Politik 6/2008

Kommentar

Nicht aufgehoben

Die Teilprivatisierung der DB AG ist verschoben worden.
Der Staat muss jetzt die verkehrspolitischen Weichen stellen.

FotoS: DB AG/Markus Piekarsky
Zerbrochene Träume für Bahnchef Mehdorn: Sein Börsengang ist verschoben und seine ICEs müssen ständig zur Wartung.

Stellen wir uns vor: Die „Kapitalmarktprivatisierung von Teilen der DB AG“ hätte wie geplant im Oktober stattgefunden. Kurz nach dem Börsengang kommt heraus, dass der Fernverkehr wegen Mängeln bei ICEs in den kommenden Monaten nur eingeschränkt fährt. Auch der Nahverkehr macht Probleme mit zu schwachen Bremsen in Regionalzügen. Fahrpläne werden nicht eingehalten, Fahrzeiten verlängern sich, Güterzüge stehen im Stau, Kinder werden im Dunkeln an dichtgemachten Bahnhöfen aus dem Zug geworfen – und, und, und. Es gäbe einen lauten Aufschrei, selbst von den Investoren und womöglich sogar vom derzeitigen Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee. Und die meisten Menschen wären schon jetzt überzeugt, dass der Bahnbörsengang falsch gewesen sei.

Nun ist die Teilprivatisierung des letzten großen Staatsunternehmens verschoben worden. Und die Öffentlichkeit interessiert sich mehr für Bonuszahlungen an DB-Chef Hartmut Mehdorn als für die akuten, aber nicht neuen Probleme, unter denen Bahnkunden zu leiden haben. Für die Verschiebung des Börsengangs waren keine verkehrspolitischen Gründe verantwortlich. Ansätze für eine nachhaltige Mobilität spielten bei den zähen und wirren Privatisierungsdiskussionen in der Vergangenheit gar keine Rolle. Die Entscheider wollten neben den einmaligen Einnahmen aus der Teilprivatisierung einen neuen globalen Logistik-Champion aufbauen. Wie es aussieht, war das den Investoren allerdings kaum etwas wert.

Noch ist nicht klar, ob der Bahnbörsengang kommt oder im Bundestagswahlkampf sein (vorläufiges) Ende findet. Gleichwohl gibt es den politisch Verantwortlichen nach vielen Jahren wieder Zeit, die Weichen für ein zukunftsfähiges System Schiene zu stellen. Angesichts von Klimawandel, Ressourcenverknappung, langfristig steigenden Mineralölpreisen und Wachstumsprognosen insbesondere auch für den Güterverkehr ist die Politik in der Pflicht – nur die Politik.

Endlich einmal Nein sagen

Man kann dem Vorstand der DB AG vieles vorwerfen. Eines jedoch nicht: Die Verantwortung fürs Gemeinwohl liegt weiterhin ausschließlich bei der öffentlichen Hand! Diese grundgesetzliche Verantwortung ist mitnichten auf die Infrastruktur beschränkt. Sie gilt gleichermaßen für die Verkehrsangebote auf der Schiene. Auch ohne eine Teilprivatisierung hat die DB AG leider erst einmal nur einen Auftrag: Geld zu verdienen.

Die öffentliche Hand dagegen muss endlich ihre Hausaufgaben machen. Die steuerliche Benachteiligung der Eisenbahn gegenüber anderen Verkehrsträgern muss aufhören. Damit Mobilität für alle bezahlbar bleibt, müssen Kürzungen bei den Bahnen zurückgenommen und Investitionen langfristig gesichert werden. Damit Bahnfahren noch attraktiver wird, muss der Bund ein Taktfahrplansystem nach Schweizer Modell vorantreiben. Damit Züge künftig nicht im Stau stehen, müssen Priorität und Finanzierung der Infrastrukturvorhaben stimmen, Tenor: mehr Kapazitäten statt unnützer Prestigeprojekte. Damit die öffentlichen Gelder effizient ausgegeben werden und öffentliches Eigentum nicht verschlissen wird, braucht es einen wirksamen Mix aus Verträgen, Regulierung und Kontrolle. Und solange die DB AG im Fernverkehr Monopolistin ist, muss ein Verkehrsministerium bei ungebührlichen Preiserhöhungen endlich einmal Nein sagen.

Die Verschiebung der Bahnprivatisierung gibt dem Staat die Chance, die Defizite der vergangenen 15 Jahre anzupacken und seiner Verantwortung für das System Schiene gerecht zu werden. Neben Gesetzen wird dazu aber auch Geld benötigt. Trotz der aktuellen Finanzkrise ist dieses Geld da, es wird bloß falsch ausgegeben: sei es für unsinnige Kfz-Steuer-Befreiungen oder Direkthilfen für die Autoindustrie. Die erwarteten Erlöse der DB-Teilprivatisierung wären angesichts der Höhe dieser Hilfspakete noch nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen.

Foto: VCD

Michael Gehrmann


Mehr lesen unter:
www.vcd.org/bahnprivatisierung.html

   
 

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