Titel 6/2007

Geschmackssache

Alptraum in Bio

Die dogmatischen Weltverbesserer können ihren Mitmenschen ganz schön auf die Nerven gehen. Wer missionarisch auf Bio setzt, verdirbt seinen Kindern den Appetit.

 
Foto: Marcus Gloger  

„Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt“ – Nie hätte ich gedacht, dass dieser Alptraumsatz vieler Kinder mich einmal einholen würde, wenn ich erwachsen bin. Seit etwa fünf Jahren haben meine Eltern die ökologisch bewusste Ernährung für sich entdeckt. Und zwar nicht nur von jetzt auf gleich, sondern auch noch in einer Radikalität, die darauf angelegt ist, jedem Normalesser in ihrem näheren Umfeld gründlich Laune und Appetit zu verderben. Es gibt in meinem Elternhaus quasi kein Lebensmittel mehr, das nicht biologisch ist und dessen Herstellung und Transport nahezu CO2-Ausstoß-frei vonstatten gehen. Zucker und Brot, Joghurt und Schokolade, Apfelsaft und Wein – alles trägt den ökologischen Korrektheitsstempel.

Damit könnte ich bestens leben, würde mir dieser strikt kontrollierte Lebensstil nicht bei meinen seltenen Besuchen in der Heimat demonstrativ und ohne Rücksicht auf Proteste, ja, aufgezwungen werden. Denn während bei solchen Gelegenheiten der Kühlschrank früher überquoll vor lauter Lieblingsleckereien des Nachwuchses, hat sich selbiger, nämlich ich, seit einigen Jahren anzupassen. Natürlich geschieht das unter dem Deckmantel des „Wir wollen ja nur das Beste für dich“. Und natürlich habe ich aufbegehrt. Habe Lieblingsjoghurt und Schokoladenaufstrich zurückgefordert, weil mir das Öko-Pendant dazu schlicht nicht schmeckt. Heftige Debatten über den Sinn von moralischen Zeigefingern bei erwachsenen Kindern folgten. Ich bin bis heute unterlegen und muss mir, wenn ich bei meinen Eltern bin, meinen „ungesunden Mist“ selber kaufen. Bissige Kommentare väterlicherseits gibt’s gratis dazu.

Der Gipfel der elterlichen Ignoranz zeigt sich in der Weihnachtszeit. Ich muss mit gutem Beispiel vorangehen, dachte ich mir, und füllte den für Mutter und Vater selbst gebastelten Weihnachtskalender ausschließlich mit Sachen, die ich im Naturkostladen erstanden hatte und selbst nie essen würde. Das Signal „Ich akzeptiere euch, bitte akzeptiert auch mich“ muss irgendwo auf dem Postweg verloren gegangen sein. Denn zurück kam ein vorweihnachtliches Fresspaket für mich – komplett ökologisch, keine einzige Lieblingsschokolade drin versteckt. Inzwischen macht mich so viel Intoleranz gegenüber dem Lebensstil anderer Menschen nicht mehr wütend oder angriffslustig, sondern nur noch traurig.

Unsere Autorin möchte ungenannt bleiben, um das Verhältnis zu ihren Eltern nicht noch mehr zu belasten.

   
 

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