Politik 6/2007

Interview

Absurde Zahlenspiele

Verkehrsberater Gottfried Ilgmann wirft der Bahn vor, ihre Energiebilanz zu schönen. Peter Westenberger, Leiter der DB-Umweltkommunikation, hält Ilgmanns Zahlen für realitätsfern.

 

Foto: DB AG/Schmid
Mit 230 Stundenkilometern Richtung Berlin: Der Hochgeschwindigkeitsverkehr der Bahn frisst viel Energie.

fairkehr: Herr Westenberger, ist Bahnfahren wirklich per se klimafreundlich? Wirtschaftsingenieur Gottfried Ilgmann sagt nein und hat das in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ mit eigenen Zahlen untermauert.

Peter Westenberger: Die Bahn hat als System einen unbestrittenen Klimavorteil. Das heißt nicht, dass sie in jedem Fall die verbrauchsärmste Alternative darstellt. Doch beim Systemvergleich aller Verkehrsträger, das heißt unter Annahme der durchschnittlichen Auslastung, hat die Bahn beim Energieverbrauch und beim CO2-Ausstoß sehr gute Werte: im Fernverkehr zwei Drittel weniger CO2 als der Pkw und drei Viertel weniger als das Flugzeug.

fairkehr: Aber ein vollbesetztes Auto ist doch bezogen auf den Pro-Kopf-Verbrauch weniger klimabelastend als ein nur halbbesetzter ICE, zumal wenn es dem neuesten Stand der Umwelttechnik entspricht.

Westenberger: In der Realität sind Autos selten mit fünf Personen besetzt. Deshalb ist es für einen Verkehrsträgervergleich wenig sinnvoll, Einzelfallbetrachtungen anzustellen. Es muss der eben beschriebene Systemvergleich bei durchschnittlicher Auslastung zugrunde gelegt werden. Die beträgt beim Pkw 1,6 Personen, im Bahnfernverkehr 44 Prozent, im Nahverkehr 23 Prozent. Die Verbrauchs- und Emissionswerte einer ganz konkreten Reise gibt der Bahn-Umweltmobilcheck wieder, den das Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung ifeu entwickelt hat. Er berechnet die Ökobilanz einer individuellen Pkw-Fahrt, einer Bahnfahrt oder einer Flugreise – von Tür zu Tür. Der Umweltmobilcheck zeigt: Bei einer Reise etwa von Berlin nach Frankfurt mit einem mit vier Personen besetzten Mittelklassewagen fallen immer noch 17 Prozent mehr CO2 an, als ein durchschnittlich ausgelasteter ICE produziert.

fairkehr: Herr Ilgmann erläutert, dass jeder einzelne Reisende, der dann die Bahn nimmt, wenn die Züge ohnehin voll sind, dazu beiträgt, dass zusätzliche Züge fahren müssen. So trage er zur Klimabelastung bei.

Westenberger: Diese Betrachtungsweise ist weit von der Lebenswirklichkeit entfernt. Die meisten Menschen fahren nun einmal am Wochenenende und in der Rushhour. Die Straßen sind dann ebenfalls voll. Natürlich hat die Bahn freitags und sonntags den höchsten absoluten Energieverbrauch, doch sie erbringt dann auch die höchste Verkehrsleistung. Würden weniger Züge fahren, stiegen die Menschen aufs Auto um.

fairkehr: Nach Herrn Ilgmann ist derjenige der größte Umweltheld, der zu Zeiten geringer Auslastung in die Bahn steigt und eben nicht nur zu Spitzenzeiten Zug fährt.

Westenberger: Damit hat Herr Ilgmann völlig recht. Jeder zusätzliche Fahrgast senkt Pro-Kopf-Verbrauch und CO2-Emissionen im Schienenpersonenverkehr, weil der Zug nicht mehr Energie braucht. Das ist im Straßenverkehr übrigens anders: Wenn mehr Menschen im Auto sitzen, schluckt und emittiert es auch mehr. Hinzu kommt, dass der reale Verbrauch in der Regel höher ist, als im Standardzyklus ermittelt.

fairkehr: Was hat es mit dem stationären Energieverbrauch auf sich, die Ilgmann in seinen Berechnungen berücksichtigt?

Westenberger: Die Daten sind den DB-Umweltkennzahlen2006 entnommen. Dort weisen wir einen stationären Verbrauch von 19 Prozent des Gesamtenergiebedarfs aus. Darunter fällt jedoch nicht nur der Betrieb von Bahnhöfen, Weichen oder Bürogebäuden, sondern auch der des DB-Fuhrparks und unserer Nahverkehrsbusse. Im Systemvergleich der Verkehrsträger wird der Energieverbrauch durch Infrastruktur bisher nicht berücksichtigt, da für keinen Verkehrsträger umfassende Daten vorliegen. Eigene Studien der DB, die sich auf die bautechnisch sehr aufwändige Schnellstrecke Hannover–Würzburg beziehen, zeigen jedoch, dass der Infrastrukturanteil am Gesamtverbrauch erheblich niedriger ist als 19 Prozent. Er liegt für den ICE-Verkehr bei etwa zehn Prozent des gesamten Energieaufwandes einer Fahrt.

fairkehr: Herr Ilgmann bezieht neben dem stationären Verbrauch auch die Tatsache ein, dass die Bahn im weitmaschigen Fernverkehrsnetz anders als der Straßenverkehr Umwege zurücklegt.

Westenberger: In unseren Verbrauchszahlen ist jeder eventuelle Umweg enthalten! Die Durchschnittswerte für Fahrten im Fernverkehr beispielsweise – 2,9 Liter Benzinäquivalent je 100 Kilometer und 47 Gramm CO2 pro Kilometer und Person – können durch etwaige Umwege gar nicht erhöht werden, wie Herr Ilgmann behauptet. Denn sie beziehen sich auf die tatsächliche zurückgelegte Strecke. Die Bahn legt jährlich den Gesamtenergieverbrauch der Sparten Güter-, Personenfern- und -nahverkehr – inklusive Vorkette der Energieerzeugung, das heißt den Abbau von Kohle oder die Förderung von Erdöl – auf die jeweils erbrachte Leistung um. Herr Ilgmann betreibt ein absurdes Zahlenspiel.

fairkehr: Nicht abzustreiten ist, dass gerade der Hochgeschwindigkeitsverkehr viel Energie frisst. Ab Tempo 200 steigt mit dem Luftwiderstand der Verbrauch erheblich.

 
  Foto: DB AG
  Peter Westenberger ist Leiter des Bereichs Umweltkommunikation bei der DB.

Westenberger: Das ist richtig. Dennoch sind Spitzengeschwindigkeiten dort gerechtfertigt, wo verkürzte Reisezeiten die Menschen vom Auto oder Flugzeug auf die Bahn bringen. Das kommt dem Klima zugute. Mittelfristiges Ziel ist es, die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit zu verstetigen und auf ein Tempo zu optimieren, das Zeitvorteile bringt, ohne den Verbrauch zu sehr in die Höhe zu treiben.

fairkehr: Die Deutsche Bahn könnte also durchaus noch klimafreundlicher werden.

Westenberger: Maßnahmen wie die Nutzung von Bremsenergie, Leichtbauweise, innovative Antriebe oder eine energiesparende Fahrweise senken Verbrauch und CO2-Ausstoß zusätzlich. An diesen Stellschrauben werden wir weiter drehen, um unseren Umweltvorsprung auszubauen.

Interview: Kirsten Lange

Mehr Infos: www.db.de/umwelt
www.bahn.de/umweltmobilcheck

   
 

Gottfried Ilgmanns Zahlen

In der „FAS“ vom 14. Oktober 2007 hält der Verkehrsberater und Wirtschaftsingenieur Gottfried Ilgmann der Bahn vor, ihre Energiebilanz zu schönen und mit falschen Zahlen zu arbeiten. Bei eigenen Berechnungen ist Ilgmann für den Fernverkehr auf einen Energieverbrauch von 3,9 Litern Benzinäquivalent je 100 Kilometer und einen CO2-Ausstoß von 75 Gramm pro Kilometer und Fahrgast gekommen. Die Bahn gibt 2,9 Liter und 47 Gramm CO2 an. Ilgmann bezog den Energieverbrauch durch die Bahninfrastruktur ein, den sogenannten stationären Verbrauch. Er berücksichtigte, dass die Bahn im weitmaschigen Schienennetz längere Strecken zurücklegt als ein Auto auf der Straße. Zudem berechnete er Verbrauch und Emissionen für Fahrten zum und vom Bahnhof. Im Gespräch mit der fairkehr erklärte der Autor, er habe aufzeigen wollen, dass die Bahn nicht per se klimafreundlich sei. Vielmehr fahre das Unternehmen mit der Ausrichtung auf den Hochgeschwindigkeitsverkehr eine Strategie, die den Klimabonus zunichte mache. Am energiesparendsten sei es, Fahrgemeinschaften mit dem Pkw zu bilden – gerade zu Verkehrsspitzenzeiten, wenn die Züge ohnehin voll besetzt seien – und mit der Bahn zu fahren, wenn sie weniger gut ausgelastet sei, unter der Woche und nachmittags. Bei seinen Berechnungen berücksichtigt Ilgmann allerdings nicht die externen Kosten der Verkehrssysteme, die beispielsweise durch Unfälle oder Luftverschmutzung verursacht werden. Sie fallen im Straßenverkehr höher aus als im Schienenverkehr.

   
 

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