Magazin 2/2007

Verkehrsplanerin für einen Tag

Der VCD-Kreisverband Minden-Lübbecke-Herford will Schülern die sozialen und ökologischen Aspekte von Mobilität näherbringen.

 
Foto: marcus gloger  
Überall im Lande sollten Kinder und Jugendliche mit dem Rad zur Schule kommen. Dazu will der VCD mit seinem Mobilitätserziehungsprojekt beitragen.  

Nicole, Anastasia und Larissa sitzen im Verkehrsausschuss, der über den Umbau einer gefährlichen Straßenkreuzung entscheiden soll. Vor zwei Monaten ist dort ein betrunkener Jugendlicher bei einem Moped-Unfall ums Leben gekommen. Schweigend und ein wenig unsicher hören sich die Ausschuss-Mitglieder die Argumente von Naturschützern, Anwohnern, Autofahrern und Kneipenbesitzern an. Am Ende sollen sie daraus eine Lösung stricken, mit der alle zufrieden sind.

Keine leichte Aufgabe für die drei Neuntklässlerinnen der Erich-Kästner-Gesamtschule in Bünde/Westfalen. Allerdings auch keine, die sie im wahren Leben lösen müssen. Sie sind Verkehrsplanerinnen für einen Tag. Die Kreuzung gibt es nicht wirklich, auch der Unfall ist fiktiv. Auf dem Stundenplan der Klasse steht Mobilitätserziehung. Der Ausschuss ist Teil eines Rollenspiels, bei dem die Schüler sich in die Situation von Interessensgruppen versetzen sollen. Verantwortlich für den Projekttag sind die Studentinnen Ivonne Wattenberg und Corina Rhodovi. Sie planen und leiten den Unterricht im Rahmen des Projekts „Nachhaltige Mobilitätserziehung in der Sekundarstufe 1“. Der VCD-Kreisverband Minden-Lübbecke-Herford hat es ins Leben gerufen, um den Klassenstufen fünf bis zehn die ökologischen und sozialen Aspekte von Mobilität näherzubringen.

„Wir gehen in die Schulen in der Region und erklären den Kindern und Jugendlichen, wie sie sich im Straßenverkehr verhalten müssen, wie gesund und umweltfreundlich Fahrradfahren ist und welche Vorteile der öffentliche Nahverkehr hat“, sagt Corina Rhodovi. „Dabei berücksichtigen wir natürlich die unterschiedlichen Schulformen und Altersstufen. Außerdem ist uns Interaktion sehr wichtig, wir wollen keinen Frontalunterricht abhalten.“ Die 22-Jährige und fünf weitere Studentinnen der Gesundheitskommunikation waren sofort dabei, als der VCD-Kreisverband im vergangenen Jahr an der Uni Bielefeld nach Teilnehmerinnen für das Projekt fragte. „Wir sind zwar keine Pädagoginnen“, sagt die 23-jährige Ivonne Wattenberg, „aber unser Studiengang hat durchaus etwas mit Vermitteln zu tun. Wir erklären den Menschen, wie sie gesund bleiben.“ Bevor sie vor die Klassen traten, lernten die sechs jungen Frauen bei einer Schulung, was für den VCD nachhaltige Mobilität bedeutet, und bekamen Grundzüge der Didaktik mit auf den Weg.

Anschauliche Bremswege

Die setzen Heidi Robe und Anja Dernbach überzeugend um. Auf dem Boden der Turnhalle der Bündener Gesamtschule haben die Studentinnen zwei farbige Stoffbahnen ausgerollt – eine ist etwa doppelt so lang wie die andere. „Wer kann mir sagen, was diese Bahnen darstellen?“, fragt Anja die Schülerinnen und Schüler der Klasse 5e. Finger schnellen in die Höhe, doch es dauert eine Weile, bis die richtige Antwort aus den Kindern herausgekitzelt ist: Die kürzere Bahn stellt den Bremsweg eines Autos bei Tempo 30 dar, die längere den bei Tempo 50. Beides hatten die Fünftklässler in der vorangegangenen Schulstunde ausgerechnet.

Nun stehen Bewegungsspiele auf dem Programm. Heidi Robe gibt den Kindern die wichtigsten Spielregeln mit auf den Weg – die auch für das Verhalten im Verkehr gelten: Rücksicht nehmen, nicht drängeln, nicht schubsen, einander nicht anschreien, sondern zusammenarbeiten. Wer sich nicht daran hält, bekommt Punktabzug.

Eskalation beim Spiel

In der Klasse 9d wäre eine solche Regel vermutlich wirkungslos. Die Mädchen und Jungen diskutieren so aggressiv über die Vorschläge des Ausschusses, dass am Ende niemand mehr hört, was die Anderen zu sagen haben. Da auch die Lehrerin nicht zu den aufgebrachten Schülern durchdringt, müssen Corina Rhodovi und Ivonne Wattenberg das Planspiel vorzeitig abbrechen. Betroffenes Schweigen, als Corina den Jugendlichen erklärt, warum die Zusammenarbeit mit ihnen nicht möglich ist. „Diese Klasse war wirklich eine Ausnahme“, sagt sie nach Unterrichtsende. „Schade, dass es so gelaufen ist.“

Bei der 5e geht es friedlicher zu. Nachdem die Kinder eine Schulstunde lang Fahrradhelme aufprobiert haben, raten sie nun munter mit beim Verkehrsquiz. Sie beantworten Fragen zum sicheren Radeln, zur richtigen Ernährung und zu Erdölreserven. Es stellt sich heraus, dass von den 25 Kindern nur zwei mit dem Rad zu Schule kommen, eins geht zu Fuß, der Rest fährt mit Bus oder Eltern-Taxi. Diese Zahlen zeigen, wie wichtig Projekte wie das vom VCD

Minden-Lübbecke-Herford sind. Allerdings wird die nachhaltige Mobilitätserziehung im nächsten Schuljahr voraussichtlich nicht mehr stattfinden. Bislang hat die Nordrhein-Westfälische Stiftung für Umwelt und Entwicklung das Projekt gefördert, doch der fehlt nun das Geld. „Wir sind zurzeit auf der Suche nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten“, sagt VCD-Kreisvorstand Uwe Hartmeier. „Die positiven Rückmeldungen aus den Schulen zeigen, dass das Interesse an unserer Art der Mobilitätserziehung groß ist.“

Kirsten Lange

www.mobi-erz.de

 

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