Titel 5/2007

Human Powered Mobility

Eine kleine Revolution

Auch die Schweiz leidet unter zu viel Verkehr in Ballungsräumen. Die Lösung sollen allerdings nicht mehr Umgehungsstraßen bringen, sondern enorme Investitionen in die mit Menschenkraft betriebene Mobilität – Fußverkehr, Radverkehr und Skaterrouten.

 

Fotos (2): swiss-image.ch
Radfahren in mittelalterlicher Umgebung: St. Ursanne am Doubs im Kanton Jura

Langsamverkehr heißt es in der Schweiz. Allein der Name würde in Deutschland das Ende eines jeden Verkehrskonzepts bedeuten. In der Schweiz hat die Regierung dem Langsamverkehr soeben einen reichen Geldsegen in Aussicht gestellt. Alles, was Fußgänger, Radfahrer und Skater in Ballungsräumen behindert, soll aus dem Weg geräumt oder überwunden werden – koste es, was es kosten muss.

Die Verkehrsprobleme, die die Schweizer bekämpfen möchten, sind die gleichen, die man auch in Deutschland kennt. Rund um die Ballungsgebiete ächzen Straßen- und Schienenstrecken unter dem zunehmenden Personen- und Güterverkehr. An den Autobahnkreuzen rund um die großen Städte geht zu Stoßzeiten gar nichts mehr. Pendler stehen Tag für Tag im Stau, Lieferzeiten verlängern sich, ein Unfall auf dem Autobahnkreuz oder eine Bombendrohung am Bahnhof kann eine ganze Metropole ins Verkehrschaos stürzen.

Auf Skates gegen das Verkehrschaos

Während man in Deutschland die Lösung in erster Linie im sechs- oder achtspurigen Ausbau der stadtnahen Autobahnen sieht, setzen die Schweizer auf Verkehrsmittel, die in anderen Ländern als solche gar nicht wahrgenommen werden: die Füße, das Fahrrad, Inline-Skater und Mountain-Bikes. Als dritte Säule neben dem öffentlichen und dem motorisierten Individualverkehr soll der von Menschenkraft betriebene Verkehr – international als Human Powered Mobility bekannt – die Schweizer Ballungsräume entlasten.

Damit es nicht beim guten Vorsatz bleibt, hat die Schweiz nun zum ersten Mal die Bundesmittel für Verkehrsinvestitionen auch für Projekte zugänglich gemacht, die dem Fußverkehr oder dem Radverkehr dienen. Insgesamt stehen während der kommenden zwanzig Jahre sechs Milliarden Schweizer Franken für die Verkehrslösungen in Ballungsräumen zur Verfügung. Bleibt abzuwarten, wie viel davon für Human Powered Mobility ausgegeben wird.

Gute Vorläuferprojekte gibt es bereits: Seit 1995 existiert die Stiftung Veloland Schweiz – angestoßen von Seiten der Politik, umgesetzt mit Mitteln aus der Wirtschaft. Anfängliches Ziel war es, bis 1998 im Rahmen einer „Public Private Partnership“ ein nationales Angebot für Fahrradfahrerinnen und Fahradfahrer zu realisieren und in den folgenden Jahren weiterzuentwickeln. 1998 wurde die Zielsetzung erweitert: Es sollte nicht mehr nur der Radverkehr, sondern die gesamte motorfreie Mobilität im Bereich Freizeit und Tourismus mit Unterstützung der Stiftung vorangetrieben werden.

Der politische Beschluss aus dem vergangenen Jahr führt dieses Konzept nun noch einen Schritt weiter: Was im Freizeitbereich bereits hervorragend funktioniert, soll nun auch im „Ernstfall“, also im Berufs- und Versorgungsverkehr, erprobt werden. Die Idee, die dahinter steckt: Wenn Fußgänger eigene attraktive Wege, eine übersichtliche und einheitliche Beschilderung, eine ansprechende Umgebung und liebevoll gestaltete Brücken, Ruhebänke oder Plätze zur Verfügung haben, lassen sie das Auto öfter stehen. Das Gleiche gilt auch für Fahrradfahrer. Und warum nicht mit den Inline-Skates ins Büro rollen, wenn die Wege schön glatt sind, mitten durch Parks und Wiesen führen und die Parkplatzsuche wegfällt? Da sind fünf Kilometer plötzlich keine Entfernung mehr, sondern das reine Fahrvergnügen. Dichte Wegenetze und eine gute Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsmittel untereinander sollen das Umsteigen vom eigenen Pkw auf „Human Power“ auch auf längeren Strecken möglich und attraktiv machen. Sichere Fahrradparkhäuser an Bushaltestellen oder Bahnhöfen gehören daher ebenfalls zum Konzept.

 

Duerrenroth im Emmental, Kanton Bern: „Slow up 2006“, ein Fest für Radfahrer, Inline-Skater und Wanderer – Langsamverkehr soll Spaß machen.

Wenn das Konzept in zwanzig Jahren umgesetzt ist, werden die Schweizer gesünder und fitter sein als die Deutschen. Außerdem werden sie effizienter arbeiten, seltener im Stau stehen, und ihre Just-in-time-Lieferungen werden pünktlich ankommen. Die Gesundheitskosten werden um zehn Prozent gesunken und das Bruttosozialprodukt wird gestiegen sein. Die Deutschen werden in der Zwischenzeit viele Autobahnen verbreitern und auch in zwanzig Jahren noch Angst davor haben, dass Fahrradförderung die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gefährdet.

Regine Gwinner

www.langsamverkehr.ch

   
 

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