Titel 3/2008

Freiwillige Kompensation

CO2-freies Autofahren gibt es nicht

„Klimaneutral“ fliegen, essen oder Auto fahren: Immer mehr Unternehmen bieten den freiwilligen Ausgleich von Treibhausgasen an. Damit diese Kompensationen mehr sind als nur eine Gewissensberuhigung, müssen die Anbieter hohe Standards erfüllen – und deutlich machen, dass es das Beste ist, die klimaschädlichen Gase gar nicht erst zu produzieren.

 
Foto: Peter Bialobretzki/Dumont  

Ein silbergrauer Porsche Modell 997 glänzt auf weißem Hintergrund. Dann verändert sich die Szenerie, der PS-starke Sportwagen verschwindet im Regenwald und taucht mit grünem Pflanzenmuster wieder auf. Auf diese Weise wirbt die X-Leasing GmbH im Internet mit einem Filmchen für ihr Angebot „CO2-neutral leasen“. Die Münchener Firma arbeitet mit dem Verein PrimaKlima-weltweit-e.V. zusammen. Der pflanzt Bäume als Ausgleich für das Kohlendioxid, welches das Leasing-Auto während der Vertragslaufzeit in die Luft pustet.

Das Angebot von X-Leasing ist eines von immer mehr Beispielen für die freiwillige Kompensation der Treibhausgase, die beim täglichen Leben und Wirtschaften entstehen. Das Grundprinzip ist einfach: Die Menge an CO2, die eine Privatperson oder ein Unternehmen verursacht, wird an anderer Stelle vermieden. Der Atmosphäre ist es schließlich egal, wo auf der Welt die klimaschädlichen Gase eingespart werden.

Für die Kompensationsdienstleistungen haben sich viele professionelle Anbieter am Markt etabliert. Weltweit gibt es mittlerweile etwa 60 bis 70 Firmen, die meisten in den USA, Kanada, Australien und Großbritannien. Sie berechnen für ihre Kunden die Emissionen, die beim Fliegen, Autofahren oder Shoppen entstehen, und ermitteln die Geldsumme, die nötig ist, um die Treibhausgase anderswo einzusparen. Das Geld investieren die Anbieter in ein entsprechendes Kompensationsprojekt, meist in Entwicklungsländern, und weisen das den Kunden in Form eines Zertifikats nach.

Unternehmen nutzen dieses Angebot zunehmend, um ihr Engagement für den Klimaschutz zu demonstrieren. So können Postkunden unter dem Motto „Go Green“ „CO2-freie“ Päckchen und Pakete verschicken, in der Mensa eines Berliner Oberstufenzentrums essen Lehrer und Schüler seit Ende April klimafreundlich und wer mit TUI fly oder Easyjet abheben will, findet beim Online-Ticketkauf das Kompensationsangebot zwischen Mietwagenbuchung und dem 25-Euro-Gutschein einer Parfümerie-Kette.

Die wenigsten Anbieter von Kompensationen wollen wirklich die Welt retten. Vielen geht es um Kundenbindung, Marketing oder gar Greenwashing. „Angebote wie das angeblich CO2-neutrale Leasing eines Spritfressers sind absurd, wenn nicht sogar schädlich“, sagt der VCD-Bundesvorsitzende Michael Gehrmann. „Das Unternehmen vermittelt den Eindruck: Je klimaschädlicher das Auto, desto besser für den Wald, denn desto mehr Bäume werden gepflanzt.“ Gehrmann bemängelt außerdem, dass bei vielen Unternehmen die angebliche Klimaneutralität zu billig zu haben ist. Sowohl die entstehenden Emissionen als auch den Preis pro Tonne Treibhausgas berechnet jeder Anbieter auf eigener Grundlage. So berücksichtigen die Emissionsrechner auf den Internetseiten der Fluggesellschaften Lufthansa und Swiss Air, die mit dem Schweizer Kompensationsanbieter myclimate kooperieren, lediglich die beim Flug emittierte Menge an CO2. Sie vernachlässigen, dass die Abgase, die ein Düsenjet in die Luft bläst, in der Höhe größeren Klimaschaden anrichten als am Boden.

Trotzdem bleibt die Frage: Ist es nicht besser fürs Klima, seinen CO2-Ausstoß zu kompensieren, als gar nichts zu tun? „Ja, ist es“, sagt Wolfgang Strasdas, der sich als Professor für nachhaltigen Tourismus an der Fachhochschule Eberswalde mit freiwilligen Kompensationen beschäftigt. „Seriöse Anbieter investieren ihr Geld in Projekte, die dazu beitragen, dass weniger Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen. Wichtig ist allerdings, dass die Klimaschutzprojekte ohne dieses Geld nicht zustande gekommen wären.“

Die Mechanismen zum CO2-Ausgleich sind im Kyoto-Protokoll festgelegt. Die Anbieter freiwilliger Kompensationen machen davon teilweise Gebrauch. Sie investieren in UN-Projekte in Entwicklungsländern, die Energie einsparen oder erneuerbare Energien fördern. „Solche Projekte packen das Hauptproblem an der Wurzel. Es besteht darin, dass die Weltwirtschaft bislang zu viel Energie verbraucht und diese aus den falschen, das heißt fossilen Quellen bezieht“, erklärt Strasdas.

Allerdings haben sich auf dem freiwilligen Markt neben den Kyoto-Mechanismen viele neue Projektstandards entwickelt, die keinen einheitlichen Prüfkriterien unterliegen. Dadurch wächst die Gefahr, dass sich unseriöse Anbieter am Markt etablieren. So gilt beispielsweise das Bäumepflanzen als zweifelhafte Klimaschutzmaßnahme (siehe Kasten unten). „Verbraucher sollten sich genau informieren, welche Projekte nach welchem Standard ein Anbieter unterstützt, bevor sie sich dafür entscheiden, ihre CO2-Emissionen zu kompensieren“, rät Angelika Smuda von der beim Umweltbundesamt angesiedelten Deutschen Emissionshandelsstelle. Smuda ist zuständig für die Qualitätssicherung bei UN-Projekten. „Der Anbieter muss darüber Auskunft geben, nach welchen Kriterien er seine Projekte auswählt, sonst ist er nicht seriös.“

Kein „Weiter wie bisher“

Entscheidend ist außerdem, dass ein Anbieter seinen Kunden deutlich macht: Kompensation ist lediglich der zweitbeste Weg, das Klimaproblem zu lösen. Sie darf nicht dazu führen, dass Verbraucher den Geldbeutel zücken, ihr Gewissen reinwaschen und weitermachen wie bisher. „Am besten ist es, Treibhausgase gar nicht erst zu produzieren, den CO2-Ausstoß zu verringern und die Energieeffizienz zu erhöhen“, sagt der VCD-Bundesvorsitzende Michael Gehrmann. „Nur die Emissionen, die sich nicht vermeiden lassen, sollten über einen seriösen Anbieter ausgeglichen werden.“

 

 
Foto: Karin Appollonia Müller/Dumont  

Der VCD empfiehlt ausschließlich Anbieter, die ihr Geld in UN-zertifizierte Projekte investieren, vorzugsweise in Wind- oder Sonnenkraft. Die Projekte sollten zusätzlich den sogenannten Gold Standard erfüllen. Er gewährleistet, dass Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern auch der lokalen Bevölkerung zugutekommen.

Gehrmann kritisiert das Informationsangebot vieler Kompensationsanbieter im Bereich Mobilität. „Häufig fehlen Spritspartipps, die Vorstellung effizienter Fahrzeuge oder schlichtweg der Hinweis darauf, dass man auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel wie Bus, Bahn oder Fahrrad umsteigen kann“, stellt der VCD-Vorsitzende fest. Die Begriffe „klimaneutral“ oder „CO2-frei“, die viele Anbieter für ihre Produkte verwenden, lehnt Gehrmann entschieden ab. „CO2-freie Flugreisen oder Autofahrten gibt es nicht. Die bessere Beschreibung für Kompensationsangebote ist »klimafreundlich« oder »klimabewusst«.“

Kritiker befürchten, dass die Möglichkeit, CO2 freiwillig zu kompensieren, den Druck aus politischen Initiativen nimmt, beispielsweise der Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionshandel. Tourismusexperte Wolfgang Strasdas bezweifelt das. Er sieht in dem freiwilligen Markt vielmehr einen Übergang und ein zusätzliches Instrument zum verpflichtenden Emissionshandel. Auch Angelika Smuda von der Deutschen Emissionshandelsstelle hält den Vorwurf für ungerechtfertigt. Der Markt für freiwillige Kompensationen habe eine zu geringe Dimension, um Klimaschutzgesetze zu gefährden.

Tatsächlich entspricht die Menge an Treibhausgasen, die 2007 freiwillig ausgeglichen wurde, nur etwa 0,25 Prozent der globalen Emissionen. Das Beratungsunternehmen Point Carbon, das die weltweiten CO2-Märkte analysiert, schätzt, dass 75 Millionen Tonnen Klimagase kompensiert wurden. Die Gesamtmenge lag bei etwa 29 Milliarden Tonnen, wie Hans-Joachim Ziesing berechnet hat, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen für die Bundesrepublik Deutschland.

Persönlicher Beitrag

Allerdings scheinen immer mehr Menschen willens zu sein, für die von ihnen verursachten Klimaschäden zu zahlen. Nach Angaben von Point Carbon ist die Menge kompensierter Treibhausgase seit 2006 deutlich angestiegen. Damals waren es noch unter 20 Millionen Tonnen. Diese wachsende Bereitschaft dient durchaus dem Klimaschutz – wenn die Verbraucher gleichzeitig ihr Verhalten ändern. Es ist besser, auf Ökostrom umzusteigen, anstatt jährlich ein paar Cent an einen Kompensationsanbieter zu zahlen und dafür an einem „klimaneutralen“ Computer zu sitzen. Es nützt der Umwelt mehr, wenn Strandliebhaber mit der Bahn an die Nordsee und Brötchenfans mit dem Fahrrad zum Bäcker fahren, anstatt ins Auto zu steigen, eine Handvoll Euro an den Mineralölmulti BP/Aral zu zahlen und anschließend „CO2-frei“ Sprit zu verbrauchen. Was nach dem Umstieg an Emissionen übrig bleibt, kann und sollte über einen vertrauenswürdigen Anbieter kompensiert werden. Nicht zuletzt führt die Möglichkeit, für persönliche Umweltbelastungen einen Ausgleich zu zahlen, den Menschen vor Augen, dass es eine saubere Atmosphäre nicht zum Nulltarif gibt. 

Kirsten Lange

   
 

Bäumepflanzen ist umstritten

Viele Kompensationsanbieter investieren Geld in Aufforstungsprojekte. Das hat jedoch mehrere Haken. Wachsender Wald nimmt das ausgestoßene CO2 nicht sofort auf, sondern erst über einen Zeitraum von Jahrzehnten. Wenn eine aufgeforstete Fläche abbrennt oder von einem Sturm vernichtet wird, ist der Klimaschutzeffekt dahin. Oft passiert es, dass Urwälder erst abgeholzt und die Flächen anschließend mit nicht einheimischen Bäumen oder Monokulturen wieder bepflanzt werden. Ein weiteres Problem bei Waldprojekten ist die Verlagerung von Holzfällerei in andere Gebiete: Holzkonzerne lassen einige Wälder aus „Klimaschutzgründen“ stehen, schlagen dafür aber anderswo umso heftiger ein.

Das Kyoto-Protokoll erlaubt es den Industriestaaten zwar, unter bestimmten Voraussetzungen Aufforstung und Waldschutz in ihre CO2-Bilanzierung einzubeziehen. Bislang gibt es allerdings nur ein UN-zertifiziertes Waldprojekt. Auf dem freiwilligen Klimaschutzmarkt haben sich für Waldprojekte uneinheitliche Standards entwickelt. Ein erster vielversprechender Ansatz ist nach Ansicht des Tourismusexperten Wolfgang Strasdas der Climate, Community and Biodiversity (CCB) Project Design Standard. Er gilt für Aufforstungsprojekte, die ohne die freiwilligen Zahlungen nicht zustande gekommen wären, die die Artenvielfalt bewahren und von denen die Bevölkerung vor Ort profitiert – Grundvoraussetzungen dafür, dass Bäume pflanzen am Ende mehr ist als eine Gewissensberuhigung.

   
 
 

Wenn der Klimawandel voranschreitet, werden Landschaften verschwinden, die uns bislang selbstverständlich sind: Das ewige Eis schmilzt, Urwälder brennen, Küsten und Inseln versinken im Meer. International bekannte Foto-Künstler zeigen in dem Band „Verschwindende Landschaften“ diese Regionen und dokumentieren ihre Vergänglichkeit. Die Fotos auf den folgenden Seiten sind dem Bildband entnommen. Sie verdeutlichen, was wir zu verlieren haben, wenn wir weitermachen wie bisher und nicht für den Schaden aufkommen, den wir der Umwelt zufügen.

Nadine Barth (Hg.) Verschwindende Landschaften, Dumont Buchverlag, 2008, 224 S., 49,90 Euro

   
 

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