Editorial 5/2008
 

„Unsichtbare Hand“ ist blind

 
Michael Adler

Foto: www.marcusgloger.de

Die „unsichtbare Hand des Marktes“ regelt die Wirtschaft so, dass für die Menschen der größtmögliche Nutzen entsteht. Ein Glaubenssatz des Ökonomen Adam Smith, dem auch heute noch viele Wirtschaftsbosse und Politiker anhängen. Solange, bis die Wirtschaft droht, komplett gegen die Wand zu fahren. Dann ist, wie jetzt in den USA und auch bei uns im Lande, der Staat als „soziales Netz“ für unternehmerische Fehlentscheidungen gern gesehen. Nicht nur für die Gier der Banker, auch für die Borniertheit der amerikanischen Automobilindustrie wird jetzt der Steuerzahler kräftig zur Kasse gebeten. Und wenn’s in zwei, drei Jahren wieder besser geht, schreien die gleichen Firmen wieder Zeter und Mordio, wenn der Staat den Unternehmenslenkern mit Grenzwerten auf die Sprünge helfen will.

In Europa dagegen schickt sich die Politik derzeit an, präventiv tätig zu werden. EU-Umweltkommissar Stavros Dimas steht wie ein Turm im Lobby istensturm: 2012 sollen die europäischen Automobilhersteller unter Androhung von Strafzahlungen einen Flottenverbrauch von 130 Gramm CO2/km einhalten, nachdem sie 1996 freiwillig 120 Gramm versprochen hatten.

Wie wichtig Fortschritte auch im Bereich Mobilität sind, zeigt die am 26. September vorgelegte Bilanz des Global Carbon Project für den weltweiten CO2-Ausstoß des Jahres 2007: 8,47 Milliarden Tonnen und damit drei Prozent mehr als im Vorjahr.

 

Namentlich die deutschen Autohersteller wollen sich ihr Recht auf fort gesetzte ökonomische und ökologische Dummheit aber nicht nehmen lassen. Vor der Abstimmung im EU-Umweltausschuss am 25. September sahen sich daher die Abgeordneten einem wahren Trommelfeuer der Autolobbyisten ausgesetzt. Dagegen stand ein Bündnis euro päischer und deutscher Nicht regierungsorganisationen mit dem VCD in vorderster Front, das an den Verstand der europäischen Volksvertreter appellierte. Der von der Autoindustrie diktierte „Kompromissvorschlag“, der im Umweltausschuss ebenfalls auf dem Tisch lag, sah de facto vor, die 130 Gramm auf 2015 zu verschieben. „Der sogenannte Kompromiss war gestrickt wie ein Rauchverbot, das erstmal drei Jahre lang nur für Nichtraucher gilt“, entlarvte Kerstin Meyer von Transport & Environment das Täuschungsmanöver der Industrie.

Der Umweltausschuss der EU stimmte mit 46 zu 19 Stimmen für die konsequente Linie des Umweltkommissars Dimas. Dies darf man als faustdicke Überraschung werten. All das Drohen der Autoindustrie mit Arbeitsplatzverlust und der Gefährdung des Standortes Europa hielt die EU-Parlamentarier nicht davon ab, ihren Verstand zu gebrauchen.

Dass der Verband der Automobilindustrie (VDA) diese Entscheidung als weltfremde Brüsseler Regu lierungswut geißelte, war erwartbar. Überraschung von Spiegel bis FAZ löste allerdings der wutschnaubende Bundesumweltminister Sigmar Gabriel aus. Er schlug sich gemeinsam mit der IG Metall so lautstark auf die Seite der deutschen Autoindustrie, dass Wirtschaftsminister Glos erst gar nicht zum Luftholen kam.
Ende Oktober wird die Entscheidung im EU-Plenum diskutiert, danach im Rat der EU-Umweltminister. Die Vernunft hat bisher nur einen Etappensieg errungen.

 

zurück zum Inhalt