Titel 3/2008

Interview

Zweitbeste Lösung

Kann man durch Fliegen die Welt retten? Natürlich nicht, sagt atmosfair-Geschäftsführer Dietrich Brockhagen.
Er erklärt den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge beim CO2-Ausgleich.

 
illustration: atmosfair  

fairkehr: Wann sind Sie das letzte Mal atmosfair geflogen?

Dietrich Brockhagen: Das war im Frühjahr 2007 zu einer Tagung nach London. Der Zug war ausgebucht und ich kam nicht anders hin. Ich fliege sonst nicht.

fairkehr: Rettet atmosfair die Welt vor dem Klimawandel oder verteilen Sie nur

Ablassscheine für ein gutes Gewissen?

Brockhagen: So gefragt retten wir eher die Welt. Das ganze Prinzip geht für die Umwelt ja nur schief, wenn mit atmosfair mehr Menschen ins Flugzeug stiegen als ohne. Studien zeigen allerdings: Es fliegen gleich viele Menschen, aber einige bezahlen heute einen atmosfair-Beitrag. Was wir bisher nicht schaffen, ist die Minimierung des Fliegens durch Bewusstseinsbildung. atmosfair ist eben nur die zweitbeste Lösung.

fairkehr: Passagiere zahlen freiwillig für die von ihnen verursachten Klimagase. Warum multipliziert atmosfair die Emissionen mit dem Faktor 2,7?

Brockhagen: Das ist naturwissenschaftlich vorgegeben. Wir multiplizieren nur in hoher Flughöhe, weil Emissionen dort derart verstärkt wirken. Der IPCC-Bericht vom letzten Jahr geht von einem Faktor 1,9 bis 4,7 aus. Wir liegen also eher am unteren Ende.

fairkehr: Sie räumen atmosfair-Kunden die Möglichkeit ein, neben der vollständigen Kompensation nur 50 Prozent oder noch weniger auszugleichen. Warum?

Brockhagen: Der atmosfair-Beitrag ist doch sowieso freiwillig. Neben der Finanzierung von Klimaschutzprojekten wollen wir eine Verhaltensänderung bewirken, indem wir die naturwissenschaftliche Wahrheit darstellen. Jeder, der bei atmosfair seinen Flug berechnen lässt, sieht auf einen Blick, was er oder sie an Klimakosten verursacht. Wir wollen den Kunden nun nicht dogmatisch zum Zahlen des gesamten Betrages zwingen. Wir wollen ihn überzeugen. Im Übrigen nutzt die Reduktion der Summe sowieso kaum jemand.

fairkehr: Derzeit reden alle vom Klimawandel, demnach muss atmosfair ein boomendes Unternehmen sein.

Brockhagen: Immerhin sind wir seit 2006 um den Faktor 6 gewachsen. Wir haben 2007 1,3 Millionen Euro umgesetzt, wovon wir unter zehn Prozent für die Projektorganisation und -verwaltung einbehalten haben. Ab diesem Sommer werden wir über alle Systeme des Reiseveranstalters Thomas Cook buchbar sein. Dann könnte nochmal eine Menge mehr kommen.

fairkehr: Wie viel Prozent der Deutschen, schätzen Sie, sind atmosfair-affin, wie viele machen mit?

Brockhagen: Im letzten Jahr wurden 40000 Flüge kompensiert. Ich schätze, dass uns aus der diffusen Gruppe der Lohas–also der Menschen, die einen nachhaltigen Konsum- und Lebensstil pflegen – etwa die Hälfte kennt. Der Rest der Bevölkerung hat eine ungefähre Ahnung, dass es Organisationen gibt, bei denen man mit Geld Klimaschäden ausgleicht.

fairkehr: Sie setzen auf UN-Projekte, die dem strengen Gold-Standard entsprechen. Gibt es davon eigentlich genug?

Brockhagen: Ja, klar. Die ganze Welt ist ein großes Projekt. Das Prinzip ist, dass wir Projekte über die Rentabilitätsschwelle heben. Wir brauchen einen Akteur im Zielland, der die nötige Projektinfrastruktur bereits aufgebaut hat und über das Know-how verfügt. Einige Projekte wie ein technisch relativ einfaches Biogasprojekt in Indien und die Solarkocher-Verbreitung in Nigeria finanzieren wir zu fast 100 Prozent. Wir brauchen aber dennoch den Partner vor Ort. Der Solarkocher ist als CDM-Projekt zugelassen und kann nun als Selbstläufer endlos reproduziert werden.

fairkehr: Wie sähe es aus, wenn ganz Deutschland nur noch atmosfair flöge?

Brockhagen: Wir bräuchten dann ein paar Jahre Zeit, um die ganzen Projekte zu organisieren. Projektpartner in Entwicklungsländern gibt es genug. Es wäre nur ein organisatorischer Engpass, der zu einem vorübergehenden Mittelstau führen würde.

fairkehr: Wird’s dann teurer?

Brockhagen: Nein, wir finanzieren die Projekte und haben die volle Kostenkontrolle. Unsere CO2-Kosten leiten sich zu 100 Prozent aus unseren Projektkosten ab. Wenn wir beispielsweise die Kocher billiger produzieren, wird auch der atmosfair-Beitrag billiger. Entscheidend ist, was das Projekt pro eingesetztes Geld an CO2 einspart. Die Kocher zum Beispiel sparen 80 Prozent der Energie ein.

fairkehr: Kann man bei atmosfair nur Flugemissionen ausgleichen oder auch Autoabgase oder den Wäschetrockner?

Brockhagen: Wir kompensieren nur Flugemissionen. Alle Anfragen von Autoherstellern haben wir abgelehnt. Ein billiges Angebot, das zu früh klimaschädliches Verhalten ersetzt, verhindert die Verhaltensänderung. Bei einer Waschmaschine kann ich eine effizientere kaufen oder sie mit Ökostrom betreiben. Als Autofahrer kann ich ein kleineres Auto wählen, auf Bahn, Bus oder Fahrrad umsteigen oder spritsparender fahren. Beim Flugzeug geht nur fliegen oder nicht fliegen. Ich kann nicht zum Piloten gehen und ihn bitten, langsamer zu fliegen.

fairkehr: Ihr politisch erklärtes Ziel ist, dass weniger geflogen wird, Ihr kaufmännisches Ziel muss aber doch das Gegenteil sein: Wenn viele Menschen atmosfair fliegen, ist viel Geld für Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern da. Wie geht das zusammen?

 
Foto: atmosfair  

Dr. Dietrich Brockhagen (40), Physiker und Umweltökonom, leitete seit 2004 das BMU-Forschungsprojekt „klimabewusst fliegen“, aus dem 2005 die gemeinnützige atmosfair gGmbH hervorging. www.atmosfair.de

 

Brockhagen: Von den Fliegenden sollen möglichst viele atmosfair fliegen. Das ist unser Unternehmensziel. Selbst wenn der Flugverkehr in Deutschland um 90 Prozent einbrechen würde, gäbe es noch zehn Millionen Passagiere im Jahr. Alle könnten noch atmosfair-Kunden werden und wir hätten ein gigantisches Wachstumspotenzial.

Interview: Michael Adler und Uta Linnert

   
 

1,5 Tonnen CO2 pro Kopf

Aubrey Meyer war der Erste, der sich für eine Klima-Kopfpauschale aussprach: 1991 erklärte der Gründer des britischen Global Commons Institute, dass jeder Mensch auf der Erde das gleiche Recht an der Atmosphäre habe und es deshalb für alle das gleiche jährliche CO2-Limit geben solle, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Nach Meyers Berechnungen bleiben im Jahr 2050 und bei einer Erdbevölkerung von voraussichtlich neun Milliarden Menschen noch 1,5 Tonnen CO2-Ausstoß pro Person. Eine utopische Vorstellung angesichts der Tatsache, dass beispielsweise die US-Amerikaner pro Kopf und Jahr 20 Tonnen CO2 in die Luft blasen. In Deutschland sind es durchschnittlich elf Tonnen.

Mit kleinen Veränderungen im Lebensstil kann es jedoch gelingen, den persönlichen Treibhausgasausstoß wenigstens auf fünf bis acht Tonnen jährlich zu senken: beispielsweise durch den Wechsel zu einem Ökostromanbieter, den Kauf regionaler und saisonaler Lebensmittel, weniger Fleischgerichte, eine Urlaubsreise mit der Bahn statt mit dem Flieger oder den Umstieg vom Autositz auf den Fahrradsattel.

Persönliche Klimabilanz berechnen:
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