Politik 3/2008

Europäische bahnen

Konkurrenz fürs Fliegen

Seit 2007 engagiert sich Railteam dafür, Bahnfahren in Europa attraktiver zu machen. Wie das geht, erklärt Bertram Meyer, einer der drei Railteam-Geschäftsführer.

Foto: DB AG/Railteam

fairkehr: Railteam soll die „Attraktivität der Schiene im Wettbewerb“ steigern. Gehen die europäischen Bahnen damit endlich offensiv in Konkurrenz zum Flugverkehr?

Bertram Meyer: Ja, alle beteiligten Bahnen arbeiten jetzt kontinuierlich daran, Auto und Flugverkehr Marktanteile abzujagen, indem sie mit überzeugenden Produkten in den Wettbewerb gehen.

fairkehr: Was sind die Aufgaben von Railteam?

Meyer: Zum einen geht es darum, den grenzüberschreitenden Verkehr besser zu vermarkten. Es ist interessant, dass hier die Kunden das Bahnangebot oft falsch einschätzen. Wenn der Weg fürs Auto zu lang ist, gehen die meisten automatisch ins Internet oder ins Reisebüro und buchen einen Flug. Vielen ist nicht bekannt, dass zum Beispiel Paris mit der Bahn von Frankfurt nur 3 Stunden 50 Minuten entfernt ist.

fairkehr: Sie versuchen also, das Image der europäischen Bahnen zu verbessern?

Meyer: Auch diese Aufgabe gehört dazu. Eine weitere besteht darin, das grenzüberschreitende Angebot für unsere Kunden weiter zu verbessern, indem wir nationale Systemgrenzen überwinden. Der Flugverkehr war von Anfang an international ausgerichtet und daher stark normiert. Die europäischen Bahnen waren immer national orientiert. Dadurch entstanden landesspezifische Prozesse, die an den Grenzen zu Systembrüchen und Übergangsschwierigkeiten führten. Eine wesentliche Aufgabe von Railteam ist es, Qualitätsstandards und Kompatibilität herzustellen, um die Schiene attraktiver zu machen.

fairkehr: Können Sie ein Beispiel nennen?

Meyer: Nehmen Sie die Buchungssysteme.

Bisher ist kein nationales System in der Lage, online ein breites Angebot an Fahrkarten für den grenzüberschreitenden Verkehr zu verkaufen, insbesondere mit Vor- und Nachlauf im jeweiligen Land.

fairkehr: Das ist nicht nur online ein Problem, oder?

Meyer: Am Schalter gibt es heute deutlich mehr Möglichkeiten als online.

Foto: ALEAO
Neue deutsch-französische Freundschaft: Auf der Strecke Stuttgart–Paris fährt der deutsche ICE auf französischen Gleisen.

fairkehr: Laufen die Bahnen nicht Gefahr, sich mit Railteam wieder nur auf ein Hochgeschwindigkeits-Rumpfnetz zu konzentrieren und Nebenstrecken zu vernachlässigen?

Meyer: Überhaupt nicht. Im Hochgeschwindigkeitsnetz haben wir zunächst den größten Handlungsbedarf festgestellt. Das sind die Strecken, auf denen uns der Flugverkehr die größte Konkurrenz macht und auf denen die Bahnen viel zu bieten haben. Trotzdem haben wir auch andere Strecken im Blick und wollen die Prozesse verknüpfen, soweit das möglich ist. Wir versuchen, den Bahnverkehr insgesamt zu stärken!

fairkehr: Kann ich demnächst also auch online Wiesbaden–Dijon buchen und nicht nur Frankfurt–Paris?

Meyer: Ja. Genau das ist unser Ziel. Deshalb bauen die Railteam-Bahnen eine internationale Plattform, die ihre Buchungssysteme miteinander verknüpft. Der Gedanke ist aus Railteam heraus geboren, die Plattform wird aber von einer gerade gegründeten Schwesterfirma betrieben, um anderen Bahnen den Anschluss zu ermöglichen.

fairkehr: Was sind denn die Voraussetzungen für eine Aufnahme bei Railteam?

Meyer: Wer bei Railteam Allianz-Partner werden möchte, muss gewisse Mindeststandards in den Bereichen Netzwerk, Service, Qualität und Distribution erfüllen.

fairkehr: Zum Beispiel?

Meyer: Eine nationale Hochgeschwindigkeitsstrecke würde die Bedingung noch nicht erfüllen. Die Grundlage von Railteam ist der Aspekt des grenzüberschreitenden Netzes. Wir wollen schnelle und komfortable Verbindungen zwischen europäischen Großstädten, wie sie zum Beispiel die Angebote von Thalys oder Eurostar bieten.

fairkehr: Hochgeschwindigkeit ist Teilnahmebedingung?

Meyer: Auf allen Verbindungen, die wir ins Railteam-Netz aufnehmen, muss zumindest auf Teilstrecken mit 230 km/h gefahren werden. Aber auch die Qualität des Angebots, wie der Service und die Sauberkeit im Zug, sind wichtige Aspekte.

fairkehr: Was verbirgt sich hinter dem Aufnahmekriterium „Distribution“?

Meyer: Das bezieht sich bisher vor allem auf die Darstellung und Buchungsmöglichkeit des Railteam-Angebots auf den Webseiten der Partnerbahnen. Ein Hauptkriterium ist, dass Kunden künftig auf der Homepage jeder Bahn die Angebote der anderen Railteamer buchen können. Um das möglich zu machen, haben wir für die eben angesprochene Buchungsplattform eine hohe zweistellige Millionensumme bereitgestellt.

fairkehr: Woher kommt das Geld?

Meyer: Railteam hat ein fixes Budget für Organisation und Marketing, das von den beteiligten Bahnkonzernen kommt. Darüber hinaus können wir Investmentvorhaben anstoßen und dafür zusätzliche Mittel bekommen.

fairkehr: Was sind die Haupttrümpfe der europäischen Bahnen gegenüber den Fluganbietern?

Meyer: Hauptfaktor ist für mich das Reiseerlebnis. Ich bin selbst einer der exzessivsten Nutzer unserer Züge. Ich bin auch schon viel geflogen, aber ich fahre lieber Bahn. Im Zug haben Sie Zeit zum Arbeiten, Lesen, Essen oder Schlafen. Wenn Sie fliegen, fahren Sie zum Flughafen, stellen sich an der Sicherheitskontrolle an und warten aufs Boarding. Die längste ruhige Phase auf der Strecke Frankfurt–Paris sind die 50 Minuten während des Flugs, und da können Sie weder telefonieren noch online sein. Außerdem bin ich ein totaler Fan von Zug-restaurants. Das Angebot der DB-Bordgastronomie ist viel besser geworden. Ich starte mit dem Zug oft morgens zwischen sechs und sieben Uhr. Dann frühstücke ich erst und fange um halb acht an zu arbeiten.

fairkehr: Das Argument, das am häufigsten gegen internationale Bahnreisen verwendet wird, ist der Preis.

Meyer: Es gibt viele Strecken, auf denen die Bahn deutlich billiger ist als das Flugzeug. Versuchen Sie mal, einen Billigflieger von Frankfurt nach Brüssel zu finden! Da kommen Sie mit der Bahn immer günstiger hin. Aber es gibt natürlich noch schwerwiegendere Argumente: Insbesondere europäische Kurzstreckenflüge, zu denen wir eine Alternative anbieten, haben eine desaströse Umweltbilanz.

Interview: Regine Gwinner

   
 
Foto: ALEAO

Beispiele für Verbindungen und Preise:

München–Wien: 4 Stunden 10
Preis: ab 39 Euro mit dem „Europa-Spezial“ (gilt ab allen deutschen Bahnhöfen)

Frankfurt–Brüssel: 3 Stunden 30
Preis: ab 39 Euro mit „Europa-Spezial”

Köln–Paris: 3 Stunden 52
Preis: ab 25 Euro mit dem Thalys-Angebot „Mini“
Frankfurt–London: 6 Stunden 14
Preis: ab 79 Euro mit dem London-Spezial-Ticket (ab Köln: 4 Std. 50, 59 Euro)

Köln–Amsterdam: 1 Stunde 45
Preis: ab 39 Euro mit „Europa-Spezial”

Mannheim–Zürich: 3 Stunden 16
Preis: ab 39 Euro mit „Europa-Spezial”
(von grenznahen Bahnhöfen kostet das „Europa-Spezial” nur 19 Euro.)

   
 

Geht doch!

Mit der Allianz Railteam gehen die Bahnen erstmals offensiv in Konkurrenz zum innereuropäischen Flugverkehr. Die Erfolgsmeldungen häufen sich: Dank TGV Est fliegt Germanwings nicht mehr zwischen Stuttgart und Paris. Die im November auf 2 Stunden 15 beschleunigte Eurostar-Verbindung Paris–London leert die Flugzeuge auf der gleichen Strecke, Thalys meldet ein zweistelliges Umsatzplus für Januar und Februar 2008.

Der Gründung von Railteam ging die Erkenntnis voraus, dass die Bahnen dem Flugverkehr nur Paroli bieten können, wenn sie zusammenarbeiten. Die französische Staatsbahn SNCF und die Deutsche Bahn AG ergriffen die Initiative. Sieben Bahngesellschaften gründeten mit: Euro-star (Großbritannien), NS Hispeed (Niederlande), ÖBB (Österreich), SBB (Schweiz) und SNCB (Belgien). Außerdem unterstützen die assoziierten Töchter Thalys, Lyria und die DB/SNCF-Vertriebspartnerschaft Alleo das Railteam.

Neben der Verknüpfung bestehender Hochgeschwindigkeitsstrecken, einer gemeinsamen Vermarktung und einem einfacheren Zugang zu Reiseinformationen ist eine gemeinsame Buchungsplattform die Hauptaufgabe von Railteam. Wer schon einmal versucht hat, Informationen zum Bahnreisen in Europa oder ein grenzüberschreitendes Ticket zu bekommen, kann dem nur viel Erfolg wünschen. Weitere durch Railteam initiierte Verbesserungen sind die Öffnung der Bahnhofs-Lounges für Kunden aller Partner, gemeinsame Bonus- und Vielfahrerprogramme sowie die Anerkennung von Tickets mit Zugbindung, wenn durch Verspätungen der Anschluss verpasst wird. Da Eurostar und Thalys bei Geschäftsreisenden nicht wie der TGV Est mit modernen Zügen und schickem Design trumpfen können, machen sie dies durch charmanten Am-Platz-Service und durchgehendes WLAN wett.

Regine Gwinner

 

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