Politik 3/2007
Schlichtungsstelle Mobilität
Zukunft für Schlichtung
Seit Ende 2004 vermittelt die Schlichtungsstelle Mobilität in Streitfällen zwischen Reisenden und Unternehmen im öffentlichen Fernverkehr. Im November dieses Jahres sollte die Förderung durchs Bundesverbraucherministerium eigentlich auslaufen. Jetzt hat das Ministerium angekündigt, das Projekt bis Ende 2009 weiter zu finanzieren.
|
|
|
Foto: Fraport AG |
|
Aufsicht tut not: Die Schlichtungsstelle Mobilität hat bisher mehr als 5300 Beschwerden und Anfragen erhalten. |
Als sie am Schalter ihr Bahnticket nach Berlin kauft, teilt der Mitarbeiter der Reisenden mit, sie dürfe am Zielort für umsonst eine Strecke mit dem Nahverkehr zurücklegen, dank des sogenannten City-Tickets. Eine Falschinformation, denn die Frau besitzt keine BahnCard und die ist Voraussetzung für das City-Ticket. In der Berliner U-Bahn wird die Reisende des Schwarzfahrens bezichtigt und soll 40 Euro Strafe zahlen. Da die Bahn AG ihre Beschwerde abweist, wendet sie sich an die Schlichtungsstelle Mobilität in Berlin.
Die falsch beratene Bahnkundin gehört zu den mehr als 5500 Menschen, deren Beschwerden und Anfragen die Schlichtungsstelle bislang erreicht haben. Die Einrichtung unter dem Dach des VCD hilft seit Ende 2004 Reisenden bei Ärger im öffentlichen Fernverkehr. Sie vermittelt zwischen Kunden und Bahn bzw. Fluggesellschaften und verhindert dadurch, dass die Verbraucher vor Gericht ziehen müssen. „Davon profitieren alle Seiten“, sagt Projektleiterin Heidi Tischmann. „Die Kundinnen und Kunden haben eine unparteiische Anlaufstelle, die ihnen ohne bürokratische Hürden zu ihrem Recht verhilft. Das vermeidet Prozesskosten und entlastet die Gerichte. Und für Unternehmen ist eine erfolgreiche Schlichtung zusätzliche Imagewerbung.“ Fast 1000 Schlichtungsverfahren hat die Institution bis Ende 2006 abgeschlossen, darunter den Fall der unfreiwilligen Schwarzfahrerin in Berlin. Die Schlichtungsstelle unterbreitete der Bahn den Vorschlag, 70 Prozent der Geldstrafe zu übernehmen, denn immerhin habe einer ihrer Mitarbeiter die Reisende falsch informiert. DB und Kundin akzeptierten das Angebot.
Die Schlichtungsstelle Mobilität ist eine effektive Einrichtung, um Verbraucherrechte im Fernverkehr durchzusetzen – und ihre Zukunft ist bis Ende 2009 gesichert. Ursprünglich sollte die Finanzierung durchs Bundesverbraucherministerium zum 30. November 2007 auslaufen. Nachdem der VCD einen Antrag auf Verlängerung um zwei weitere Jahre gestellt hatte, kam Ende Mai der positive Bescheid. „Wir freuen uns darüber, dass das Ministerium die erfolgreiche Arbeit der Schlichtungsstelle anerkennt und sie weiterhin möglich macht“, sagt VCD-Bundesgeschäftsführer René Waßmer. „Das ist ein positives Signal für den Fortbestand und die Stärkung außergerichtlicher Schlichtungsverfahren im öffentlichen Fernverkehr.“
Unternehmen ins Boot holen
Der Beirat der Schlichtungsstelle Mobilität, in dem Journalisten, Wissenschaftler, Verbandsvertreter und Referatsleiter aus dem Verkehrs- und Verbraucherministerium sitzen, hat nun zwei Jahre Zeit, sich für die sichere Existenz einer unbürokratischen Anlaufstelle für Reisende starkzumachen. Dazu benötigt er Unterstützung durch die Politik und die Verkehrsunternehmen.
Auf der VCD-Fachtagung „Zukunft braucht Schlichtung, Schlichtung braucht Zukunft“ Ende März diskutierten internationale Expertinnen und Experten aus den Bereichen Schlichtung, Reiserecht, Verbraucherschutz und Politik über die Perspektiven der Schlichtungsstelle Mobilität. In einem waren sie sich einig: Deutschland braucht außergerichtliche Schlichtung im öffentlichen Verkehr. Knackpunkt ist allerdings die Finanzierung. Die Bundestagsabgeordneten Marianne Schieder (SPD) und Julia Klöckner (CDU) machten auf der Tagung deutlich, dass die ausschließliche Förderung durch das Bundesverbraucherministerium nur ein Übergang sein könne. Mittelfristig sollten die Verkehrsgesellschaften zumindest einen Teil der Finanzierung übernehmen – sie profitierten schließlich von der Arbeit der Schlichtungsstelle.
In einzelnen Bereichen in Deutschland, beispielsweise in der Versicherungswirtschaft und im Bankenwesen, tragen die Unternehmen die Kosten der Schlichtung vollständig. In anderen europäischen Ländern, allen voran England, hat die außergerichtliche Einigung auch im Verkehrssektor eine lange Tradition und wird oftmals von den profitierenden Unternehmen wenigstens anteilig finanziert. Dass das im Fall der Schlichtungsstelle Mobilität auf freiwilliger Basis passiert, ist unwahrscheinlich. „Viele Verkehrsunternehmen haben den Wert der außergerichtlichen Einigung noch nicht für sich erkannt“, sagt Tischmann von der Schlichtungsstelle. „Die Deutsche Bahn arbeitet vorbildlich mit uns zusammen. Bei vielen Fluggesellschaften gibt es allerdings Probleme. Die Lufthansa, Air Berlin, Germanwings, Ryanair und easyJet beispielsweise zeigen bislang kein Interesse an einer Kooperation“, kritisiert die Projektleiterin.
|
|
|
Foto: www.pixelio.de |
|
Deutschland will verbindliche Entschädigungen bei Zugverspätungen einführen. |
Mehr Rechte, mehr Klagen
Dabei treten gerade im Flugverkehr Probleme mit Kundenrechten auf. Seit Ende Februar 2005 sind die europäischen Fluggastrechte in allen EU-Ländern in Kraft. Sie räumen Passagieren Entschädigung ein, wenn ein Flug überbucht ist, annulliert wird oder sich erheblich verspätet. In der Praxis stehlen sich allerdings viele Fluggesellschaften aus der Verantwortung, indem sie auf „außerordentliche Umstände“ wie politische Unruhen, schlechtes Wetter oder Streiks verweisen, bei denen Entschädigungen ausgeschlossen sind. Als Folge hat sich die Anzahl der Beschwerden über Flugreisen bei der Schlichtungsstelle Mobilität 2006 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.
Die Existenz einer außergerichtlichen Schlichtungsstelle im Verkehrsbereich wird noch wichtiger, wenn der Bund ein Gesetz für Fahrgastrechte im Nah- und Fernverkehr der Bahn verabschiedet. Noch in diesem Jahr will Deutschland verbindliche Entschädigungen bei Zugverspätungen einführen. „Unsere Erfahrung ist: Sobald es neue Gesetze und Rechte gibt, nehmen die Anfragen und Beschwerden zu, weil Unklarheiten und Streitpunkte entstehen“, sagt Heidi Tischmann.
Der Vorsitzende des Beirats der Schlichtungsstelle Mobilität, Prof. Klaus Tonner von der Uni Rostock, will sich deshalb dafür einsetzen, dass der Bund die Schlichtung im öffentlichen Personenverkehr vorschreibt. Wenn die Fahrgastrechte für Bahnkunden in einem Gesetz geregelt werden, möchte der Jurist Tonner darin „eine durch Ausschreibung zu ermittelnde Stelle“ für außergerichtliche Einigung festgelegt wissen. Die Grundfinanzierung solle der Staat übernehmen, die restlichen Kosten müssten die Unternehmen tragen.
Da die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag 2005 erneut bekräftigte, die Position der Verbraucherinnen und Verbraucher in allen Wirtschafts- und Lebensbereichen stärken zu wollen, wäre die dauerhafte Einrichtung einer Schlichtungsstelle im Verkehrssektor konsequent.
Kirsten Lange
www.schlichtungsstelle-mobilitaet.org
|