Reise 3/2007

Wales

Im Rhythmus der Gezeiten

Spontan verreisen, das heißt: nicht ein Jahr im Voraus Flug, Ferienhaus oder Hotel buchen, sondern am ersten Ferientag nach Lust und Laune, nach europäischer Gesamtwetterlage oder nach Geldbeutel entscheiden, wo es hin gehen soll. Das erfordert Kompromissbereitschaft, Spontanität und vor allem Gelassenheit, wenn einmal etwas nicht klappt. Dafür verspricht diese Art des Reisens viel Abwechslung und jede Menge nette Kontakte mit der einheimischen Bevölkerung. Zum Beispiel bei einer dreiwöchigen Wanderung auf einem Küstenpfad in Wales.

 
Foto: Pixelio.de  
Klippe auf, Klippe ab führt der Pembrokeshire Coast Path immer an der einsamen walisischen Küste entlang.  

Ein Stöhnen geht durch die Warteschlage in der kleinen Bahnhofshalle, als der Mann hinterm Schalter sagt: „Der Thalys ist auch schon ausgebucht. Wir müssen es mit dem ICE probieren.“ Gemeinsam schleppen eine ältere Frau und ein Jugendlicher eine Holzbank von der Wand des Wartesaals vor den Schalter. „Sie können ja nichts dafür“, wendet sich die Frau mir zu, die ich diesen Stau am einzigen Schalter verursache. „Aber im Sitzen lässt sich das Warten besser ertragen.“ Schnell weg – nach einer knappen halben Stunde verlasse ich mit einem dicken Bündel Tickets den Bahnhof.

Endlich am Ziel

Zwei Tage später in Wales: Warm leuchtet die Abendsonne über dem Meer. Viele kleine Jollen und Katamarane sind draußen auf dem Wasser. Am Strand fachsimpeln Segler oder legen letzte Hand an ihre Boote. Auf der Kaimauer sitzen Menschen, schauen zu und trinken Bier, viel Bier. Das ganze Dorf ist auf den Beinen. Morgen ist Segelregatta, und Segler und Zuschauer stimmen sich schon mal auf das Ereignis ein.
Wir sind den ganzen Tag auf dem berühmten Pembrokeshire Coast Path gewandert und dabei keinem einzigen Menschen begegnet. Nun sitzen wir, die Beine müde, die schweren Rucksäcke an eine Bank gelehnt, inmitten dieser beachtlichen Menschenansammlung und wundern uns. Eine Übernachtungsmöglichkeit für vier Personen? Nicht an diesem Abend: „Wenn Sie gestern gekommen wären … “. Die Besitzerin des Bed & Breakfast hält mit der einen Hand ihr Bier fest und weist mit der anderen auf die vielen Menschen am Hafen. Trotz Müdigkeit und ungewisser Zukunft genießen wir den milden Abend am Meer. Die Kinder spielen am Strand. Ob wir auch schon mal ein Bier möchten? Unserer Obdachlosigkeit haben sich längst kompetentere Menschen angenommen. Die B&B-Besitzerin spricht jeden an, der Zimmer vermietet oder von einer noch freien Unterkunft in einem Nachbarort wissen könnte. Handys werden gezückt, vorüberfahrende Autos angehalten. Schließlich hält ein klappriger Peugeot am Straßenrand und eine ältere Frau winkt uns heran: „Sue im Clockhouse hat noch vier Betten frei. Steigt ein, ich fahre euch hin.“
Sue ist der Traum jedes heimatlosen Wanderers. Sie empfängt uns mit strahlendem Lächeln und offenen Armen. Zwei Nächte bleiben wir bei ihr, lassen uns mit einem gigantischen walisischen Frühstück verwöhnen, erkunden die Umgebung und liegen faul an den makellosen und menschenleeren weißen Sandstränden herum, für die Wales neben seinen ebenso menschenleeren Wanderwegen anscheinend berühmt ist. Dann geht es wieder weiter von Strand zu Strand und von Dorf zur Dorf an der walisischen Küste entlang.

Bisher nichts verpasst?

Nachdem wir einige Tage monoton Klippe auf, Klippe ab dem Küstenweg gefolgt sind, kommt ein Bedürfnis nach mehr Information auf. Man könnte ja etwas verpassen. In einem kleinen Tourismusbüro kaufen wir einen Reiseführer für die Region. Viele der Orte, für die wir uns begeistert haben, sind darin überhaupt nicht verzeichnet. Dafür beeindruckende Burgen im Hinterland, Vergnügungsparks, Zoos, Museumsbahnen und andere Touristenattraktionen. Nichts, was uns von „unserem“ Weg weglocken könnte.

 
Foto: Ulrich Habbe  
Die beste Motivation beim Wandern mit Kindern: Alle paar Stunden legt die Ebbe riesige weiße Sandstrände frei.  

 

International untergebracht

Die Ebbe setzt nun jeden Tag etwas später ein. Morgens wird gewandert, den Nachmittag verbummeln wir am Strand. Es ist schon weit nach acht Uhr, als wir endlich in der Jugendherberge von Trefin ankommen. Der Ort ist unspektakulär, die Jugendherberge zu unserem Glück nicht ausgebucht.
Chris und Dave, die ehrenamtlichen Herbergseltern, kochen sich in der Küche ihr biodynamisches Abendessen. „Möchtet ihr eine Tasse Tee?“, lautet die rituelle Begrüßung, wann immer man die Selbstversorgerküche einer Jugendherberge betritt. Die Kinder bekommen einen Stempel in ihren Jugendherbergsausweis und ein Glas Orangensaft, die Großen trinken Tee, kochen Nudeln und diskutieren über den Stand des Umweltschutzes in aller Welt.
Am nächsten Morgen dann wieder die übliche Routine: Betten abziehen, Kuscheltiere, Fußball, Kescher und Wasserflaschen am Rucksack vertauen, Wanderschuhe schnüren und auf der Karte den nächsten Strand orten. Wo wir heute Abend schlafen werden? Mal sehen, wie weit uns die Füße tragen.

Regine Gwinner

   
 

Informationen

Anreise: Mit dem Eurostar ab Brüssel nach London. Von London aus über Swansea und Cardiff bis Milford Haven.Tickets für Großbritannien: VisitBritainDirect, Tel.: (01801) 468642
Mobilität vor Ort: In Wales verbinden Busse regelmäßig die Hauptorte. Entlang des Pembrokeshire Coast Path fahren täglich Wanderbusse, die erschöpfte Wanderer einsammeln. Infos: www.pembrokeshire.gov.uk/coastbus/
Übernachtung: Günstig und oft idyllisch gelegen sind die Jugendherbergen an der Küste. Unsere Favoriten: Marlow Sands wegen der schönsten Strände und Pwll Deri wegen der besten Aussicht. Infos: www.yha.org.uk
In den meisten Orten entlang der Wanderroute gibt es Pensionen und Bed and Breakfast-Angebote.
Informationen: www.german.visitwales.com
Wandern: Informationen zum Weg: www.pembrokeshirecoastpath.co

 

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