Titel 6/2008

Interview

Not macht erfinderisch

Jürgen Strobel fährt Fahrrad, besitzt ein Abonnement im Verkehrsverbund und hat sich ein Wohnprojekt mit ökologischem Mobilitätskonzept gesucht. Ein Gespräch über enttäuschte Erwartungen, spontane Ausflüge und überraschende Einfälle.



 
Foto: Christian Baron  
Der 69-jährige Bonner Jürgen Strobel
lebt von 620 Euro im Monat und ist mit Bus, Bahn und Fahrrad mobil.
 

fairkehr: Herr Strobel, Sie haben vor ein paar Jahren beschlossen, trotz Sozialhilfe ein möglichst mobiles Leben zu führen.
Jürgen Strobel: Ich wollte ursprünglich gern aufs Land ziehen und auf einem Ökobauernhof leben, dort mitarbeiten und in einer Gemeinschaft leben, in der man sich zum Beispiel Autos teilt. Das hat nicht geklappt. Das Wohnprojekt Amaryllis in Bonn schien ein guter Kompromiss zu sein. Die Idee vom Zusammenleben mehrerer Generationen und Integration von sozial Schwächeren hat mir gefallen. Auch ein ökologisches Mobilitätskonzept war geplant, ein sehr wichtiger Punkt.

fairkehr: Nach einem Jahr haben Sie gekündigt, was ist schiefgelaufen?
Strobel: Einiges. Zum Beispiel sind meine Ideen, was das CarSharing betrifft, überhaupt nicht gehört worden. Ich hätte gern ein offenes modernes System gehabt, in dem die Autos in einem Pool allen zu Verfügung stehen. Aber die Menschen hängen doch zu sehr an ihrem Besitz. Das hat mich enttäuscht. Da hatte ich mehr erwartet. Was jetzt stattfindet, ist uralt.

fairkehr: Inwiefern?
Strobel: Es funktioniert wie eine einfache Autovermietung mit einer Kilometerpauschale zwischen 25 und 30 Cent – das kann ich mir mit meiner kleinen Rente plus Grundsicherung nicht leisten. Ich habe 620 Euro im Monat zu Verfügung – da geht die Miete noch weg. Ich kann nicht 25 Euro für eine Fahrt nach Köln ausgeben. Außerdem quälen sich vier bis fünf Menschen mit einem Auto herum. Wenn ich mal eins brauche, ist meist keins frei.

fairkehr: Was ist dann Ihre Alternative?
Strobel: Zum Beispiel habe ich mir den Fuß verletzt und konnte selbst den kurzen Weg zum Arzt nicht laufen. So kurzfristig war kein Wagen frei. Ich hab dann in der Not bei meinem Nachbarn geklingelt, der ist Rollstuhlfahrer. Er hat ihn mir für den Arztbesuch geliehen.

fairkehr: Hatten Sie früher ein eigenes Auto?
Strobel: Ja, als ich noch im Beruf war. Als freier IT-Berater war ich aufs Auto angewiesen. Ich wollte mich verändern und bin in die Gastronomie gegangen. Leider zur falschen Zeit und am falschen Ort. Irgendwann konnte ich mir das Auto nicht mehr leisten, da habe ich es abgeschafft.

fairkehr: Hätten Sie es gern behalten?
Strobel: Ja klar. Aber ich hab dann eben die Realität akzeptiert und mir Wohnungen gesucht, die gut an den öffentlichen Verkehr angebunden waren.

fairkehr: Fahren Sie auch Fahrrad?
Strobel: Ja. Das Rad benutze ich für die meisten Wege, wenn das Wetter es zulässt. Sonst fahre ich mit der Straßenbahn.

fairkehr: Was hat sich in Ihrem Mobilitätsalltag verändert?
Strobel: Mit dem Auto fährt man ja schon in einer Art Pseudohülle umher und bekommt von außen nicht so viel mit. Im ICE ist die Atmosphäre ja noch recht entspannt. Aber im Nahverkehr ist das Klima oft rauer. Man sitzt mit vielen Menschen zusammen auf engem Raum – da sind auch schon mal Radaubrüder dabei. Daran habe ich mich inzwischen gewöhnt. Aber ich kann mich nicht an alles gewöhnen.

fairkehr: Zum Beispiel?
Strobel: An grölende Biertrinker im Zug. Da fliegen die Flaschen im Waggon umher. Das ist laut und einfach rücksichtslos.

fairkehr: Ist also alles schlechter ohne Auto?
Strobel: Nein. Als Fußgänger und Radfahrer nehme ich die Stadt jetzt viel intensiver wahr, entdecke immer neue Ecken. Von daher hat sich die Lebensqualität sogar erhöht, ich erlebe mehr Nähe zu meiner Umgebung. Aber spontane Ausflüge am Wochenende sind kaum möglich. Mal schnell in die Eifel fahren, wenn das Wetter schön ist – das fehlt mir.

fairkehr: Ist die Bahn keine Alternative?
Strobel: Sie ist mir zu teuer. Dabei leiste ich mir für den Stadtverkehr schon ein Jahresabonnement für Rentner. Das kostet 45 Euro im Monat. Erst ab 19 Uhr kann ich den gesamten Verkehrsverbund nutzen. Im Sommer fahre ich manchmal abends in die Eifel und nehme das Fahrrad mit. Allerdings brauche ich sehr lange, bis ich am Ziel bin – eineinhalb bis zwei Stunden. Aber ich will nicht jammern. Das Ticket ist schon gut. Es wäre noch besser, wenn es schon vor 19 Uhr im gesamten Verbund gelten würde.

fairkehr: In manchen Städten wird über ein Sozialticket diskutiert für finanziell schlecht gestellte Bürger. Es soll 15 Euro im Monat kosten. Würde ein solches Ticket Ihre Lebensqualität verbessern?
Strobel: Auf jeden Fall. Das würde ich sofort kaufen, das ist ja sehr günstig. Eine gute Idee.

Interview: Valeska Zepp

   
 

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