Editorial 4/2007
 

25 Millionen BahnCards

 
fairkehr spezial

Sind Sie für die Privatisierung der Deutschen Bahn oder dagegen? Sie müssen sich schon entscheiden. In Deutschland verdichten sich komplizierte Fragen leider viel zu oft auf ein schlichtes Entweder-Oder. Mit religiöser Inbrunst werden dann die Debatten geführt, klar im jeweiligen Graben postiert und mit einschlägigen Kampfbegriffen munitioniert. Die Schlichtheit der Diskussion verschleiert dabei meist die Komplexität der Aufgabe.

Ich für meinen Teil will eine bessere Bahn. Ich will, dass mehr Menschen als bisher die Bahn nutzen, weil das sicherer ist und weil das Schadstoffe und Klimagase aus dem Verkehr begrenzt. Dabei ist es mir mit Verlaub ziemlich egal, ob der Gesetzentwurf von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee zur Bahnprivatisierung juristisch gesehen mit dem Grundgesetz vereinbar ist oder nicht. Das sollen die Juristen klären. Was mich aber wohl interessiert ist der verkehrspolitische Ansatz des Verkehrsministers. Um wie viel Prozent will Tiefensee den Anteil der Bahn am Gesamtverkehr steigern und wie viele Tonnen CO2 würde das einsparen? Und ist eine an der Börse gehandelte Bahn AG mit einem von ihr quasi monopolistisch betriebenen Netz der richtige Weg zu diesem Ziel?

Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde dies in einem Rumpfnetz à la francaise enden. Von Großstadt zu Großstadt Hochgeschwindigkeitsverkehr und ein kaum noch existenter Nahverkehr. Einziger Unterschied: Die französische Bahngesellschaft SNCF ist staatlich, Wettbewerb findet in Frankreich noch viel weniger statt, als in Deutschland. Die Staatsbahn ist also auch kein Allheilmittel.

Das Gegenbeispiel ist die wahrscheinlich beste Staatsbahn der Welt, die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Die Philosophie ist einfach mit dem Prinzip „S-Bahn Schweiz“ beschrieben. Mit maximal 160 Kilometern in der Stunde bewegen sich die Schweizer von Knotenbahnhof zu Knotenbahnhof, wo dann vertaktet der Umstieg in fast alle Richtungen möglich ist. Hier geht Systemgeschwindigkeit vor Streckenbeschleunigung. Der Lohn der Schweizer für ihre geliebte Bahn: Über zwei Millionen fahren mit dem Halbpreis-Pass herum und knapp 400000 mit der Netzkarte. Auf deutsche Verhältnisse übertragen wären das 25 Millionen BahnCards 50 – unvorstellbar.

In der Schweiz ist die gute Bahn das Ergebnis ganz klarer politischer Entscheidung, immer wieder bestätigt durch Volksabstimmungen. In Frankreich ist die Konzentration auf das kleine Hochgeschwindigkeitsnetz ebenfalls politisch gewollt. In Deutschland, so scheint es derzeit, will die Politik mit der Bahn nur etwas zu tun haben, wenn sie Geld oder Ruhm durch Großprojekte verheißt. So zu beobachten bei Stuttgart 21 oder bei der Verteidigung der Regionalisierungsmittel durch die Länder. Der Bund scheint zu glauben, mit dem Börsengang der Bahn könnte er gleich auch die Kosten des Verkehrsträgers Bahn privatisieren.

Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Wer verkehrspolitisch dem Klimawandel begegnen will, darf den Einfluss auf die Bahn nicht preisgeben. Man darf Mehdorn nicht mit der Bahn allein lassen, wir brauchen sie noch.

Schöne Bahnfahrten wünscht Ihnen

 

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