Politik 3/2008

Interview

Der am wenigsten schädliche Vorschlag

Bald werden private Investoren Anteile an der Deutschen Bahn kaufen können.
VCD-Bahnreferentin Heidi Tischmann beurteilt das Modell der beschlossenen Privatisierung
und fordert einen integralen Taktfahrplan für ganz Deutschland.

 

Foto: VCD
Heidi Tischmann ist stellvertretende Geschäftsführerin und Bahnexpertin des VCD.

fairkehr: Nach jahrelangem Gezerre haben sich CDU und SPD auf eine Teilprivatisierung der Bahn geeinigt. 24,9 Prozent der Transportgesellschaften sollen private Investoren erwerben können. Was heißt das für das Unternehmen Deutsche Bahn?

Heidi Tischmann: Unter der bestehenden DB AG Holding wird eine zweite Holding gegründet, die die Bereiche Fern- und Nahverkehr und Güterverkehr und Logistik umfasst. Nur diese wird bis zu 24,9 Prozent privatisiert. Schienennetz, Bahnhöfe und Energieversorgung bleiben komplett staatliches Eigentum. Transport- und Dachholding sollen von einem teilweise personenidentischen Vorstand geführt werden.

fairkehr: Wie beurteilt der VCD dieses Holdingmodell?

Heidi Tischmann: Es ist der bisher am wenigsten schädliche Vorschlag. Wir begrüßen, dass die wertvolle Infrastruktur im Bundesbesitz bleibt. Die Trennung von Netz und Betrieb, die der VCD für sinnvoll hält, bleibt beim Holdingmodell noch möglich. Es gibt allerdings auch gravierende Nachteile.

fairkehr: Welche zum Beispiel?

Heidi Tischmann: Private Investoren, die der Bahn ihr Geld geben, erwarten Renditen. Es wird also der Anreiz bestehen, möglichst viele Kosten, Schulden und Lasten der staatlichen Infrastruktursparte aufzubürden, um die Gewinne im privatisierten Güter- und Personenverkehr zu steigern. So bekommen sie indirekt Einfluss auf die Entwicklung der Bahninfrastruktur.

fairkehr: Welchen Einfluss werden die Investoren haben? Die SPD sagt: keinen.

Heidi Tischmann: Niemand steckt sein Geld in eine Firma aus reinem Idealismus. Der Renditedruck, der durch private Inves-toren entsteht, wird insbesondere Auswirkungen auf den Fernverkehr haben, weil hier nicht, wie im Nahverkehr, Mindeststandards definiert worden sind. Das ist das große Versäumnis der Politik.

fairkehr: Wer bestimmt nach der Umsetzung der Bahnreform, wann, wo und wie oft Züge fahren?

Heidi Tischmann: Das müsste die Politik tun. Der Bund ist – auch in Zukunft – Mehrheitseigentümer des Unternehmens Deutsche Bahn. Bisher haben es aber alle Bundesregierungen versäumt, im Fernverkehr Standards aufzustellen, wie es sie für den Nahverkehr gibt. Die Politik muss definieren, wie das Netz und die Fernverkehrsangebote im Land aussehen sollen – dafür hat die Politik einen grundgesetzlichen Auftrag. Deutschland braucht einen Masterplan Schiene.

fairkehr: Kritiker des Reformentwurfs fürchten, dass weniger profitable und schwach frequentierte Strecken dem Gewinnstreben privater Investoren zum Opfer fallen könnten.

Heidi Tischmann: Wenn die Politik nicht in einem Masterplan festschreibt, wie die Versorgung der Bevölkerung mit Schienenverkehr aussehen soll, steht das zu befürchten. In den letzten Jahren sind bereits viele Oberzentren vom Fernverkehrsnetz der DB abgekoppelt worden. Städte wie Cottbus, Marburg, Paderborn, Emden oder Trier wird es als Nächstes treffen. Es ist zu befürchten, dass für diese Strecken, wie schon nach dem Wegfall der Interregios, die Länder aufkommen müssen.

fairkehr: Die Bundesregierung erwartet bis zu acht Milliarden Euro aus der Teilprivatisierung. Was soll nach Ansicht des VCD mit dem Geld passieren?

Heidi Tischmann: Das ist Wunschdenken. Die Bahn will die neuen Mittel für Lärm mindernde, Energieeffizienz steigernde und das Netz verbessernde Maßnahmen benutzen. Auf keinen Fall darf das Geld einfach im Bundeshaushalt verschwinden oder dürfen damit schienenferne Unternehmen im Ausland gekauft werden.

fairkehr: Mit Blick auf den Klimawandel: Was sagt der VCD, wie mehr Verkehr auf die Schiene verlagert werden kann?

Heidi Tischmann: Die Bahn darf nicht allein auf Hochgeschwindigkeit setzen, sondern muss das System Schiene insgesamt beschleunigen. Was nützt den Reisenden die zügige Fahrt von Köln nach Stuttgart, wenn dort zeitgleich der Anschluss in die Region unerreichbar am Nebengleis abfährt? Für die Fahrgäste zählt nur die Gesamtreisezeit von Tür zu Tür. Die Bundespolitik muss den Bahnverkehr als Gesamtsystem betrachten. Deutschland braucht einen integralen Taktfahrplan nach dem Vorbild der Schweiz. In diesem Frühjahr haben wir mit Bahnfachleuten aus dem ganzen Land die Initiative Deutschland- Takt ins Leben gerufen. Sie fordert einen im Nah- und Fernverkehr aufeinander abgestimmten Fahrplan.

Interview: Uta Linnert

Weitere Infos: www.vcd.org
www.deutschland-takt.de

   
 

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