Reise 6/2008

Winterreise

Ab in die Berge

Wenn’s in den Bergen schneit und die Temperaturen unter null Grad fallen, legt die Natur eine Pause ein und die Wintersportler werden unruhig­. fairkehr empfiehlt­ Winterurlaub ohne Hektik, Staus und Schneeketten, plädiert für Pisten­ mit Gleisanschluss und verbringt sonnige Nachmittage auf dem Eis.

 

Fotos: Uta Linnert

Engadiner Winterspiele

Stein am Griff fassen, tief gehen, am Hack, dem Startblock, abstoßen und nach einer Phase des Nach-vorn-Rutschens den Curlingstein in einer leichten Drehung loslassen – dann schlittert die steinerne Wärmflasche mit dem knallroten Griff übers Eis. Die Regeln sind erst mal nebensächlich und auf die korrekte Haltung achten wir später: Wir wollen spielen. Ein Gefühl dafür bekommen, wie rutschig das Eis ist, wie lang das Spielfeld, wie schwer der Curlingstein und wie leicht er über den gefrorenen Platz saust. Die glattpolierte Eisfläche glitzert in der Sonne und die weißen Gipfel des Oberengadins geben vor tiefblauem Winterhimmel die perfekte Kulisse für ein paar Curling-Übungsstunden auf dem Eisplatz von Celerina.
„Das Ziel im Curling besteht darin, möglichst viele eigene Steine sehr nahe beim Zentrum zu platzieren, beziehungsweise zu verhindern, dass dies dem Gegner gelingt”, erklärt Marcus Luchsing das Prinzip. Der 58-jährige Schweizer, der den Sommer über am Zürichsee wohnt, ist seit vier Jahren Curlingtrainer hier oben in Celerina. Das Haus – die drei ineinanderliegenden Kreisflächen, auf die wir zuspielen – ist etwa 42 Meter vom Abspielplatz entfernt. Das Spielfeld ist nicht breiter als 4,30 Meter. Der Granitstein samt Griff wiegt etwa 20 Kilo. Er soll „curlen“, das heißt, sich um seine eigene Achse drehen, je nach Abstoßrichtung mal gegen, mal mit dem Uhrzeigersinn.

 

 

Anfängerglück – oder Geschick?

Schnell erzielen wir unter den Anleitungen von Trainer Luchsing erste Erfolge. In der Nähe des Hauses landen die Steine eigentlich immer. Und ob es Können oder Glück ist, dass der soeben losgeschickte Stein den gegnerischen aus dem Zielfeld stößt, ist heute egal: Es macht Spaß, der Ehrgeiz ist geweckt und lässt auch leidenschaftliche Skifahrer glatt vergessen, wie viel frisch beschneite Pisten am Corvatsch oder oben auf der Corviglia auf sie warten.

Als erste Wintertouristen der Schweiz brachten die Engländer Mitte des 19. Jahrhunderts das Curling ins Engadin. Ans Pistenskifahren dachte damals noch niemand. Bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts dominierten die Sportarten auf Eis – auf präparierten Flächen oder auf den zugefrorenen Seen. Jedes große Hotel hatte seinen Eisplatz. Wie noch heute waren sie aus Natureis. Dann erst machten die Engländer den alpinen Skilauf zum Breitensport. Er trat seinen Siegeszug mit tatkräftiger Unterstützung der reiselustigen Deutschen an. Die Einstellung zum Wintersport änderte sich, wie bekannt ist, total, und die Folgen der Skiindustrie mit ihrer brachialen Infrastruktur sind heute ringsum auf den Bergen nicht zu übersehen.

Dem Curlingsport ist das Ringen um Technik, Muskel­aufbau und Kondition völlig fremd. Die friedliche Stimmung auf dem Dorfplatz, Geseselligkeit und vor allem der Spaß am Spiel locken die Menschen aufs Eis. „Curling kann man unabhängig vom Alter spielen, es ist ein idealer Sport für Pensionisten“, sagt Trainer Marcus Luchsing, der selbst erst mit über 40 Jahren angefangen hat. „Man lernt schnell Leute kennen und spielt in gemischten Mannschaften. Oft haben die Frauen wegen ihrer größeren Geschicklichkeit die Nase vorn.“ Auf dem Nachbarfeld zeigt gerade eine größere Gruppe 18- bis 20-Jähriger, dass auch Jugendliche einen fröhlichen Nachmittag auf dem Curlingplatz haben können. Offensichtlich nicht zum ersten Mal stoßen sie gekonnt und gut gelaunt die Curlingsteine übers Eis.

„Mehr noch als bei anderen Mannschaftssportarten ist das sportliche, faire Verhalten integraler Bestandteil des Curlings”, erläutert Trainier Luchting die Regeln. Man freut sich über den eigenen Erfolg, erkennt aber auch die Leistungen der gegnerischen Mannschaft an und biegt sich möglichst nicht vor Lachen, wenn der Gegner, wie es uns Anfängern leider passiert, auf der glatten Spielfläche das Gleichgewicht verliert und nach vorn auf die Knie kippt.

Ausrüstung braucht man so gut wie keine. Profis spielen in Curlingschuhen, wir haben uns Überzieher ausgeliehen, damit die Sohlen unserer Wanderschuhe besser rutschen. Und natürlich einen Besen. Das kennt jeder von den Profis aus dem Fernsehen – spätestens seit Curling olympische Sportart ist. Wer den Stein losstößt, stützt sich damit ab, die Spieler auf dem Feld wischen, um dem Stein die Bahn zu glätten, ihn in die richtige Richtung zu lenken oder zu beschleunigen. Das sind dann aber schon Feinheiten, die Hobbyspielerinnen und -spieler nicht unbedingt beherrschen müssen und auch nicht am ers­ten Nachmittag perfekt lernen.

Ein schöner Brauch beim Curling ist, dass die Siegermannschaft nach dem Spiel den Unterlegenen einen Drink spendiert. Das können wir schon – und auf der sonnigen Terrasse des Eisportcenters Celerina ist auch noch ein Tisch frei.

Uta Linnert

   
 

Curling: In fast jedem Dorf im Engadin ist von Dezember bis März eine Natur­eisbahn in Betrieb – fürs Schlittschuhlaufen oder Curling. Schnupperkurse bieten die örtlichen Eissportzentren. Alle Infos über www.engadin.stmoritz.ch und www.graubuenden.ch

Wohnen: Teuer war gestern, jung und hip ist heute – die Inn-Lodge in Celerina bietet einfache Ferien in zeitgemäßem Stil. Hier gibt es ein Bett im 12er-Zimmer für 22 CHF, Studios für vier Personen kosten zwischen 160 und 190 CHF die Nacht. www.innlodge.ch
Design und traditionelle Qualität verbindet das Hotel Misani in Celerina je nach Anspruch für großes, aber auch kleineres Budget: www.hotelmisani.ch

   
 

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