Politik 4/2008

Lebensmitteltransport

Mit Biomilch auf Tour

Auch die Biomilch kommt nicht mehr mit Milchkanne und Handkarren zum Kunden. Was in Tüten und Flaschen abgefüllt im Kühlregal der Bio- oder Supermärkte steht, hat oft schon eine Deutschlandreise hinter sich.

Foto: Nils Theurer
Romantik war gestern: Auch die Biohöfe im Schwarzwald sind produktionstechnisch auf dem neuesten Stand.

Patsch! Die Fliegenklatsche saust aufs Armaturenbrett nieder. „Also das kann ich nicht haben!“, sagt Alfred Grafmüller. Er will ein picobello Fahrzeug, außen wie innen – eine Sisyphusarbeit, wenn man einen Milchlaster fährt, der täglich 55 Bauernhöfe abklappert. Besondere Bauernhöfe: Über jeder Milchkammer prangt das Bioland-Emblem, Alfred Grafmüller fährt die „Bio-Tour“.

Um 7:45 Uhr wartet der Milchlaster bereits in der Abpumphalle darauf, dass das Spülprogramm fertig wird. Gewissenhaft schraubt Grafmüller die armdicken Milchschläuche ab und wäscht alle Anschlüsse mit dem Wasserstrahl nach. Der Dieselmotor läuft schon, der hellblaue Volvo-Lastwagen rollt bereits aus der Pumpstation, bevor das Hallentor sich ganz geöffnet hat – gegen die Morgensonne und mit dem Berufsverkehr ins anmutige Dreisamtal östlich von Freiburg.

„Nach Weihnachten werde ich diesen Laster wieder verkaufen, dann hat er 600000 Kilometer“, sagt der stämmige Unternehmer mit dem markantem Schnauzer – in knapp drei Jahren. Denn Alfred Grafmüllers Laster fährt 23 Stunden pro Tag Milch, das ganze Jahr durch, auch an Weihnachten und Sylvester. „Der Motor ist noch nie kalt geworden.“ Beim Ölwechsel läuft heißes Schmiermittel heraus, er wird in der einen Pausenstunde durchgeführt, die für Wartung notwendig ist oder die für Kulanz eingeplant ist, wenn es geschneit hat oder wenn es aufgrund des frischen Grases besonders viel Milch gibt.

Mit achtsamem Fahrstil hat Alfred Grafmüller bereits den vierten Hof angesteuert, denn „wenn ein paar Tonnen Milch in die Kurve schwappen, muss man schon vorsichtig fahren“, sagt er. Im Winter befüllt er zunächst den Tank über der Doppelachse. „Dann bin ich froh, dass ich unten schon ein paar tausend Liter getankt habe, sonst komme ich in den Schwarzwald gar nicht hoch.“ Trotz der 450 PS. Dann helfen auch die automatischen Ketten, die mit einem Karussell unter die Antriebsräder geworfen werden, nichts. „Rückwärts sind die wirkungslos, dann mach’ ich die Schneeketten drauf und an der Straße wieder runter und beim nächsten Hof wieder drauf – so ein paar Dutzend Mal am Tag.“

Gelegenheiten, bei denen der enge Zeitplan ins Wanken kommen kann. Bereits auf der Zufahrt erkennt der GPS-Empfänger auf dem Dach seines Milchtanks welcher Hof angesteuert wird, und verknüpft die Daten mit den kurz darauf kommenden Werten. Ein elektrisches Rolltor gibt die blitzenden Edelstahlarmaturen an der Lastwagenflanke preis. Sobald die Schläuche mit den Kühltanks im Hof verbunden sind, rauschen 600 Liter pro Minute in den Tank. Ein Messgerät ermittelt Temperatur, Keim- und Zellzahlen. Ein automatisches Probengerät lässt ein Schnapsglas dieser Marge in ein Fläschchen tropfen. Vorher hat ein Strichcodegerät die Flaschen-Nummer gelesen – so kann nichts schiefgehen. Das ist wichtig, denn die Landwirte werden nach den Güteklassen der Milch entlohnt, und die richten sich nach den Keimzahlen – Indikatoren für die Hygiene bei der Milchgewinnung – und der Zellzahl, die Rückschlüsse auf die Gesundheit der Kühe zulässt.

Foto: Nils Theurer
600 Liter Milch pro Minute saugt der Kühlwagen in den Tank.

Schon sind die 847 Liter abgepumpt, Schläuche rein, Tür zur Melkkammer zu, elektrisch schließt sich der Armaturen-Rolladen, und schon geht es weiter. „Also für diesen Hof bekomme ich drei Minuten gutgeschrieben.“ Alfred Grafmüller ist selbstständiger Fuhrunternehmer, er wird nach Zeit und Kilometerleistung vergütet. Lastwagen und Anhänger gehören ihm, nur die hellblaue Farbgebung mit der Aufschrift „im Schwarzwald zuhause“ bezahlt Breisgaumilch. Mit zwei Mitarbeitern teilt Grafmüller sich die drei Touren täglich. Krank werden darf keiner, Urlaub gab’s bislang höchstens mal zehn Tage am Stück. „Aber es macht halt viel mehr Spaß als auf der Autobahn!“ Alfred Grafmüllers Augen glänzen während er im akkuraten Bogen auf den nächsten Hof zuhält. 680 Liter diesmal, eine Plauderminute mit dem Landwirt der 25 Kühe ist diesmal sogar drin, der Motor bleibt an und schon geht’s weiter.

50000 Liter Biomilch sammelt Grafmüller mit eindrucksvoller Effizienz täglich zwischen dem Klettgau im Westen und dem Linzgau im Osten in zwei abwechselnden Touren: In einem großen Kraftakt wurden alle Biolandhöfe auf Zweitages-Abholung umgestellt, das lohnt sich, auch wenn die Landwirte zunächst investieren mussten. Die Milch wird vor Ort auf 4 Grad gekühlt gehalten, auch im Lastwagen erwärmt sie sich dank umfangreicher Isolierung höchstens einen Grad.

In Furtwangen steht der Anhänger als Depot, dort wird die Milch umgepumpt und die zweite Hälfte der Tour gefahren, Zeit für ein Butterbrot, dann geht es weiter. 700 Kilometer legt der Laster jeden Tag zurück. Auf dem Rückweg zur Molkerei in Freiburg wird der volle Hänger angekuppelt und vorsichtig den Schwarzwald hinunterbugsiert.

Einmal über den Schwarzwald und zurück

Doch damit ist die Reise der Biomilch nicht beendet. Breisgaumilch liefert nur an Großhändler aus. Einer der bedeutenden sitzt sich in Überlingen: So wird die in Tüten oder Flaschen abgefüllte Milch wieder über den Schwarzwald geschickt, 150 Kilometer zum Bio-Verteilerdienst Bodan am Bodensee.

„Das klingt erst mal absurd, aber dazu muss man wissen, dass Bodan ein Vollsortiment von 8000 Bioartikeln koordiniert“, erklärt Andreas Schur, Marketingleiter des Großhändlers, „ein einzelner Laden hat circa 3000 Artikel im Programm, von etwa 250 bis 300 Herstellern. Würde er von jedem einzelnen Hersteller direkt bestellen müssen, würde er ebenso viele Anlieferungen in kleinsten Mengen erhalten.“ Rückfahrten versuche man als Leergut- und Warenerfassungstouren zu nutzen.

Die Biomilch, die beispielsweise am Donnerstagmorgen im Kühlregal steht, wurde in der Nacht oder im Laufe des Mittwochs ausgeliefert. Sie wurde bereits Montag oder Dienstag an Bodan geliefert. Rechnet man knapp zwei Tage dazu, welche die Milch in Kühltanks der Höfe warten konnte, war sie Samstag oder Sonntag noch im Euter.

Nun hat ein Liter Milch bereits bis zu 550 Kilometer auf dem Buckel, obwohl der nächste Bioland-Hof, die Molkerei, der Bioladen und Endverbraucher in einem Umkreis von weniger als zehn Kilometern versammelt sein können. Bei Andechser Milch oder Söbbeke-Produkten kann Biomilch täglich sogar eine Deutschlandreise absolvieren. Pressereferentin Maren Schimanski des Bio-Großhändlers dennree in Hof erklärt das mit einem sehr deutlichen Süd-Nord-Gefälle des Biomilch-Angebots: „Im Norden ist wesentlich mehr Bedarf als Angebot vorhanden, das wir mit Produkten aus Süddeutschland befriedigen können.“

Die spontane Reaktion, Biomilch zu verfluchen, bringt wenig. Konventionelle Milch hat zwar manchmal näher liegende Großhändler, aber die Biolandwirte sind besser zu ihren Tieren: Dass Kühe ihr ganzes Leben im Stall angebunden bleiben, gibts nach Bioland-Richtlinien nie. Und die Pflicht, das Futter auf dem eigenen Hof zu erwirtschaften, hält die Heuwiesen im Schwarzwald frei, sonst wäre manch schöne Aussicht längst zugewachsen. Außerdem verwenden Biolandwirte keinen Kunstdünger und bekommen einen fairen Erlös, der beim Beispiel der Breisgaumilch zehn Cent über dem der konventionellen Milch liegt. Aber bei der regionalen Biomilch ist eben auch kein romantischer Bauer mit Milchkanne auf dem Handkarren unterwegs. Fünf Prozent der Breisgaumilch-Jahresleistung bestehen aus Biomilch, das sind zehn bis zwölf Millionen Liter pro Jahr.

Und die genaue Berechnung zeigt: Wenn man einen Liter Milch im Laden um die Ecke mit dem Auto holt, hat man bereits zehnmal so viel Sprit verbraucht, wie der Liter auf seinem ganzen Weg benötigt hat – denn es wurden ja immer ein paar Tonnen befördert. Wer seine Milch im Hofverkauf holt, ist deswegen nur öko, wenn das Verkehrsmittel der Wahl die Füße oder das Fahrrad waren.

Nils Theurer

   
 

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