Politik 4/2007

Hinterlandverkehr der Nordseehäfen

Ein Y ist keine Lösung

Im Jahr 2015 werden täglich rund 400 Güterzüge mehr als heute von und zu den Nordseehäfen rollen. Das norddeutsche Schienennetz muss dringend ausgebaut werden. Bund und Bahn setzen auf die sogenannte Y-Trasse. Doch die kann den künftigen Güterverkehr gar nicht bewältigen, zeigen Studien des VCD und der Uni Hannover.

 

 
  Foto: db ag/ Müller-elsner
  Im Jahr 2015 werden am Hamburger Hafen fast viermal mehr Container ankommen als heute.

Einfach nur absurd findet Dirk Eberle die Pläne des Bundes für eine neue Bahnhochgeschwindigkeitsstrecke in Norddeutschland. Die Y-Trasse zwischen Hamburg, Bremen und Hannover sei viel zu teuer – und ungeeignet für das, was sie leisten soll: den künftigen Güterverkehr von den Nordseehäfen ins Landesinnere bewältigen. Eberle weiß, wovon er spricht. Der Landschaftsarchitekt beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren mit der Y-Trasse. Im Landkreis Rotenburg/Wümme hat er den Umweltschutzverband Bothel/Brockel gegründet, der gegen die Y-Trasse protestiert.

Die Trasse ist ein Projekt des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) von 1992 und wurde 2003 in den vordringlichen Bedarf des BVWP aufgenommen, hat für den Bund also hohe Priorität. Ursprünglich konzipiert, um Fahrgäste zwischen Hamburg und Hannover ein paar Minuten schneller zu transportieren, gilt die Strecke jetzt als unverzichtbar für den stetig wachsenden Hinterlandverkehr der Seehäfen.

Nach Informationen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags wird der Containerumschlag in Hamburg bis zum Jahr 2015 um 290 Prozent zunehmen, in Bremerhaven um 240 Prozent. Außerdem soll bis 2010 ein neuer Nordseehafen entstehen: der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven, der eine bessere Schienenanbindung ans Hinterland braucht. Die vorhandenen Bahnstrecken können den zusätzlichen Güterverkehr nicht aufnehmen. Die Strecke Hamburg–Hannover über Lüneburg und Uelzen ist bereits jetzt überlastet, auf der Strecke Hamburg–Bremen sieht es nicht besser aus: ICEs und ICs, Nahverkehrs- und Güterzüge teilen sich die Gleise und behindern sich gegenseitig. Die Y-Trasse soll dazu beitragen, die Verkehre zu entmischen. „Wir nehmen den Fernverkehr von den Strecken und lassen ihn auf der Hochgeschwindigkeitstrasse fahren“, erklärt DB-Netz-Sprecher Hans-Georg Zimmermann. „Auf den Altstrecken werden dann Kapazitäten für den Güterverkehr frei.“

Kein Nutzen für Bremen

   
    Infografik: fairkehr
    Die Y-Trasse verläuft durch die Lüneburger Heide und verbindet Hamburg und Hannover. Außerdem ist ein Abzweig nach Bremen geplant. Die Trasse soll die Strecke Hamburg–Lüneburg–Hannover entlasten.

Die Kapazitäten reichen allerdings nicht aus, um das prognostizierte Güterverkehrsaufkommen zu bewältigen. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie des Diplom-Inge-nieurs Roland Sellien vom VCD Niedersachsen. „Die Y-Trasse bringt nur für Hamburg einen gewissen Nutzen“, sagt Sellien. „Es könnten von dort etwa 90 Güterzüge mehr pro Tag Richtung Hannover fahren.“ Nach Berechnungen der Universität Hannover rollen im Jahr 2015 vom Hamburger Hafen allerdings täglich etwa 300 zusätzliche Züge ins Hinterland. Hinzu kommt, dass Bremen, Bremerhaven, Wilhelmshaven und Emden von der Y-Trasse nicht profitieren werden, da der Bahnknoten Bremen ohne zusätzlichen Ausbau ein Engpass bleibt. „Die Y-Trasse verbindet nicht Knoten miteinander, sondern Strecken“, erklärt Sellien. „Das schafft weitaus geringere Kapazitäten.“ So erhält beispielsweise der Hamburger Hafen mit der Y-Trasse keinen direkten Anschluss. Die Trasse soll etwa 60 Kilometer vorher in die alte Bahnstrecke Bremen–Hamburg einmünden. Dadurch entstünde ein Nadelöhr: Bis Hamburg führen ICEs, Nahverkehrs- und Güterzüge wieder auf dem gleichen Gleis, der Entmischungseffekt ginge verloren. „Es bringt gar nichts, wenn ICEs wenige Minuten mit 300 km/h durch die Gegend rasen, um anschließend an den Endpunkten der Y-Trasse im Stau zu stehen“, sagt VCD-Bundesvorsitzender Michael Gehrmann. Außerdem würde die Bahnstrecke Bremen–Hamburg mit den zusätzlichen ICE-Zügen belastet, die von der Strecke Hannover–Lüneburg–Hamburg auf die Y-Trasse verlagert werden sollen. Möglicherweise müssten dann Nahverkehrszüge gestrichen werden.

Mindestens 1,3 Milliarden Euro wird die Y-Trasse kosten. Zu viel für den minimalen Nutzen und die Nachteile, die sie bringt, findet Roland Sellien. Er schlägt vor, für das gleiche Geld das vorhandene Schienennetz in Norddeutschland auszubauen, Strecken zu elektrifizieren oder auf zwei Gleise zu erweitern. Das schaffe mindestens fünfmal mehr Kapazitäten als die Y-Trasse.

Nicht rechtzeitig fertig

Landschaftsarchitekt Dirk Eberle befürwortet das VCD-Konzept. „Die Y-Trasse wird auf keinen Fall rechtzeitig fertiggestellt für das künftige Aufkommen im Güterverkehr“, sagt er. „Und sie funktioniert nur, wenn sie in einem Stück gebaut wird.“ Das VCD-Konzept sieht dagegen vor, Teilbeträge kurzfristig zu investieren und das Schienennetz den neuen Anforderungen nach und nach anzupassen.

Die Y-Trasse würde das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide sowie mehrere Ortschaften durchschneiden und der Region nichts bringen außer durchbrausende ICEs. „Ein Ausbau des Gesamtnetzes hingegen trägt zur Entwicklung der Region bei, zum Beispiel durch einen guten Güterverkehrsanschluss oder besseren Personenverkehr“, sagt Sellien. „Wenn die Menschen mit mehr Schienenverkehr leben müssen, sollen sie auch davon profitieren.“

 
  Foto: db ag/Jazbec
  Die Y-Trasse soll den schnellen Fernverkehr und den Güterverkehr entmischen. Das schafft sie aber nicht vollständig, vielmehr entstehen neue Engpässe.

Eine im Juli veröffentlichte Studie der Universität Hannover sieht die Y-Trasse ebenfalls kritisch. Die Verkehrswissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass die Trasse allein dem zunehmenden Güterverkehr nicht gewachsen sei. Sie schlagen zusätzliche Investitionen vor allem im Raum Bremen und bei den niedersächsischen Häfen vor. Außerdem diskutieren sie Alternativen zu der Schnellstrecke.

Die DB steht nach Aussage ihres Chefs Mehdorn zur hohen Priorität der Y-Trasse. Noch ist allerdings unklar, ob der Bund den Bau überhaupt finanzieren kann. Zwar hat er das Projekt in den Investitionsrahmenplan 2006 bis 2010 aufgenommen, allerdings nur mit 15 Millionen Euro, die die Planungskosten decken sollen. „Die Realisierung wird sich an den zur Verfügung stehenden Bundeshaushaltsmitteln auszurichten haben“, heißt es aus dem Verkehrsministerium. Wann die Y-Trasse fertiggestellt sein kann, ist ebenfalls offen. Das werde derzeit geprüft, sagt Bahnsprecher Zimmermann. Frühestens ab 2011 könne mit dem Bau begonnen werden.

Andere Schritte, die das norddeutsche Schienennetz fit für die Zukunft machen sollen, sind bereits konkreter. Bis 2013 wird die Strecke Hamburg–Hannover in einem Abschnitt auf drei Gleise erweitert, die Strecke Oldenburg–Wilhelmshaven soll bis zur Inbetriebnahme des Jade-Weser-Ports 2010 elektrifiziert und zweigleisig ausgebaut und der Knoten Bremen erweitert werden.

Dirk Eberle fordert Bahn und Bund zum Umdenken auf. „Als die Planungen für die Y-Trasse begannen, stand der Hochgeschwindigkeitsverkehr im Vordergrund“, sagt er. „Der Güterverkehr ist jedoch erheblich schneller gewachsen als der Personenverkehr.“ Deshalb müsse das Schienennetz ganz andere Anforderungen erfüllen – denen die Y-Trasse nicht gerecht werde.

Der Güterverkehr benötigt eigene optimierte Strecken – die im Bau überdies günstiger sind als Hochgeschwindigkeitsstrecken. Doch solange der Bund an der Y-Trasse festhält, gibt es keine Chance für sinnvollere Alternativen, weil die Gelder gebunden sind.

Kirsten Lange

VCD-Studie: www.vcd.org/nds/themen/SPNV/YTrasse/YTrasse.htm
Studie der Uni Hannover:
www.stiftung-bauindustrie.de/gutachten.html

   
 

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