Politik 6/2008

Europäische Bahnprojekte II

Schneller Freunde

Weit über eine Million Deutsche und Franzosen nutzten 2008 den neuen TGV Ost als schnelle Annäherung an den Nachbarn.

Foto: Michael Adler
Trotz guter Zusammenarbeit den eigenen Charakter bewahren: ein deutsch-französisches Schaffner-Team in landestypischen Uniformen.

„Das einzige, was stimmte, war die Spurbreite“, beschreibt Alleo-Marketingleiter Werner Ried die Größe der Aufgabe. Bevor sich der neue TGV mit Hochgeschwindigkeit auf den Weg von Frankreich nach Deutschland machen konnte, galt es für die zu diesem Zweck gegründete deutsch-französische Firma Alleo, zahlreiche Hindernisse zu überwinden. Eines davon war die Sprachbarriere: Ein Lokführer muss auf der Strecke zwischen Stuttgart und Paris fünf Sicherheitssysteme in zwei Sprachen beherrschen. Daher ist Zweisprachigkeit ein entscheidendes Kriterium bei der Auswahl des Personals. Aus Respekt für beide Kulturen gibt es aber keine Vereinheitlichung beim Erscheinungsbild. „DB- und SNCF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter treten in der jeweils eigenen Firmenuniform auf“, erklärt Werner Ried.

Das Niveau der Bordküche orientiert sich an französischen Ansprüchen: In der ersten Klasse werden sogenannte Gourmet-Köfferchen am Platz serviert. Darin finden sich Linsensalat mit Senfsauce und Westfälischem Schinken oder geschnetzeltes Hühnchen in Koriandersauce, zum Dessert feins-te Schokoladen. „Den Alleo-Menüs bescheinigen auch anspruchsvolle Kritiker Traitteur-Niveau“, zeigt sich Werner Ried stolz auf das bisher Erreichte. Das Alleo-Angebot scheint auch bei den Kunden anzukommen. „1,2 Millionen Passagiere werden wir bis Ende 2008 auf beiden Routen, Stuttgart–Paris und Frankfurt–Paris, befördert haben“, prognostiziert Ried. Die durchschnittliche Auslastung liege damit höher als im nationalen ICE-Verkehr der Deutschen Bahn. Da viele Franzosen Deutschland immer noch für ein kulturloses Land im Norden halten, muss Ried als Marketingleiter nicht nur einen Zug, sondern gleich ein ganzes Land bewerben: „Die Kunstszene in Stuttgart und Frankfurt zu vermitteln oder die guten Anschlüsse nach München und Berlin hervorzuheben – das ist die eigentliche Herausforderung.“ Dafür wissen die wenigsten Deutschen, dass es neben Paris unzählige weitere Bahnverbindungen in Frankreich gibt: nach Bordeaux, in die Bretagne, in die Normandie oder ans Mittelmeer.

Die Konkurrenz am Himmel gibt sich bereits teilweise geschlagen: Wie schon auf der Thalys-Strecke Köln–Paris hat die Billig-Airline Germanwings auch den Flugverkehr von Stuttgart und Frankfurt nach Paris eingestellt. Der Chef von Air France räumte kürzlich ein, dass die französische Staats-Airline die Konkurrenz auf der Schiene ebenfalls schmerzlich spürt. Manchmal kommt auch der Zufall zu Hilfe. Wegen eines Flugstreiks musste eine Gruppe Mitarbeiter der Softwareschmiede SAP auf die Bahn umsteigen. Werner Ried betreute die Computerspezialisten selbst. „Für die fluggewohnten Fahrgäste offenbarte sich eine neue Welt“, stellt er zufrieden fest. Service und Geschwindigkeit sorgten für Begeisterung. Der eigentliche Clou war die Erkenntnis, dass die SAP-Mitarbeiter vom ICE-Halt Mannheim mit der S-Bahn direkt zur Firma fahren konnten, schneller und einfacher als vom Frankfurter Flughafen aus. Die Buchungen aus dem SAP-Standort Walldorf haben seither signifikant zugenommen. 

Der Saarländer Ried, der selbst virtuos zwischen französisch und deutsch wechselt, ist selbst am meisten begeistert von „seiner“ Bahnstrecke: „Mit 320 km/h Spitzengeschwindigkeit sind wir nicht nur die schnellste kommerzielle Bahn. Diese Bahnstrecke belebt die deutsch-französische Freundschaft neu. Nie war man so schnell und einfach beieinander.“  

Michael Adler

   
 

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