Politik 4/2008

Los Angeles

Alptraum Auto

Die Stadt am Pazifik hat die höchste Autodichte der Welt und die schlechteste Luft der USA. Trotzdem hat sich die 15-Millionen-Metropole mit dem täglichen Wahnsinn auf den verstopften Freeways arrangiert. Ein Thema aber ist tabu: Wie der Straßenverkehr alle Klimaschutz-Bemühungen gegen die Wand fährt.

Foto: Istockphoto.com

Wer in Los Angeles lebt, verbringt im Auto so viel Zeit wie im Urlaub: zusammengerechnet zwei Wochen. Die Megacity am Pazifik hat die schlechteste Luft der USA. Hier gibt es weltweit die meisten Autos auf einem Fleck, pro Haushalt sind 1,4 Fahrzeuge registriert. Die etwa 15 Millionen Menschen des Ballungsraums ächzen unter dem Verkehr. Und wenn in der Rushhour irgendetwas wirklich schiefgeht, ein Feuer, eine unangemeldete Demonstration oder ein großer Unfall, dann wird aus dem amerikanischen Traum der unbegrenzten Freiheit der kalifornische Alptraum: Gridlock, der Megastau, in den sich tausende von Autos verkeilen und nichts mehr vor oder zurück geht. Wer wissen will, was der Welt im Falle der totalen Automobilmachung droht, der schaut sich in Los Angeles um. Hier zeigt sich, dass man gegen den Verkehrsinfarkt mit allen technischen Mitteln relativ erfolgreich kämpfen kann. Aber auch die Schlacht gegen den Klimakiller Straßenverkehr wird hier geschlagen. Und die geht verloren.

„Klimawandel?“ Paul Ong überlegt kurz. „Nein, wir diskutieren hier vor allem über die Schadstoffe in der Luft. Dass der Verkehr in LA zum Klimawandel beiträgt, verschwindet dahinter fast völlig.“ Ong ist Professor für Stadtplanung an der University of California (UCLA). Für Ong ist die Alternative klar: Entweder höhere Steuern für die Straßennutzung – „oder wir zahlen die Steuern eben in Form der Staus. Der Verkehr in Los Angeles hat so wie bisher einfach keine Zukunft.“ Bereits jetzt koste der Stillstand auf den Straßen die USA jedes Jahr 70 Milliarden US-Dollar an nutzlos verbranntem Sprit und nutzlos vertaner Zeit.

Globaler Trend geht in die falsche Richtung

Etwa 18 Prozent des menschengemachten CO2 quillt nach den Berechnungen des IPCC aus den Auspufftöpfen von weltweit 800 Millionen Autos, aus den Motoren von Bussen und Lkw. Das Auto wird in den USA für 90 Prozent aller Wege eingesetzt. Auch in Europa bevorzugt man seine eigenen vier Räder: Die Hälfte aller kurzen Wege bis fünf Kilometer legt man mit dem Wagen zurück. Und die Motorisierung in Ländern mit stark wachsender Wirtschaft und Bevölkerung wie China und Indien hat gerade erst begonnen. Trotz aller Forschung an Sparautos und „grünen“ Antrieben, trotz aller Selbstverpflichtungen der Industrie geht der Trend mit Vollgas in die falsche Richtung: immer größere, stärkere, schnellere Autos. In den USA hätte sich der Verbrauch der Pkw-Flotte zwischen 1987 und 2005 um 24 Prozent reduzieren können, hat die Umweltschutzbehörde EPA errechnet – wenn die Autos denn so groß, schwer und schnell geblieben wären. Das Gegenteil war der Fall: Die Autos wurden 27 Prozent schwerer, 30 Prozent schneller und schlucken nun fünf Prozent mehr Sprit als 1987.

Seit 1980 ist allein der Zentralbezirk Los Angeles County um 2,5 Millionen Menschen gewachsen. Und die Mischung aus guten Jobs, sonnigem Wetter, cooler Stimmung und sonnengebräunter Zuversicht ist noch immer attraktiv: Bis 2030 erwarten die Stadtplaner noch einmal 2,4 Millionen Menschen mehr in der Stadt der Engel. Wie diese Menschen sich dann alle noch bewegen sollen, ist Benjamin Chang ein Rätsel. Dabei ist es eigentlich sein Job als „Transportation Engineer“, darauf eine Antwort zu finden. Er sorgt in einer Zentrale mit elektronisch gesichertem Zugang dafür, dass nicht das Chaos ausbricht. An der Stirnwand des großen Saals sind die Bilder von Dutzenden von Kreuzungen und Straßenecken projiziert. Auf Computermonitoren haben die Planer Zugang zu allen Ampelanlagen der Stadt. An der Seite hängt eine große elektronische Tafel, die akute Staus und Stillstände meldet – „aber nur, wenn es ungewöhnlich ist“, sagt Chang. Von den alltäglichen Hot Spots der Verstopfung kommen schon lange keine Meldungen mehr.

Doch wie diese Stadt noch mal ein paar Millionen mehr Einwohner ertragen soll, deren Menschen bereits jetzt jeden Tag 260 Millionen Personenkilometer zurücklegen und die schon heute ein großes Rechenzentrum, spezielle Software und hunderte von Kameras braucht, um den Verkehr erträglich zu halten, das weiß auch Chang nicht. „Vielleicht helfen uns die hohen Ölpreise“, sagt er. In diesem April 2008 debattierte das Land aufgeregt, ob 3,50 US-Dollar für die Gallone Benzin ein nationaler Notfall sind oder nicht. Das ist immer noch die Hälfte dessen, was man an europäischen Zapfsäulen zahlt. Aber eine Zumutung für ein Land, das es für ein „Staatsbürgerrecht“ hält, „20 Liter fossile Brennstoffe auf hundert Kilometer rauszuhauen, ohne das im Geldbeutel zu spüren“, wie der Journalist Peter Unfried in seinem Buch „Öko“ schreibt.

Es bewegt sich was

Mit den Bussen und Bahnen der „Metropolitan Transportation Authority“ (MTA) fahren dagegen vor allem Arme, die sich die 700 US-Dollar nicht leisten können, die alles in allem ein Auto im Monat kostet. Die Verkehrsbehörde hat für deren Mobilität große Ziele: Bis 2030 soll der „Long Range Transportation Plan“ weitere 50 Kilometer Straßenbahn bauen und noch mal etwa 30 Kilometer für Carpools reservieren, die Straßen so optimieren, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit nicht von rund 50 auf gut 20 Stundenkilometer sinkt. Im Plan der kalifornischen Regierung, die Treibhausgase bis 2020 um 25 Prozent zu reduzieren, werde MTA „immer wichtiger“, sagt die MTA. Das Transportunternehmen will dafür viel Geld ausgeben: 152 Milliarden US-Dollar. „Davon fehlen uns noch 60 Milliarden“, gibt Dave Sotero, Pressesprecher der MTA, gleich zu.

Das Klimaziel kommt unter die Räder

Doch gerade mal vier Prozent der täglichen Pendler im Großraum L.A. nutzen Busse und Bahnen für den Weg zur Arbeit. Und wenn MTA all die 152 Milliarden US-Dollar, die sie gar nicht hat, verbauen kann, wird dieser Anteil bis 2030 bestenfalls „konstant bleiben“. Was das für die Klimawirkung des Verkehrs bedeutet, steht in einer der MTA-Broschüren. Im besten Fall sinken demnach die CO2-Emissionen um etwa ein Prozent in 2030. 152 Milliarden US-Dollar für ein Prozent. Dabei macht der Verkehr in Kalifornien 41 Prozent der Treibhausgasemissionen aus. Und selbst mit einem gigantischen Investitionsprogramm können die CO2-Emissionen im wichtigsten Verkehrsraum des Sonnenstaats gerade mal stabilisiert werden. Wo also sollen die Reduktionen für das Klimaziel Kaliforniens herkommen? Darauf hat in Los Angeles niemand eine Antwort.

Bernhard Pötter

   
 

Gekürzter Vorabdruck aus: Bernhard Pötter: Tatort Klimawandel. Täter, Opfer und Profiteure einer globalen Revolution. oekom verlag, München 2008. Das Buch erscheint im September und kostet
19,90 Euro.

   
 

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