Titel 6/2007

Lebensstildebatten

Kleine Zumutungen

Mit der Mobilität ist es wie mit dem Fußball. Jeder weiß es besser, und schnell ist man in hitzigen Debatten. Braucht die vierköpfige Familie einen kleinen Lkw? Ist das vollbesetzte Flugzeug umweltfreundlicher als die halbvolle Bahn? Kann man in Nachtzügen schlafen? fairkehr-Chefredakteur Michael Adler geht als professioneller Klima-Retter keiner Diskussion aus dem Weg.

 
Foto: Marcus Gloger  

Nein, ich bin nicht die moralische Instanz, die über das jeweilige Mobilitätsverhalten den Daumen hebt oder senkt. Dennoch wissen viele meiner Freunde und Bekannten, dass ich mich beruflich gegen sinnloses Autofahren und Herumfliegerei wehre. Das führt im einen oder anderen Fall schon mal zu vorauseilenden Rechtfertigungen oder trotzigem Vorpreschen. Beides ist nicht gerade ideal für entspannte Beziehungen. Nun bin ich allerdings überzeugt, dass ein paar Gramm weniger CO2 aus dem Auspuff unser Klimaproblem nicht lösen werden. Wir werden unser Konsum- und Mobilitätsverhalten ändern müssen. Das klingt zu schwer und moralisch. Gut, dann noch ein leichterer Versuch: Es wird sich nichts ändern, wenn wir uns nicht ändern. Deshalb kann ich nicht anders, ich muss mich immer wieder in Diskussionen begeben.

Wie vertritt man aber einen möglichst klimaschonenden Mobilitätsstil, ohne als Spaßbremse, besserwisserisch oder weltfremd zu gelten? Nach meinen Erfahrungen gibt es das Patentrezept nicht. Nur viele einzelne Versuche, die eigene Position zu vertreten, ohne den Ruf als ökofundamentalistische Nervensäge zu zementieren. Dazu gehört auch, das Gespräch im richtigen Moment wieder auf leichteres Terrain zu wenden. Gründe, warum Auto und Flugzeug nun mal sein müssen, gibt es unzählige. Die Einwände meinerseits, warum man aus beiden auch mal aussteigen kann, müssen zu den jeweiligen Menschentypen passen.

Nehmen wir zunächst den Preissensiblen. „Für 20 Euro nach London, da muss man ja fliegen.“ So äußert sich der Preissensible gern. Wer jetzt zaghaft die hervorragende Bahnverbindung nach London erwähnt, bekommt ein „viel zu teuer“ entgegengeschleudert. Der „Billigflieger“ fährt auch gerne Auto, allerdings nie, ohne sich über die horrenden Spritkosten zu echauffieren. Der Preissensible hat grundsätzlich keine BahnCard. Die ist ja zu teuer. Gerne belegt er die unglaublich hohen Bahnpreise an Einzelbeispielen. „Köln–Frankfurt 150 Euro, das mach ich mit dem Auto für ein Drittel.“

Bei diesem Typen bleibe ich immer beim Thema Geld. Ich kontere mit einem Einzelbeispiel, wie schnell sich die BahnCard rechnet. Und ich frage nach, was sein Auto gekostet hat. Außerdem erwähne ich den ständig steigenden Rohölpreis wegen der Chinesen und Inder, von denen nun auch einige so Herumfahren und -fliegen wollen wie wir. Um ihm dann zu erklären, dass er weniger fahren und fliegen muss, damit alles nicht noch viel teurer wird. Bei Bedarf kann man noch nachlegen, dass die Billigflieger mit Millionen aus öffentlichen Mitteln subventioniert sind, also aus seinen und meinen Steuergeldern.

Ökos erster Klasse

Der Zweifler bezweifelt erstmal alles. „Ob die Bahn weniger CO2 produziert als ein Flugzeug, wenn man den ganzen Strom und alles reinrechnet – ich weiß ja nicht? Und warme Sommer hat es schon immer gegeben.“ Ganz schwieriger Gesprächspartner, der Zweifler. Jede Antwort wird er selbstverständlich sofort wieder in Zweifel ziehen. Da reicht meine Autorität als kleiner Schreiberling nicht aus, um die Zweifel zu zerstreuen. Dieser Typ hat zudem überhaupt keine Lust, sich auf irgendetwas festzulegen. Der Zweifel ist ja das Lebensprinzip. Also muss die hinzugezogene Autorität möglichst leicht und unterhaltsam daherkommen. Keine komplizierten wissenschaftliche Abhandlungen, bitte. Der Al- Gore-Film könnte etwas bewegen, weil die Sicherheit und die dramatische Dimension der Erwärmung hier so deutlich dargestellt werden, dass sich auch ein Zweifler dem nur schwer entziehen kann. Eine passende fairkehr verschenke ich hier auch gerne. Kannst ja mal reinblättern, wenn du Zeit hast. Und für den Flugzeug-Bahn-Vergleich empfehle ich den atmosfair-Rechner. Da kann man mal spaßeshalber durchspielen, was die diversen Flugziele so an CO2-Tonnen auslösen.

Etwas bizarr sind oft die Diskussionen mit Menschen, die nach dem Gesetz schreien. „Ich würde ja 130 fahren, wenn die mal ein Gesetz machen würden.“ „Ich fände das richtig, wenn die in Berlin Autos, die zu viel verbrauchen, einfach verbieten würden.“ So oder so ähnlich lauten die vielversprechenden Äußerungen der Erziehungswilligen. Wohlgemerkt, so lange die Verbote aber nicht bestehen, kann er oder sie aber leider, leider nicht anders, als mit 200 km/h und einer richtigen Spritschleuder über die Autobahn zu heizen. Das Problem ist also, dass man sich als Prophet des Klimaschutzes hier schnell gut aufgehoben fühlt, man teilt ja die Grundeinsicht, dass sich etwas ändern müsse. Erst im zweiten Schritt bemerkt man oft, dass hier einer zu seinem Glück gezwungen werden will. Das Einfallstor bei diesem Typ ist die Bereitschaft, Regeln zu akzeptieren. Zunächst versichern wir uns meist gegenseitig, wie angenehm das langsamere Fahren auf französischen oder Schweizer Autobahnen ist. Mit kleinen Wetten kann man hier etwas bewegen. Wetten, dass du von Frankfurt nach Köln keine zehn Minuten länger unterwegs bist, wenn du nicht schneller als 130 fährst? Damit macht man quasi für den einmaligen Versuch ein Gesetz fest. Oder: Wenn du dir das nächste Mal ein Auto kaufst, dann orientiere dich an der VCD Auto-Umweltliste. Da hast du klare Angaben, welches Auto wenig CO2 produziert. Der VCD als quasi-gesetzgebende Instanz.

 
Foto: Marcus Gloger  

Verwandt mit dem Gesetze-Forderer ist der ohnmächtige Statusmobile. „Ich würde mich ja ändern, aber die Verhältnisse sind nicht so“, ist sein Lebensmotto. „Da, wo ich wohne, komme ich nur mit dem Auto hin und weg. Auch zum Flughafen. Ich muss beruflich viel fliegen, weil ich keine Zeit zum Bahnfahren habe. Ich werde überall gebraucht. Für den alltäglichen Transport brauchen wir einen großen Zweitwagen, weil der Kindergarten so weit von der Schule entfernt liegt, wir zur Kunstschule und zum Fußballtraining auch schon mal fünf bis sechs Kinder mitnehmen etc.“ Wer so lebt, kommt schnell mal auf 15 bis 20 Tonnen CO2 pro Jahr, allein für die Mobilität. Durchschnitt in Deutschland sind zwei bis 2,5 Tonnen für die Fortbewegung. Es geht hier vor allem um Status. Ich habe nun mal diesen aufwändigen Lebensstil, weil ich so wichtig bin. Den statusbesessenen Immer-Mobilen kann man nur durch statusbesetzte Technik begeistern. Einen Lexus-Hybrid, vielleicht auch einen Toyota Prius könnte man hier anbieten. Avantgarde-Technik mit hohem Statuswert und niedrigem Verbrauchswert. Aus dem Flugzeug heraus bekommt man diesen Typen nur mit dem TGV nach Paris oder dem ICE-Sprinter nach Berlin, 1. Klasse versteht sich. Und all das auch nur so lange, wie Klimaschutz en vogue ist.

Kein Klima-Ayatollah

Die Liste der Typen ließe sich endlos fortsetzen, denn niemand ist perfekt als Klimaschützer in einem Land, in dem der Durchschnittsbürger zwischen zehn und elf Tonnen CO2 emittiert. Der Sozialkritische wäre noch zu nennen, der klassenkämpferisch zuerst einmal Bewegung von denen da oben fordert. Oder der Ablenker, der stolz behauptet, dass er seinen 15 Jahre alten Diesel mit fünf Litern fährt, und da könne man ja nun wirklich nichts sagen.

Am Ende geht es immer darum, liebgewonnene Verhaltensmuster und Statussymbole zu verändern. Und es geht auch um Verzicht. Wer gewohnt ist, fünfmal im Jahr nach Mallorca zu jetten, für den ist es natürlich Verzicht, wenn er nur noch einmal fliegt. Oder wer jeden Weg mit dem Auto zurücklegt, weil Regen, Sonne und Wind seiner Frisur schaden, für den ist es schon eine harte Zumutung, zu Fuß im Regen zur nächsten Bushaltestelle zu gehen. Und doch werden wir uns auf noch Schlimmeres als nasse Füße einstellen müssen. Der Sprit reicht schlicht nicht, um die halbe Menschheit um den Globus zu karren, und die Alternativen, die als Perpetuum mobile funktionieren, sind nicht in Sicht. Die Zumutungen, die heute schon vielen als unzumutbar erscheinen, sind bestenfalls niedlich im Vergleich zu dem, was eine um zwei Grad höhere Durchschnittstemperatur auf unserer Erde auslösen wird.

Deshalb ist es notwendig, dass wir leidenschaftlich argumentieren und dabei doch locker bleiben. Wenn man erst einmal als Auto-Hassprediger oder Klima-Ayatollah verschrien ist, wird es auf der nächsten Party recht einsam um einen herum. Lebensstile verändert man nicht mal eben so. Ich lasse mir ja auch nicht einreden, dass Rasen auf der linken Spur bei Tempo 200 unbedingt zu einem spannenden Leben gehört. Wegen meinem Geschwätz vom Klima, wird allerdings auch niemand sein Auto verkaufen, schon gar nicht, wenn es mehr als 200 PS hat. An dieser Stelle darf man nicht depressiv oder aggressiv werden, sonst war alles umsonst.

Ich versuche zu werben für meinen nicht ganz so hochmotorisierten Lebensstil. Für mehr Zeit im Zug etwa oder für mehr frische Luft und Fitness auf dem Fahrrad. Mein Leben ist eben nicht spaßfrei, anstrengend und verzichtserprobt. Ich lasse mich oft fahren, was ja auch eine Form von Luxus darstellt. Auch ich bin beileibe kein Klima-Heiliger und dennoch in Diskussionen mit „normal Mobilen“ schon oft ein Stein des Anstoßes. Ich lande in der Addition all meiner CO2-Emissionen bei gut acht Tonnen, liege also gut 20 Prozent besser als der Durchschnitt. Aber auch das reicht bei weitem noch nicht. Wir stehen erst am Anfang der notwendigen Lebensstildebatten und mit jedem Klimabericht dämmert diese Erkenntnis mehr.

Michael Adler

   
 

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