Titel 2/2008

Kopenhagen

Öko-Metropole 2015

Nur fünf Tonnen CO2 emittieren Kopenhagener pro Kopf und Jahr derzeit – knapp die Hälfte des deutschen Durchschnitts. Das gelingt, weil 97 Prozent der Haushalte an ein Fernwärmenetz angeschlossen sind, 20 Prozent des dänischen Stroms aus Wind stammen und die Kopenhagener im Schnitt dreimal so viel Fahrrad fahren wie die Deutschen. Doch die dänische Hauptstadt will mehr. Bis 2015 soll Kopenhagen die Welt-Hauptstadt für Nachhaltigkeit und urbanes Leben sein.

 
Fotos: Tine Harden  
Kopenhagen fördert Null-Emissions-Mobilität in konsequenter Weise und trägt damit zu mehr urbanem Leben auf den Straßen bei.  

Dänen sind locker und behalten dennoch ihr Ziel im Auge. Man redet sich mit Vornamen an und geht pragmatisch zu Werk. So wurde das kleine Dänemark Fußball-Europameister 1992 und Windenergie-Weltmeister. Jetzt strebt die dänische Hauptstadt Kopenhagen den inoffiziellen Titel der Welt-Öko-Hauptstadt an. Die Chancen stehen gut. Bürgermeister Klaus Bondam, der in Kopenhagen für Stadtentwicklung, Verkehr und Umwelt zuständig ist, verkündete im Juni letzten Jahres auf der Fahrradkonferenz VeloCity in München ambitionierte Ziele: Im Jahr 2015 emittieren die Bürger Kopenhagens nur noch 3,7 Tonnen CO2 pro Kopf, das ist etwa ein Drittel des deutschen Durchschnittswertes. 50 Prozent aller Pendler, ob sie zur Arbeit, zur Schule oder zur Universität fahren, werden dies mit dem Fahrrad tun. 90 Prozent der dänischen Hauptstadtbewohner sollen zu Fuß innerhalb von maximal 15 Minuten einen Park, einen Strand oder ein Meeres-Schwimmbad erreichen können.

Lebt der Kopenhagener Bürgermeister in einer Phantasiewelt oder plant er die komplette Deindustrialisierung? Das Gegenteil ist richtig. Kopenhagen liegt im Zentrum der extrem dynamischen Öresund-Region. Die Wirtschaftsdaten liegen seit Jahren weit über dem europäischen Durchschnitt. Die ehrgeizigen Umweltziele stehen nicht im luftleeren Raum, sondern in der offiziellen Erklärung der Stadt „Eco-Metropole – unsere Vision Kopenhagen 2015.“

Junges Kopenhagen

„Kopenhagen ist eine junge Stadt“, sagt Jens Loft Rasmussen, Geschäftsführer des Dänischen Radfahrerverbandes. 40000 Studenten, eine boomende Wirtschaft und eine moderne, weltoffene Atmosphäre prägen das Stadtbild. „Im Rest des Landes stehen die Kopenhagener in dem Ruf, ihr Geld zum Fenster hinauszuwerfen“, sagt der frühere Bänker, „für Restaurants, Theater, zum Spaß haben. Im eher ländlichen Dänemark ist das anrüchige Vergnügungssucht.“ Dort auf dem Land sei es üblich, das Geld in ein Haus und ein Auto zu investieren. „In Kopenhagen fahren alle Fahrrad und man lebt draußen“, sagt Rasmussen. Knapp 900 Kilometer ist jeder Kopenhagener im vergangenen Jahr mit dem Rad gefahren. Das ist dreimal so viel wie in Deutschland. Der Radverkehr bestimmt das Verkehrsbild der 500000-Einwohner-Stadt an vielen Stellen mehr als der Autoverkehr. Fast alle Straßen in Kopenhagen sind dreigeteilt: Bürgersteig, Radweg, Fahrbahn. Das Tempo der Radler ist hoch, sie bewegen sich

 
   
Grün und Blau sind die dominierenden Farben im Stadtbild. Wasser und Parks wechseln mit bebauter Fläche.  

selbstbewusst im Großstadtverkehr. Auch an einem normalen Werktag um die Mittagszeit gehören kleinere Fahrradstaus an Ampeln zum Alltag. An größeren Kreuzungen gibt es separate Ampelanlagen für Radler. Die Querungswege über die Kreuzungen sind mit breiten blauen Farbbändern auf der Fahrbahn markiert. In der dänischen Hauptstadt bewegt man sich auch als Besucher nach kurzer Zeit sicher. Man hat das gute Gefühl, in einem durchdachten System aufgehoben zu sein.

332 Kilometer Radwege durchziehen die Stadt, weitere 50 sollen in den nächsten Jahren dazukommen. Außerdem plant die Stadt zusätzlich ein Netz von 100 Kilometern grünen Fahrradwegen, in Parks und am Wasser. „Wir bauen entlang aller Hauptstraßen Fahrradwege“, sagt Niels Jensen, Planer im städtischen Amt für Technik und Umwelt, „im Mittel zwei Meter breit und in jede Fahrtrichtung“. Im Prinzip sei das in Kopenhagen schon immer so gewesen, in den letzten Jahren habe allerdings die städtische Führung dem Radverkehr noch einmal merklich Rückenwind verliehen. Seit die frühere EU-Kommissarin für Umwelt, Britt Bjaerregaard, Ende 2005 zur Oberbürgermeisterin gewählt wurde, setzt sich die dänische Hauptstadt neue, ambitionierte Ziele. „Die Stadt sagt klar: Wir wollen weniger Autos im Zentrum und Radfahren ist gut für Kopenhagen“, freut sich Radplaner Jensen.

Baden im Hafenbecken

An den Verbindungsstraßen zu den Vorstädten wurden neue Fahrradwege gebaut. Eine Fußgänger- und Fahrradbrücke überspannt die meistbefahrene Straße der Hauptstadt, eine andere Brücke das Hafenbecken, das seit einigen Jahren wieder Badewasserqualität hat. Viele zusätzliche Fahrradständer wurden installiert. Auf der Noerrebrogade, einer Straße, auf der es zur Rushhour regelmäßig zu Fahrradstaus kommt, wurde eine „grüne Welle“ für Radfahrer bei Tempo 20 eingeführt. Mit erfreulichem Ergebnis: Die Radlergeschwindigkeit hat sich von 15 auf 20 km/h erhöht, das Autotempo ist bei 22 km/h konstant geblieben.

 
Foto: Troels Heien  
Stau in der Rushhour ohne Feinstaub- und Lärmbelastung. Kopenhagen sucht Abhilfe mit „grüner Welle” und „Shared Space”.  

36 Prozent aller Pendlerfahrten finden schon heute auf zwei Rädern statt. Das Ziel für 2015 – die Steigerung auf 50 Prozent – ist beschlossene Sache. Ebenso die beiden anderen Ziele, die in der Vision 2015 festgeschrieben sind: Es soll nur noch halb so viele tote und schwerverletzte Radfahrer geben, und mindestens 80 Prozent der Radfahrerinnen und Radfahrer in Kopenhagen sollen sich im Verkehr sicher fühlen.

Erfreulich klar ist den Verantwortlichen, dass so viel Fortschritt nicht zum Nulltarif zu haben ist. „Zehn Millionen Euro bekommen wir derzeit extra zum normalen Budget”, sagt Niels Jensen, „für weitere Wege, für Kommunikationsmaßnahmen und vor allem zur Verbesserung der Fahrradparkanlagen.“ Drei Planer im Technik- und Umweltamt sind ausschließlich mit dem Thema Fahrrad beschäftigt. Und viele andere Stellen in der Stadtverwaltung denken einfach mit. „Das Fahrrad ist Teil unseres Systems“, sagt Jensen. Umgerechnet gibt Kopenhagen über 20 Euro pro Kopf und Jahr für die Null-Emissions-Mobilität auf zwei Rädern aus. Zum Vergleich: Berlin investiert zwei Euro und selbst die deutsche Vorzeigestadt Münster gibt nur gut acht Euro pro Bürger aus.

Wildes Parken am Bahnhof

Zurzeit baut Kopenhagen einen aktualisierten Netzplan aller Fahrradwege in digitaler Form auf und stellt in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Nahverkehrsunternehmen einen Reiseplaner ins Internet. Was fehlt, sind Parkhäuser für Fahrräder in zentraler Lage. Am Hauptbahnhof etwa gibt es nur einfache Fahrradständer und alles ist mit Rädern rundum zugeparkt. Weit entfernt ist Kopenhagen noch vom einzigen ernstzunehmenden Großstadtkonkurrenten um den Titel einer Fahrradhauptstadt, Amsterdam. Die niederländische Metropole plant gerade ein Parkhaus am Bahnhof mit 10000 Stellplätzen. „An den Bahnhöfen haben wir noch kein Rezept“, räumt Jensen diese Schwachstelle ein, „es ist einfach zu wenig Platz in den engen Innenstadtlagen.“

Trotzdem bleiben bei so viel Fahrradpolitik Fußgänger nicht auf der Strecke. Seit einigen Jahren verfolgt die Stadt einen Fußgänger-Strategie-Plan. „Hier ging es zunächst darum, die Erreichbarkeit aller Ziele auch für mobilitätsbehinderte Bürger sicherzustellen“, sagt Lotte Bech, Planerin der grünen Fahrradwege und der Fußgänger-Strategie. Es werde in Kürze einen ähnlichen Plan mit klaren Zielgrößen geben wie beim Fahrradverkehr. „Am Ziel, den Autoverkehr zu verringern, arbeiten Fahrrad- und Fußverkehrsplaner eng zusammen“, sagt Bech, „im Sommer werden wir die ersten Versuche mit Shared-Space-Bereichen machen. Mit einem Straßenraum für alle und sehr reduziertem Autoanteil.“

Diese engagierte „Zero-Emission“-Politik ist eingebunden in eine Grünflächen- und Stadtentwicklungsplanung aus dem Jahr 1947: Die Stadt wächst nach einem „Finger-Plan“. Der Handteller ist das Zentrum und die Entwicklungsachsen ragen wie fünf Finger einer Hand in die Landschaft. „Diese Finger verbindet ein schnelles S-Bahn-System mit dem Zentrum“, sagt Michaela Brüel, Architektin der Abteilung für Stadtdesign. Zwischen den Fingern erstrecken sich ausgedehnte Grünflächen und Parks, die in den letzen 60 Jahren nie zur Disposition standen.

Ein sechster Finger wuchs der Stadt in den letzten Jahren Richtung Süden auf die Insel Armager. Hier wurden alte Industriebrachen saniert und in ein modernes Geschäfts- und Wohnviertel verwandelt. Es entstanden 80000 Arbeitsplätze und Wohnraum für 20000 Bewohner. „Zuerst wurde auch dorthin eine Metro-Linie neu gebaut“, betont Brüel. Seit 1989 schreiben die kommunalen Entwicklungspläne die Priorität der öffentlichen Verkehrsanbindung vor. Ein Nachteil des Fingerplanes ist die sternförmige Orientierung der Bahnlinien auf das Zentrum. Fahrten von einem Finger zum anderen sind damit kompliziert. Spätestens 2018 wird auch diese Schwachstelle beseitigt sein. Kopenhagen bekommt eine Metro, die in einem Ringverkehr die S-Bahnlinien verknüpft.

   
  Foto: Michael Adler  
  Kindertransport auf dänisch: Elegante Lastenräder helfen im Alltag.  

Wer so viel Platz für „Zero-Emission-Mobility“, für Mobilität ohne Abgase, reserviert, muss Autos möglichst aus der Stadt fernhalten. Deshalb möchte Oberbürgermeisterin Bjaerregaard in Kopenhagen eine Stau-Gebühr nach Londoner Vorbild einführen. Bisher mauert die konservative Nationalregierung in dieser Frage. Die Stadt braucht nämlich eine Gesetzesänderung, um eine „Congestion Charge“ erheben zu können. Spätestens im Vorfeld des Klimagipfels im kommenden Jahr, der in Kopenhagen stattfinden wird, und auf dem die dänische Regierung als Vorbild in Sachen Klimaschutz glänzen will, wird es zum Schwur kommen. Britt Bjaerregaard ist bereits fest entschlossen: Wenn die Regierung nicht einlenkt, dann wird die Gastgeberstadt die Defizite der Staatsregierung schonungslos der Weltöffentlichkeit präsentieren.

Dänen sind locker, aber auch sehr zielstrebig und kreativ, wenn sie ein Ziel vor Augen haben.

Michael Adler

Mehr Lesen im Internet:

Vision Copenhagen 2015

Dänischer Radfahrer Verband

   
 

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