mit bis zu 250 Euro im Monat zu Buche. „Allein für die Fahrten mit dem Auto zur Arbeit zahle ich bis zu 160 Euro Spritgeld“, sagt Steinmann. Als die Benzinpreise im vergangenen Frühjahr in die Höhe schnellten, hat er überlegt, den Wagen zu verkaufen. Aber der 38-Jährige braucht das Auto, um damit zur Arbeit zu kommen. Ungeplante Kosten könnten in einer beruflichen Katastrophe münden: „Ich bete jeden Tag, dass keine teure Reparatur anfällt.“

Die Familie Steinmann verkneift sich Fahrten mit dem Auto oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn sie nicht unbedingt nötig sind. Das geht zu Lasten von Freundschaften und familiären Beziehungen. Seine Verwandten in Aachen hat Steinmann seit Jahren nicht besucht: „Mit der Bahn dort hinzufahren, ist für uns Luxus pur.“ Auch viele Wünsche ihrer sechs Kinder zwischen sechs und 20 Jahren können die Eltern nicht erfüllen. „Sie geben es zwar nicht zu, aber sie leiden schon darunter, dass wir für viele Fahrten kein Geld haben“, sagt Nils Steinmann.

Bus und Bahn für alle

Die Familie würde es sehr begrüßen, wenn die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs für sie deutlich billiger wäre. Während über die Einführung eines ermäßigten Sozialtickets in der Region Hannover derzeit noch politisch diskutiert wird, haben Berlin, Köln und Dortmund damit bereits gute Erfahrungen gemacht. Die Grünen in Nord-rhein-Westfalen machen sich deshalb für eine Ausweitung des Dortmunder Modells stark und haben einen Antrag im Landtag eingereicht: Danach sollen einkommensschwache Bürger für monatlich 15 Euro ein Sozialticket kaufen können, das Fahrten im Stadtgebiet ermöglicht. Die entstehenden Einnahmeverluste der Verkehrsbetriebe soll das Land ausgleichen. Die Grünen gehen von 1,9 Millionen Anspruchsberechtigten in NRW aus, die Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II beziehen. Legt man pro Person einen Zuschuss von 47 Euro jährlich zugrunde, der in etwa den Ausgleichszahlungen für Schüler- und Studententickets entspricht, müsste das Land für das Sozialticket im kommenden Jahr 30 Millionen Euro in den Haushalt einstellen.

Gut investiertes Geld, finden die Grünen. Auch für die Verkehrsunternehmen: Diese könnten neue Kunden gewinnen, außerdem würden die Kosten beim Einzelfahrscheinverkauf reduziert und der Anteil der Schwarzfahrer gesenkt. An erster Stelle steht für die Grünen aber die sozialpolitische Verantwortung des Staates. „Für die Teilhabe an der Gesellschaft ist Mobilität unverzichtbar“, sagt Landtagsmitglied Horst Becker, der Mobilität als ein Grundrecht wertet. Auch Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des VCD, weist auf die Pflicht des Staates zur Daseinsvorsorge hin: Jeder Mensch sollte so mobil sein, dass er die Dinge des Alltages verrichten könne. Ähnlich sieht es die Linke im Bundestag: Sie setzt sich dafür ein, dass die Deutsche Bahn ein Sozialticket einführt, das fünf Euro kosten und der Bahncard 25 entsprechen soll. Besitzer dieses Tickets bekämen Bahnfahrscheine also für ein Viertel günstiger.

Darüber, dass Mobilität für alle Bürger möglich sein muss, herrscht weitgehend gesellschaftlicher Konsens. Wenn es um die Förderung des Individualverkehrs mit dem Auto geht, scheiden sich hingegen die Geister. „Neuwagen für ein oder zwei Jahre von der Kfz-Steuer zu befreien, wie es die Bundesregierung plant, gehört eindeutig nicht zu den sozialpolitischen Aufgaben des Staates“, betont Gerd Lottsiepen. „Solch eine Subventionierung ist ein Schritt in die falsche Richtung.“ Vielmehr solle der Absatz umweltverträglicherer Autos durch eine möglichst schnelle Reform der Kfz-Steuer gefördert werden, die sich nicht mehr nach Hubraum, sondern nach CO2-Ausstoß bemisst.
Wenn es ums Auto geht, geraten Umwelt- und Sozialpolitik mitunter in Konflikt: In Städten mit Umweltzonen dürfen Fahrzeuge ohne entsprechende Plakette nicht mehr fahren. Doch trotz staatlicher Förderung hat nicht jeder das Geld, seinen Wagen mit einem Rußpartikelfilter nachrüsten zu lassen. Der Kauf eines neuen, umweltverträglicheren Autos ist dann erst recht nicht drin. Eine Hilfe könnten günstige Autokredite für Geringverdiener sein – auch das eine Überlegung der Bundesregierung.

In vielen Großstädten lohnt sich der Pkw-Besitz allerdings gar nicht. Berücksichtigt man den Wertverlust, kostet der Unterhalt eines Neuwagens nach Angaben des Verkehrsclubs Deutschland im Schnitt zwischen 400 und 500 Euro monatlich. Der VCD hat Vergleichsrechnungen für drei unterschiedliche Berliner Haushalte aufgestellt: Danach sind die Kosten für Automobilität teilweise beträchtlich höher als für alle Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr, der Bahn, dem Leihwagen und dem Taxi zusammen.

Trotzdem sehen die meisten Menschen das eigene Auto weiterhin als unverzichtbar an. Auch die Arbeitsagentur berücksichtigt Fahrzeuge im Wert von bis zu 7500 Euro grundsätzlich nicht als Vermögen, wenn es die Leistungen nach Hartz IV berechnet. So wundert es nicht, dass auch Thomas Stoffels davon ausgeht, sich eines Tages wieder einen Wagen leisten zu können. „Die laufenden Kosten werden wir schon irgendwie bezahlen können“, hofft der siebenfache Vater.

Sebastian Hoff

   
 

Wer mehr verdient, ist mobiler

Ihre Mobilität lassen sich die Deutschen viel kosten: Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2005 gab ein Haushalt im Durchschnitt 270 Euro im Monat für Verkehr aus. Das entspricht 13,5 Prozent der privaten Konsumausgaben und in etwa dem, was für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren bezahlt wurde. Hinzu kamen monatlich durchschnittlich 35 Euro für die Kfz-Versicherung. Das eigene Auto ist den Deutschen besonders lieb – und teuer: Von den 270 Euro für Verkehr entfielen allein 74 Euro auf Kraftfahrzeuge sowie weitere 80 Euro auf Sprit und Öl. Zum Vergleich: Für Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr wurden insgesamt nur 32 Euro im Monat aufgewendet.

Wer weniger verdient, gibt anteilig auch weniger für Mobilität aus: Haushalte mit einem Nettoeinkommen von unter 1300 Euro im Monat wendeten für Verkehr durchschnittlich 83 Euro auf. Das entsprach 8,6 Prozent der privaten Konsumausgaben. Bei einem Nettoeinkommen zwischen 2600 und 3600 Euro betrug der Anteil 14,5 Prozent, also durchschnittlich 332 Euro im Monat.

Arbeitnehmer gaben 14,9 Prozent ihrer privaten Konsumausgaben für Verkehr aus und damit deutlich mehr als Arbeitslose (11,5 Prozent).

 

   
 

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