Titel 6/2007

Neo-Ökos

Gesund, nachhaltig und sexy

Zukunftsforscher haben einen Megatrend entdeckt: den „Lifestyle of Health and Sustainability“. Seine Anhänger heißen Lohas, wollen Spaß haben und sich selbst Gutes tun – aber auf ethisch vertretbare Art. Die Welt retten wollen diese neuen, schicken Ökos nicht.

 
Foto: Marcus Gloger  

Am Anfang war der Antikonsumist der 80er Jahre: „Ich kaufe, also bin ich ein Schwein.“ Dann kam der Yuppie der 90er: „Ich kaufe, also bin ich.“ Und das Motto des Ökos von heute lautet: „Ich kaufe, also bin ich der Bestimmer darüber, was Unternehmen auf den Markt bringen.“

Der moderne Öko hört auch auf die Bezeichnung Lohas – eine Abkürzung für „Lifestyle of Health and Sustainability“, was so viel bedeutet wie „gesunder und nachhaltiger Lebensstil“. Und der hat nicht mehr viel zu tun mit der alternativen Lebensweise der Sandalenträger und Bioladenkundinnen der 70er und 80er Jahre. Lohas wollen weder verzichten noch missionieren, Lohas wollen gut leben und Spaß haben. Aber eben auf ethisch korrekte Art. „Die Vertreter der Neo-Ökologie bringen scheinbar Widersprüchliches zusammen“, sagt Eike Wenzel vom Zukunftsinstitut in Kelkheim, der zusammen mit zwei Kollegen die Studie „Zielgruppe Lohas. Wie der grüne Lifestyle die Märkte erobert“ veröffentlicht hat. „Lohas haben immer beides im Blick: Genuss und Nachhaltigkeit, individuelles Wohlergehen und das Schicksal der Menschheit. Der Mentalitätswandel geht dabei durch alle Altersgruppen und gesellschaftlichen Schichten hindurch“, stellt Wenzel fest.

Ein typischer Lohas kauft Bioäpfel, vorzugsweise aus der Region, und fair gehandelte Schokolade. An seine Haut lässt er nur Kosmetik aus natürlichen Rohstoffen. Er trägt Oberhemden aus ökologisch angebauter Baumwolle und läuft in Schuhen aus pflanzlich gegerbtem Leder, dreht Energiesparlampen ein und ist Kunde bei einem Ökostromanbieter, investiert sein Geld in grüne Fonds und legt seine Wohnung mit Teppichen aus, die garantiert kein achtjähriger Junge geknüpft hat.

Die neuen Ökos möchten mit Shopping die Welt verbessern. Sie wollen als kritische Konsumenten Unternehmen dazu zwingen, Produkte auf den Markt zu bringen, die der Umwelt und der Gesundheit nicht schaden und auf gerechte Weise herstellt werden.

Dagegen gibt es nichts einzuwenden. Es ist allemal besser, die Menschen kaufen ökologisch und sozial verträgliche Produkte, als mit ihrem Geld Umweltzerstörung, Kinderarbeit oder Waffenhandel zu unterstützen. „Das Konsumverhalten der Lohas führt dazu, dass Produkte hergestellt werden, die dann auch von anderen Zielgruppen gekauft werden. Insofern können sie eine Trendsetterfunktion haben“, sagt Konrad Götz, Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Lebensstilanalysen des Instituts für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des VCD. Dass Konsumentenmacht Märkte verändert, hat auch Peter Parwan beobachtet. Er betreibt das Internetportal lohas.de. „Den Konzernen brechen ganze Märkte weg, neue entstehen“, sagt Parwan. „Discounter machen mit Biolebensmitteln einen gewaltigen Umsatz. Die Menschen suchen sich Märkte und Produkte, denen sie vertrauen können.“ Kaum ein Unternehmen könne es sich noch leisten, auf ein Corporate-Social-Responsibility-Konzept (CSR) zu verzichten, in dem es verantwortliches Handeln auf den Märkten, gegenüber den Mitarbeitern und in Bezug auf die Umwelt festschreibe, so Parwan.

Die inneren Werte

Lohas definieren sich allerdings nicht nur über bewussten Konsum. Wichtig sind ihnen auch Selbstfindung und Spiritualität. Sie wollen selbstbestimmt arbeiten und ihre Karriere mühelos mit einem harmonischen Familienleben verbinden. Peter Parwan führt die berühmten „inneren Werte“ ins Feld, um zu beschreiben, was echte Lohas ausmacht: „Lohas fragen sich vor jeder Konsumentscheidung, in jeder Lebenssituation: Will ich das wirklich? Und vor allen Dingen: Macht mich das glücklich?“

Für Eike Wenzel vom Zukunftsinstitut sind die Lohas mehr als eine herkömmliche Zielgruppe, die durch Marketing manipulierbar und zu Kaufentscheidungen zu bewegen ist. Er sieht sie als eine „Bewegung mit starkem Einfluss auf Konsummärkte und Werteentwicklung“. Wenzel hat sie gar als neuen Megatrend ausgemacht, als eine Entwicklung, die Gesellschaft und Wirtschaft in den nächsten 20 bis 30 Jahren flächendeckend verändern wird.

Geboren ist die Bewegung in den USA. Als Eltern gelten der Soziologe Paul Ray und die Psychologin Ruth Anderson, die über 13 Jahre hinweg mehr als 100000 US-Amerikaner nach ihren Werten und ihrer Lebenseinstellung befragten. Das Ergebnis, das die Wissenschaftler im Jahr 2000 veröffentlichten: Etwa ein Drittel der Befragten hatte ein besonders ausgeprägtes Gesundheits- und Umweltbewusstsein und legte Wert auf nachhaltige Produkte. Diesem Drittel gaben die Forscher die Bezeichnung „Kulturell Kreative“. Der Begriff „Lifestyle of Health and Sustainability“ entsprang den Köpfen findiger Marketing-Strategen, die diejenigen Industrien untersucht hatten, die diese kritschen Konsumenten mit Waren beliefern.

Entstanden ist der neue „gesunde und nachhaltige Lebensstil“ also als eine Mischung aus sozialer Bewegung und Marketing-Kampagne. Das „Kaufen, um dazuzugehören“ war plötzlich nicht mehr moralisch verwerflich oder ein Zeichen für mangelnde Autonomie, sondern es wurde positiv besetzt: Wer solch eine Jeans trägt, sieht nicht nur schick aus, sondern darf sich auch zur Gemeinschaft der verantwortungsbewussten Konsumenten zählen. Der Markt für Lohas-Produkte ist groß. Er wird in den USA auf 250 Milliarden Dollar geschätzt, weltweit auf mehr als 500 Milliarden.

In den USA haben sich mittlerweile viele Promis zum Lohas bekannt und der Bewegung Auftrieb gegeben: George Clooney fährt Elektroauto, Julia Roberts wickelt ihre Zwillinge in chlorfreie Windeln und Arnold Schwarzenegger ist sowieso schon längst vom Terminator zum kalifornischen Klimaretter mutiert.

In Deutschland fehlen diese leuchtenden Vorbilder. Hierzulande haben vermutlich die öffentliche Debatte über den Klimawandel und die zahlreichen Lebensmittelskandale dazu beigetragen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher allmählich umdenken. Eike Wenzel schätzt den Anteil derer, die sich an einem gesunden und nachhaltigen Lebensstil orientieren, auf 30 Prozent. Mittelfristig könnten es seiner Aussage nach gar 50 Prozent werden. Der aktuelle „Greenstyle Report“ des Burda-Verlags zählt 5,6 Prozent der deutschen Bevölkerung zu den Lohas, das entspricht knapp 3,7 Millionen Menschen – die wahrscheinlich realistischere Zahl.

Öko wird Mainstream

Doch ob es nun vier oder 40 Millionen Lohas in Deutschland gibt – fest steht: Die Öko-Bewegung hat ein neues Outfit bekommen. Und gekleidet in dieses hippe Gewand hat sie die Mitte der Gesellschaft erreicht. Das Hamburger Trendbüro zieht in einer aktuellen Konsum-Ethik-Studie für den Versandhändler Otto den Schluss, dass aus dem ideologischen Thema Ökologie ein egozentrierter Wohlfühlfaktor geworden sei: Selbstverwöhnung statt Weltverbesserung. Lohas wollen Gutes tun – und dabei auf jeden Fall gut aussehen. Oder, wie Peter Wippermann vom Trendbüro es ausdrückt: „Produkte müssen gut sein für die Welt, gut für mich – und obendrein sexy.“

Das unterscheidet die Neo-Ökos deutlich von den Alternativen der 80er Jahre. Das Wörtchen Verzicht kommt im Vokabular eines Lohas nicht vor, denn es klingt nach erhobenem Zeigefinger und sauertöpfischer Miesmacherei, nach engen Rahmen und strengen Vorgaben. „Den Konsum von Gütern wirklich zu reduzieren, gilt in unserer Gesellschaft als unattraktiv“, erklärt der Frankfurter Sozialforscher Konrad Götz. „Wer verzichten soll, fürchtet soziale Desintegration.“ Das Trendbüro stellt in seiner Studie fest, der Lohas-Wohlfühlfaktor trage wahrscheinlich stärker zur Verbreitung umweltgerechter Verhaltensweisen bei als Jahrzehnte angestrengter Umweltbildungsmaßnahmen. Dennoch darf bezweifelt werden, dass der „Lifestyle of Health and Sustainability“ wirklich die Welt verbessert und sie vor dem Klimakollaps rettet. Die Schwierigkeit besteht schon darin, den Begriff überhaupt konkret zu fassen. Es gibt keine Attribute, die ein Mensch auf jeden Fall besitzen muss, um von Sozialforschern als zur Gruppe der Lohas gezählt zu werden. Die wenigsten Konsumenten krempeln im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte ihr gesamtes Leben um, sondern achten lediglich in bestimmten Bereichen wie Essen oder Mode auf Bioqualität und faire Produktionsbedingungen. In Deutschland profitiert bislang in erster Linie der Biolebensmittelmarkt vom veränderten Einkaufsverhalten. „Lohas leben nicht klimafreundlicher als andere Konsumenten, ihre Ökobilanz entspricht der des Durchschnittsdeutschen“, sagt Lebensstilforscher Konrad Götz. „Das CO2, das sie in einem Bereich einsparen, produzieren sie in einem anderen Bereich.“

 
Foto: Marcus Gloger  

Besonders die Mobilitätsgewohnheiten der Lohas sind kritisch zu betrachten. Lohas fliegen gern in ferne Länder und lernen fremde Kulturen kennen. Zwar tun sie das mit einem schlechten Gewissen und viele von ihnen leisten CO2-Ausgleichszahlungen. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass die „Kulturell Kreativen“ gern und oft ins Flugzeug steigen und dabei auch Angebote von Billig-Airlines nicht verschmähen.

Zudem nutzen Lohas das Auto nicht seltener als andere Menschen. Sie seien zwar offen für Alternativen zur Automobilität: Wenn es ein gutes Angebot an alternativen Fortbewegungsformen gebe, nähmen sie es gern in Anspruch, sagt Konrad Götz. „Doch damit dürfen keine Nachteile verbunden sein“, erklärt der Sozialforscher. „Die Mobilitätsangebote müssen bequem sein, technisch auf dem neuesten Stand – und cool.“

Ein Lohas kauft sich also ein Hybridauto und fährt damit zum nächsten Hofladen, um Biobirnen zu kaufen. Nachhaltiger wäre es, er würde sich aufs Fahrrad schwingen – doch das wäre möglicherweise mit Abstrichen beim Wohlfühlfaktor verbunden.

Der in Estland geborene Gesellschafts- und Konsumkritiker Kalle Lasn geht im Interview mit einem Schweizer Wirtschaftsmagazin hart mit den modernen Ökos ins Gericht. „Die Konzerne geben uns, was wir verlangen. Wollen wir ein bisschen grüner sein, geben sie sich einen neuen Anstrich“, sagt der Leiter der in Vancouver angesiedelten Organisation Adbusters, die gegen „geistige Umweltverschmutzung durch Markenwerbung“ kämpft. „Die Wahrheit aber ist, dass wir gar nicht gewillt sind, die fundamentalen Kompromisse einzugehen, die es zum Beispiel für eine kohlenstoffneutrale Zukunft brauchte.“ Mit anderen Worten: Die Lohas werden die Welt nicht retten. Und das wollen sie auch gar nicht, sagt Eike Wenzel vom Zukunftsinstitut. Er bezeichnet die Lohas als „pragmatische Idealisten“, die positiv nach vorn schauen. Sie wollen im Kleinen anfangen, etwas zu verändern.

Anders als Wenzel schätzt Konrad Götz die Sogwirkung des Lohas-Trends nicht so groß ein. Er sieht darin weder eine künftige Massenbewegung noch den Auslöser einer Konsumrevolution. „Die Lohas sind in ers-ter Linie das Produkt eines Medienhypes. Sie sind keine homogene und werden auch nicht zu einer hegemonialen Gruppe. Viele Menschen wissen nicht einmal, dass sie zu den Lohas gehören, weil sie noch nie davon gehört haben“, stellt Götz fest. Für ihn sind die Lohas eine Gruppe von vielen in einer Gesellschaft, die durch Lebensstilpluralisierung geprägt ist.

Fest steht trotz allem: Wer versucht, nachhaltig und gesund zu leben, macht die Welt nicht schlechter. Diesen Umstand würdigte auch der Präsident des Umweltbundesamts Andreas Troge, als er seine Rede auf der Tagung „Grün leben“ im Dezember 2006 mit den Worten beschloss: „Die »Neuen Ökos« versuchen, die Synthese von Lebensqualität und Ressourcenschonung immer wieder aufs Neue hinzubekommen. Das bedeutet für mich: mehr Gelassenheit im Umgang mit den nicht ganz Hundertprozentigen. Und volle Unterstützung für die, die einen nachhaltigen Lebensstil wollen und versuchen.“

Kirsten Lange

Lohas-Plattformen im Internet:
www.lohas.de
www.ivyworld.de
www.utopia.de

   
 

zurück zum Inhalt