Titel 4/2008

Interview

Die Zukunft wird langsamer

14 Jahre lang war Axel Friedrich Abteilungsleiter für Verkehr, Lärm und Klima im Umweltbundesamt. Seit Juli ist er im Vorruhestand. Im fairkehr-Interview tritt Friedrich auf die Bremse. Langsamere Autos, Flugzeuge, Schiffe und Züge würden mithelfen, die Umweltprobleme zu lösen. Technische Lösungen allein reichten aber nicht aus. Der Politik rät er, Verkehr als Gesamtproblem zu bearbeiten und viel mehr in Alternativen zu denken.

 
Foto: Marcus Gloger  

fairkehr: In unserem Titelthema geht es um Geschwindigkeit. Müssen wir, um Schadstoffe und CO2 zu reduzieren, zurück zum Postkutschentempo?

Axel Friedrich: Nein, natürlich nicht. Aber langsamer müssten wir schon werden. Die derzeitigen Automotoren, die Getriebe sind allerdings auf hohe Geschwindigkeiten ausgelegt. Die niedrigsten Emissionen produzieren heutige Pkw bei Tempo 60 oder 70 im fünften oder sechsten Gang.

fairkehr: Tempo 120 auf Autobahnen und 100 km/h auf Landstraßen ist Ihnen also noch zu schnell?

Friedrich: Das Umweltbundesamt hat schon in den 80er Jahren Tempo 100 auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen gefordert. Das wäre nach wie vor eine vernünftige Lösung. Bei mehr als 100 km/h nehmen der Luftwiderstand und Rollwiderstand deutlich zu, die Emissionen steigen dann überproportional. Bei niedrigeren Geschwindigkeiten gäbe es noch eine Reihe weiterer Vorteile: weniger Lärm, weniger Flächenverbrauch, weniger Reifenabrieb, weniger Verschleiß am Auto. Wir könnten bei einem Tempolimit schmalere Fahrbahnen bauen mit engeren Kurvenradien, weil deutlich geringere Kräfte auf Fahrzeug und Fahrer wirken würden, und damit Geld sparen und die Landschaft schonen. Schon der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte zu Tempo 80/100: „Mit dem Kopf bin ich dafür, mit dem Bauch dagegen.“

   
  Foto: Andreas Labes  
  Axel Friedrich ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des VCD. Im fairkehr-Interview verspricht er, sich auch im Ruhestand weiter für das Thema Verkehr und Umwelt zu engagieren – gern auch auf internationaler Ebene.  
     

fairkehr: In den USA liegt die Höchstgeschwindigkeit je nach Bundesstaat zwischen 95 und 106 km/h. Das hat dort keineswegs dazu geführt, dass nur noch kleine Spritsparautos herumfahren, im Gegenteil.

Friedrich: Wir haben dort vollkommen andere Verkehrsstrukturen. Die Alternative Bahn existiert praktisch nicht. Die Entfernungen sind um ein Vielfaches größer als im dichtbesiedelten Europa. Auch deshalb haben die USA eine Autokultur entwickelt, die auf Bequemlichkeit, quasi die Wohnzimmercouch auf Reisen, setzt.

fairkehr: Wenn Pkw auf geringere Geschwindigkeiten ausgelegt wären, würde der Verbrauch drastisch sinken?

Friedrich: Die Motoren würden kleiner und leichter, die Bremssysteme ebenso, der Rollwiderstand würde deutlich reduziert. Verbrauchsreduktionen von 25 bis 30 Prozent wären so ohne neue Technologien leicht möglich.

fairkehr: Der Sprung unter 100 Gramm CO2 pro Kilometer, den die Europäische Union bis 2020 fordert, wäre damit bei der derzeitigen Pkw-Flotte mit einem Durchschnittsverbrauch von rund 170 Gramm noch nicht geschafft.

Friedrich: Dazu brauchen wir beispielsweise andere Karosserien aus Kohlefasern. Dann können wir in Kategorien von 50 bis 70 Gramm CO2 pro Kilometer kommen. Die japanische Regierung fördert gerade neue Fertigungsmethoden von Kohlefaserkarosserien mit zwölf Millionen Euro. Hier ist das Geld viel sinnvoller investiert als etwa in die Förderung von Wasserstoffantrieben, wie es in Deutschland immer noch massiv betrieben wird.

fairkehr: Sollten die anderen Verkehrsträger auch gegen den Trend wieder langsamer werden? Ist die Bahnhochgeschwindigkeit ein teurer Irrweg?

Friedrich: Teuer auf jeden Fall. Auch bei der Bahn gelten physikalische Gesetze. Bei Tempo 250 oder 300 muss viel mehr Energie eingesetzt werden als bei 100 oder 150 km/h. Aber nicht nur der Energieeinsatz steigt, auch die Lärmbelastungen der Anwohner steigen drastisch. Die Bahnen in Europa wären gut beraten, nicht einzelne Strecken auf Formel 1-Tempo zu pushen, sondern das Gesamtsystem zu optimieren. Eine durchgehende Verbindung mit Tempo 140 wäre oft schneller als eine dreimal unterbrochene Verbindung mit ICEs.

fairkehr: Kann man auch langsamer fliegen und bringt das Effizienzgewinne?

Friedrich: Mit den derzeitigen Flugzeugen kann man bauartbedingt nicht wesentlich langsamer fliegen. Dennoch bringen Tempoverringerungen um zwei bis drei Prozent durchaus Ersparnisse von vier bis sechs Prozent. Aus Kostengründen setzen auch einige Fluggesellschaften darauf. Wirksame Einsparungen könnten dadurch erreicht werden, dass gerade im europäischen Kurz- und Mittelstreckenverkehr Turboprop-Maschinen zum Einsatz kommen. Auf der Relation Köln/Bonn–Berlin ließen sich so die CO2-Emissionen nach Berechnungen von atmosfair halbieren. Man kann aber mit Propellermaschinen nur 500 bis 550 km/h schnell fliegen im Vergleich zu 800 bis 950 km/h mit den üblichen Jets.

fairkehr: Auch bei Schiffen geht der Trend zu immer schnelleren Antrieben. Wäre auch hier langsamer mehr?

Friedrich: Beim Schiff wird sich der Trend wieder umkehren. Mit drei bis fünf Knoten weniger Geschwindigkeit kann man 30 Prozent Treibstoff sparen. Außerdem haben wir, nicht zuletzt durch das Zutun des UBA und des Verkehrsministeriums, bei der International Maritime Organization (IMO) durchgesetzt, dass der Schiffsdiesel sauberer wird. Das führt dazu, dass der Treibstoff teurer wird. Es ist dann also schlicht wirtschaftlich sinnvoll, langsamer zu fahren und die Schiffe zu optimieren.

fairkehr: 28 Jahre waren Sie die Stimme des Umweltbundesamtes in Mobilitätsfragen, 14 Jahre davon als Abteilungsleiter. Im letzten Winter sollten Sie für die Zulassung nicht funktionsfähiger Dieselpartikelfilter für Pkw verantwortlich gemacht werden. Gehen Sie deshalb schon mit 60 in den Vorruhestand?

Friedrich: Keineswegs. Ich habe mir in der Rußfilterfrage fachlich nichts vorzuwerfen. Wer mich kennt, weiß, dass ich immer ein Verfechter von voll wirksamen Filtern war. Im Übrigen bin ich bis zuletzt auf meiner Abteilungsleiterposition geblieben.

fairkehr: Also kein Rückzug im Zorn?

Friedrich: Der Abstand tut mir gut und zu meinen ehemaligen Kollegen pflege ich gute Kontakte. Für den Rückzug war allerdings der Umzug nach Dessau der Auslöser. Dort ist man komplett von den Medien abgekoppelt.

fairkehr: Welches sind die ungelösten Probleme im Verkehr, an denen Sie weiter arbeiten wollen?

Friedrich: Klima, Flächenverbrauch, Lärm und Biodiversität. Wenn man diese Querschnittsthemen betrachtet, stellt man sehr schnell fest, dass man allein mit Technik nicht weiterkommt. Die Politik muss das Verkehrsthema als Gesamtproblem bearbeiten. An dieser Erkenntnis hapert es noch gewaltig. Allein ein paar Elektroautos oder ein paar Tropfen Biosprit lösen keine der genannten Zukunftsaufgaben. Wir müssen Verkehr vermeiden und verlagern. Allein mit einer richtigen Förderung des Radverkehrs könnten wir in Deutschland acht Millionen Tonnen CO2 sparen und nebenbei auch jede Menge Geld, mit dem wir bisher den Autoverkehr subventionieren.

fairkehr: Große Aufgaben für einen Ruheständler!

Friedrich: Mit Ruhe hat das wenig zu tun. Ich bin in einer neuen Lebensphase. Vielleicht mache ich meinen Segelschein. Aber klar ist, dass ich im Thema weiter aktiv bleibe. Wahrscheinlich mehr für international tätige Organisationen. Ohne die Behörde habe ich auch weniger Zwänge. Das versuche ich zu genießen.

Interview: Michael Adler

   
 

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