Titel 5/2008

Grün, grüner – Paris?

Die Bilanz der Verkehrspolitik an der Seine erscheint durchwachsen.

 
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Paris ist Sternpunkt – alle Wege führen ins Zentrum. Nicht nur bei den Straßen, auch beim öffentlichen Verkehrssystem mangelt es an Querverbindungen.  

Die Sommermode der letzten Saison in Paris gleicht der vorjährigen aufs Haar: Öko, respektive Fahrradfahren ist in. Zu verdanken ist das dem Sozialdemokraten Bertrand Delanoë, Oberbürgermeister seit April 2001, vor allem aber Denis Beaupin, seinem grünen Verkehrsstadtrat während der ersten sieben Jahre. Als „Öko-Ayatollah“ ist Letzterer bei seinen Kritikern verschrien, besonders bei den Autofahrern. Sie fühlen sich wie der Schwarze Peter der Pariser Verkehrspolitik. Nach sieben Jahren rot-grüner Rathauspolitik resümiert eine Hauptstadtbewohnerin: „In Paris Auto zu fahren ist ein Unding geworden. Dafür lebt man hier nun besser.“

Angetreten hat Delanoë sein erstes Mandat mit einem klaren Versprechen: „Wir wollen den öffentlichen Raum besser unter den unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern aufteilen.“ Das Jahrzehnte gültige Dogma des „tout auto“, der Vorherrschaft des Automobils, will er brechen. Dies beflügelt seine rechte Hand Beaupin zu konsequenten Taten gegen die chronische Luftverschmutzung und den drohenden Verkehrskollaps. Unter seiner Ägide werden die „pistes cyclables“, das Wegenetz für die Drahtesel, fast verdoppelt, auf nunmehr über vierhundert Kilometer Länge. Außerdem entstehen 25200 neue Parkplätze für Zweiräder, zu Lasten von 3000 Autoparkplätzen. Das Netz der Busspuren wird vergrößert und in 36 Kleinquartieren wird energisch für Verkehrsberuhigung gesorgt. Die Taktik Zuckerbrot und Peitsche erstreckt Beaupin auch auf die Parkgebühren: Anwohner zahlen in ihrem Viertel 50 Centimes für 24 Stunden, alle anderen zwei Euro pro Stunde. Und mittlerweile fährt jedes zweite Fahrzeug aus der Flotte der Stadtverwaltung mit Biotreibstoff oder Elektroantrieb.

Ökohits: Tram und Vélib’

Auf dem Kuchen des rot-grünen Rathausteams thronen zwei Kirschen: die T3 und Vélib’. Bei Ersterem handelt es sich um die Straßenbahn, die seit Winter 2006 am südlichen Stadtrand entlangfährt. Die erste Tram seit knapp sechzig Jahren. Und ein Erfolg: Auf 100000 Fahrgäste täglich im Wochenbetrieb hofften die Verantwortlichen bei der Einweihung, achtzehn Monate später sind es 110000 Passagiere. Und damit doppelt so viel wie auf der Buslinie, die hier vorher unterwegs war. Im vergangenen Frühjahr wurde eine öffentliche Studie zur Verlängerung der Linie T3 gestartet – das versprach Delanoë im Falle seiner, de facto erfolgten, Wiederwahl. Der öffentliche Verkehrsbetrieb RATP plant nun 14,2 weitere Kilometer via Osten bis in den Norden der Kapitale, mit direkter Anbindung an zahlreiche Buslinien Richtung Zentrum. Das zweite Erfolgskind ist Vélib’: 20000 Mietfahrräder, gedacht für Kurzstrecken in der Stadt, mit einem weitverzweigten Standort-Netz, eingeführt im Juli 2007. „Anfang September wurden die Mieträder schon täglich im Schnitt einhunderttausend Mal genutzt“, vermeldete Taufpate Denis Beaupin im November 2007. Mehr auf grünen Kurs konnte Delanoë auch die Verantwortlichen bei den Verkehrsbetrieben RATP bringen: Am Wochenende fährt die Métro eine Stunde länger, bis halb zwei morgens. Und eingerichtet wurde ein Nachtbusverkehr, dessen Linien bis in manche Vororte reichen.

Seit 2001 hat sich die Lichterstadt vergrünt und Radfahren gilt heute nicht mehr als Kamikaze-Akt, sondern schlicht als die schnellste Fortbewegungsmethode in Paris. Und Autofahren als die langsamste. Kein Wunder, dass nur noch knapp die Hälfte aller Haushalte in der Hauptstadt über einen Pkw verfügt. Wozu auch – das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs hier gilt als mit das beste weltweit. Vor zehn Jahren waren in Paris 19 Prozent mehr Autos unterwegs als heute.

Schlechte Luft trotz grüner Politik

Doch die Luftqualität hat sich nicht entsprechend verbessert. Im Gegenteil: Die Luftverschmutzung stagniert hartnäckig. Der radikale Anti-Auto-Kurs der Stadtverwaltung ließ viele umsteigen – aufs Motorrad. Und wohl aus Kostengründen setzt da mancher auf einen Zweitakter. Der aber bläst mehr Dreck in die Luft als viele Pkw. Des Weiteren ist in den vergangenen Jahren der Lieferwagenverkehr um ein Viertel angestiegen, der Busbetrieb um zehn Prozent.

 
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Neu: Fahrradwege am Place de la Concorde  

Dass die Autos massiv aus den verkehrsberuhigten Zonen vertrieben wurden, sorgt andernorts, logischerweise, für ein erhöhtes Verkehrsaufkommen. Vor allem auf dem Périphérique, der ringförmigen und bis zu vierspurigen Stadtautobahn rund um die Seine-Metropole. Da wirken die Schilder mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h wie schierer Hohn –tagtäglich schleichen die Vierradfahrer mit Tempo fünfzehn dahin, hier herrscht Dauerstau. Also tendenziell Dauersmog. Apropos Staus: Auf das Team Delanoë/Beaupin geht ein verkehrspolitisches Novum zurück, ereifert sich mancher Autofahrer: die Einführung des Nachtstaus. Auf die Frage, ob sich in Paris heute besser atmen lasse als vor fünf, sechs Jahren, antworten die Verantwortlichen bei Airparif, dem unabhängigen Verein, der im öffentlichen Auftrag die Luftqualität in und um die Kapitale misst, mit einem vorsichtigen „Jein“. Zwar ist die Stickoxid-Belastung im Stadtbereich zwischen 2002 und 2007 um 32 Prozent zurückgegangen, doch liegt sie mancherorts weiterhin über dem Grenzwert. Und zudem steigen die Ozonwerte ebenso wie die des Feinstaubs. Gern nennt Stadtoberhaupt Delanoë den Rückgang der Stickoxid-Belastung als einen Erfolg seiner Verkehrspolitik. Airparif korrigiert: Dieses Maßnahmenbündel sei nur verantwortlich für einen Schadstoffrückgang um sechs Prozent. Die restlichen zweiundzwanzig gingen vor allem auf das Konto neuer, schadstoffärmerer Autotechnik. Letztendlich trägt Bertrand Delanoë Zweckoptimismus zur Schau. Sein Hoheitszentrum, mit zwei Millionen Einwohnern, liegt mitten im Pariser Becken, mit neun Millionen Einwohnern. Die Seine-Metropole konzentriert ein Drittel aller Arbeitsplätze des Großraums. Und selbst für manchen, der im Nachbarort jobbt, führt der schnellste Weg dorthin über Paris – und zwar im Auto. Weil es im regionalen öffentlichen Verkehrssystem an Querverbindungen zwischen den einzelnen Vororten mangelt. Paris ist Sternpunkt – und damit Opfer des Autoverkehrs von rundherum. „Bis 2020 soll der Autoverkehr in Paris um vierzig Prozent reduziert werden“, kündigte der Oberbürgermeister nach seiner Wiederwahl im April 2008 an. Im Wahlkampf war das Thema Luftverschmutzung erstmals Dauerbrenner.
Paris autofreier zu machen – ein mehr als ehrgeiziges Ziel. Eine Pendlermaut kommt für die Stadtväter nicht in Frage: „Wir wollen die Autofahrer nicht nach dem Portemonnaie aussortieren“, ereiferte sich schon vor Jahren der grüne Verkehrsstadtrat Beaupin. Jetzt ist geplant, nach dem Vorbild der Mieträder 2000 sogenannte „Autolib’“, kleine Elektroautos, einzuführen. Große Hoffnungen setzen die Hauptstadtpolitiker aber vor allem auf eine neue ringförmige Métrolinie rund um Paris herum. Kostenpunkt: bis zu zehn Milliarden Euro. Um die Zusage kämpft nun Delanoë mit dem ihm spinnefeinden Chef der Regionsverwaltung. Denn nur dieser Métrophérique böte Hoffnung, dem Verkehrskollaps zu entgehen, den Experten Paris für 2020 voraussagen. Den bisherigen Erfolgen der rot-grünen Verkehrspolitik an der Seine zum Trotz.

Suzanne Krause

   
 

Drahtesel auf Erfolgskurs: www.velib.paris.fr

 
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31 Millionen Nutzungen und 211000 Jahresabonnenten ist die Zwischenbilanz nach knapp 14 Monaten. Das Vélib’-Jahresabo kostet 29 Euro, das Kurzabo für einen oder sieben Tage einen bzw. fünf Euro. In jedem Fall ist eine Kaution von 150 Euro zu hinterlegen. Die Abokarte ist an jeder Station gültig. Demnächst werden die Mieträder auch in dreißig Kommunen rund um Paris verfügbar sein. Die erste halbe Stunde ist gratis, danach steigt der Tarif im 30-Minutentakt – ab zwei Stunden Nutzung auf vier Euro pro halbe Stunde. Für Touristen, die ein, zwei Tage Paris per Rad erkunden wollen, sind herkömmliche Fahrradverleihe günstiger.

   
 

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