Titel 5/2008

Intelligente Stadtbahnen

Leicht und günstig

Neue Stadtbahnsysteme passen sich an Verhältnisse an, statt die eigene Verkehrswelt neu zu erfinden.

 
Foto: istockphoto.com  
Aus dem Umland mitten ins Herz der Stadt: Moderne Straßenbahnen verbinden Systeme und schaffen Mobilität.  

Beton ist out. Intelligente Konzepte für den öffentlichen Nahverkehr sind „light“, anpassungsfähig, sparsam und kompromissbereit.

Das jedenfalls propagiert Gerd Hickmann, Tübinger Verkehrsplaner und wissenschaftlicher Beirat des VCD. Sein Beispiel: Tübingen. Die Uni-Stadt im Neckartal ist mit 80000 Einwohnern zu klein für ein Straßenbahnsystem nach altem Muster. Zwar lägen alle interessanten innerstädtischen Ziele – Einkaufsstraßen, Kliniken, Universität – an einer einzigen Linie. Aber für ein klassisches Straßenbahnnetz ist eine Linie zu wenig. Die Stadt selbst bringt nicht genug Fahrgäste auf, um eine Tram rentabel zu betreiben. „Die Lösung liegt in einem regionalen Stadtbahnsystem“, erklärt Hickmann. „Wenn man die eine neue Linie mit dem regionalen Bahnnetz verbindet, können nicht nur die Tübinger, sondern die Bewohner des gesamten Umlands umsteigefrei bis in die Fußgängerzone fahren.“ Seit 15 Jahren setzt sich Hickmann für diese Lösung ein. „Am Anfang wurde die Idee belächelt“, erinnert er sich. „Inzwischen ist sie anerkannt und hat in Stadt und Kreis politische Untersützung.“

Auch Erlangen ist mit 100000 Einwohnern recht klein für eine eigene Straßenbahn. Die Pläne für ein aus zwei Achsen bestehendes „T-Netz“ ruhen seit den 90er Jahren in den Schubladen des Tiefbauamtes. Hohe Erstinvestitionen und der Restzweifel, ob sich eine Straßenbahn in einer Mittelstadt wirklich lohnt, verschleppten die Entscheidung. Nun hat der VCD-Kreisverband Großraum Nürnberg ein Alternativkonzept zum teuren „T-Netz“ erarbeitet. „Unser Entwurf ist viel günstiger“, sagt der Kreisvorsitzende Bernd Baudler. Statt die neue Stadtbahn auf einer noch zu bauenden Brücke direkt in die Peripherie zu steuern, führt die VCD-Alternative die Bahn aus der Innenstadt über eine bestehende Brücke, durch Wohnviertel bis in die Neubaugebiete am Stadtrand. „Die Nürnberger Straßenbahnlinie wird sowieso Richtung Erlangen erweitert“, erklärt Baud ler. „Mit minimalem Aufwand könnten wir unser Netz dort anschließen.“ So würde Erlangen von der Infrastruktur und vom Know-how der Nachbarstadt profitieren.

Systemwechsel

Beide Beispiele zeigen die Stärken moderner ÖPNV-Systeme: Sie denken platzsparend, verzichten auf getrennte Gleiskörper oder teure Brücken und sind dank neuer Technik auch im engen innerstädtischen Verkehrsgeschehen umzusetzen. Anders als herkömmliche Schienenfahrzeuge sind moderne Stadtbahnzüge leicht und leise. Sie beschleunigen und bremsen schnell und können im normalen Verkehr mitschwimmen. Trotzdem erfüllen sie – anders als die guten alten Trambahnen – alle Ansprüche an „echte“ Bahnen und bringen längere Strecken zügig hinter sich. Sie sind intelligent, weil sie sich in verschiedene Systeme einfügen.
Solche ÖPNV-Systeme sind längst in den planerischen Mainstream eingegangen. Der „Schienenbonus” schafft gegenüber einem gut funktionierenden Bussystem große Fahrgastzuwächse. „25 bis 40 Prozent sind da eher die Untergrenze“, sagt der Tübinger Planer Gerd Hickmann. „Nach Einführung des Karlsruher Stadtbahnsystems haben sich die Fahrgastzahlen vervier-facht.“ Seit sich die Karlsruher Verkehrsbetriebe Anfang der 90er Jahre mutig über Systemgrenzen hinweggesetzt und damit eine Erfolgsgeschichte begonnen haben, ist Bewegung in die Szene gekommen. Aber noch steckt der öffentliche Verkehr in Deutschland im Innovationsstau. „Die Erkenntniswende im ÖPNV hat schon vor zehn Jahren stattgefunden. Aber es sind keine öffentlichen Finanzmittel für neue Systeme da“, erklärt Hickmann. „Der Klimawandel gibt dieser politischen Debatte eine ganz aktuelle Dimension. Jetzt wäre der optimale Zeitpunkt, um Geld für effiziente und erfolgreiche ÖPNV-Systeme bereitzustellen.“

Regine Gwinner

Infos: www.stadtbahn-erlangen.de

   
 

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