Politik 2/2008

Gedenken an Deportierte

Zug der Erinnerung

Eine Ausstellung auf Schienen erinnert an die deportierten Kinder in der Nazizeit.

 

Fotos: Zug der Erinnerung/Karin Richert
Einzelne Schicksale beleuchtet die Ausstellung „Zug der Erinnerung“ stellvertretend für geschätzte 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche aus ganz Europa, die in der NS-Zeit mit Hilfe der Reichsbahn in Vernichtungslager verschleppt wurden.

In den alten Waggons lächeln einem überall Kinder zu. Von Fotos, die aus dem eigenen Familienalbum stammen könnten. Die dazugehörigen Geschichten tun weh, denn sie enden alle im Vernichtungslager. „Wir sitzen hier mit vierzig Menschen und Gepäck, und es ist sehr stickig in dem Viehwaggon. Wir sind voller guter Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen“, schrieb die Niederländerin Herta Aussen. Die Postkarte fand noch den Weg zurück in die Heimat. Das Mädchen nicht. Es wurde 1943 ermordet.

Schätzungsweise 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche aus ganz Europa wurden mit Zügen in die Vernichtungslager der Nazis gebracht. Im Zug der Erinnerung werden ihre kurzen Leben beleuchtet und Täter benannt, die für die Deportationen verantwortlich waren. Bürgerinitiativen haben die mobile Ausstellung organisiert. Seit November letzten Jahres fährt der Zug durch Deutschland und hat seitdem an Bahnhöfen in gut 50 Städten Halt gemacht. Mehr als 160000 Menschen schauten sich bisher die Ausstellung an – ein großer Erfolg für das ehrenamtliche Projekt. „Der Zug steht an einem öffentlichen Ort und stellt keine kulturelle Barriere dar. Deshalb erreichen wir auch Menschen, die sonst vermutlich nie in ein Museum oder eine Ausstellung gehen würden“, sagt Hans-Rüdiger Minow, Sprecher der Initiative.

Wäre es nach der Deutschen Bahn AG gegangen, hätte niemand den Zug der Erinnerung zu sehen bekommen. Die DB wollte keine solche Wanderausstellung mit Ablehnungsgründen von „kein Geld“ bis „wir haben schon alles getan“. In einem Zeitungsinterview sagte Bahnchef Hartmut Mehdorn, es könne auf Bahnhöfen keine seriöse Befassung mit solch einem Thema geben, „shock and go“ funktioniere nicht mehr.

Nach massivem Druck von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee organisierte die DB dann doch eine Wanderausstellung mit dem Titel „Sonderzüge in den Tod“. Ende Januar wurde sie in Berlin eröffnet. Da rollte der Zug der Erinnerung schon fast drei Monate mit einer Dampflok und vier Waggons durchs Land. Man hatte einfach das Schienennetz gemietet.

Jeder neue Bahnhof bringt neue Erinnerungen. Lokale Initiativen und Schulen recherchieren, wie es den Kindern ihrer Stadt in Nazideutschland erging. Jeder neue Halt bringt aber auch neue Gebühren. „Wir zahlen pro Stunde, die der Zug auf dem Bahnhof steht und geöffnet ist, 45 Euro an die Bahn AG“, sagt Initiativsprecher Minow, „seit Januar bringt uns jede Stunde des Gedenkens in finanzielle Schwierigkeiten.“ Viele Besucher finden das „skandalös“. Ebenso viele Politiker. Selbst ein Appell des Bundesverkehrsausschusses an die Bahn, die Gebühren zu erlassen, brachte nichts. „Wir sind rechtlich dazu verpflichtet, diese Gebühren zu erheben, und dürfen keine Ausnahmen machen“, erklärt Jens-Oliver Voß, Unternehmenssprecher der Bahn. „Aber wir denken darüber nach, das Geld im Anschluss an ein anderes Projekt zu spenden.“

Dankbar müsse man sein, dass sich Menschen ehrenamtlich so engagierten, kommentierte Renate Kühnast, Bundesfraktionsvorsitzende der Grünen, in einem Fernsehinterview den Disput. Mehdorn habe die Verpflichtung, in Deutschland eine solche Erinnerungsarbeit zu ermöglichen.

Valeska Zepp

Der Zug der Erinnerung fährt noch bis zum 8. Mai durch Deutschland, bevor er die Endstation Auschwitz erreicht. Infos und Fahrplan unter:

www.zug-der-erinnerung.eu

 

Fotos: Zug der Erinnerung/Karin Richert
Einzelne Schicksale beleuchtet die Ausstellung „Zug der Erinnerung“ stellvertretend für geschätzte 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche aus ganz Europa, die in der NS-Zeit mit Hilfe der Reichsbahn in Vernichtungslager verschleppt wurden.

Fahrplan des Zugs der Erinnerung

Berlin:

13.–22. April in verschiedenen Bahnhöfen,
www.zugnachberlin.de

Brandenburg:

23.–24. April

Potsdam:

25.–26. April

Cottbus:

27. April

Dresden:

28.–30. April

Bautzen:

2.–3. Mai im Hauptbahnhof

Görlitz:

4.–5. Mai im Hauptbahnhof

8. Mai:

Ankunft Gedenkstätte Auschwitz

   
 

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