Politik 1/2007

Kopfbahnhof 21

Nicht den Kopf verlieren

Stuttgart 21 ist eines der umstrittensten Bahnprojekte in Deutschland. Im Mittelpunkt des Konflikts steht der Hauptbahnhof: Eine unterirdische Durchgangsstation soll den Kopfbahnhof ersetzen. „Unnötige Umweltzerstörung und Geldverschwendung“, findet der VCD-Landesverband Baden-Württemberg. Sein Alternativkonzept heißt Kopfbahnhof 21.

 
  Foto: DB AG/Rudel
  Endstation Schalterhalle: Kopfbahnhöfe wie in Stuttgart sind bei Reisenden beliebt, weil sie die Bahnsteige erreichen, ohne Treppen steigen zu müssen.

Mit einem schlafenden Krokodil vergleichen die Gegner von Stuttgart 21 den geplanten unterirdischen Bahnhof im Stadtzentrum. Er ist Kernstück des mindestens 2,8 Milliarden Euro teuren Projekts der Bahn, des Landes Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart. 13 Meter hohe Licht-augen zur Erhellung der Tiefstation sollen künftig dort herausragen, wo jetzt noch Schlossgartenbäume grünen. Ein Durchgangsbahnhof im Tunnel soll den Kopfbahnhof im denkmalgeschützten Bonatzbau in seiner Funktion als Hauptbahnhof ersetzen. Die Planer erhoffen sich dadurch kürzere Fahrtzeiten – und 100 Hektar zusätzliches Bauland auf den freiwerdenden Gleisflächen. Ein verlockendes Angebot für die Landeshauptstadt, die sich wegen ihrer Kessellage kaum weiter ausdehnen kann.

Stuttgart 21 – kurz S 21 – spaltet die Gemüter im Schwabenland: Was den einen unverzichtbar ist für die Entwicklung der Stadt zur modernen Metropole des 21. Jahrhunderts, bezeichnen die Kritiker als sinnloses Prestigeobjekt, unnötige Geldverschwendung und Umweltzerstörung. Das Argument der Befürworter, der Tiefbahnhof sei elementarer Teil der geplanten Schnellstrecke von Stuttgart nach Ulm, tut Klaus Arnoldi, Bahnexperte vom VCD-Landesverband Baden-Württemberg, mit einer Handbewegung ab. „Der Anschluss an die Neubaustrecke ist auch ohne Stuttgart 21 möglich“, sagt er. Kopfbahnhof 21 heißt das Alternativkonzept, mit dem der VCD den Bahnhof der Landeshauptstadt fit machen will fürs neue Jahrtausend.

Sichere Anschlüsse

Die Idee: Der historische Hauptbahnhof behält seine Funktion, Bahnsteige und Empfangshalle bekommen ein moderneres Gesicht, das Gleisvorfeld wird saniert und nicht mehr benötigte Schienenstränge werden zurückgebaut. Außerdem soll die Strecke zwischen Bad Cannstatt im Norden und dem Hauptbahnhof um zwei Gleise erweitert werden. Damit wäre gewährleistet, dass die S-Bahn in der Rushhour pünktlicher würde und den Regionalverkehr nicht behinderte, erklärt Klaus Arnoldi. Bislang teilen sich Regionalzüge und S-Bahnen ein Gleis nach Bad Cannstatt.

   
    MoDell: DB AG
    Wie ein schlafendes Krokodil würde der neue Stuttgarter Tunnelbahnhof aus der Mitte des Schlossgartens schauen.

„Ein großer Vorteil unseres Konzepts ist, dass alle 16 Bahnsteiggleise erhalten bleiben“, sagt Arnoldi. „Das ermöglicht einen sogenannten Integralen Taktfahrplan. Anschlusszüge können im Bahnhof warten, und zwar auch, wenn die anderen Züge Verspätung haben. Für die Fahrgäste heißt das: Sie wissen, dass sie ihren Anschluss erreichen, ohne lange am Bahnsteig stehen zu müssen.“ Der im Rahmen von Stuttgart 21 geplante Durchgangsbahnhof dagegen sei mit seinen lediglich acht Gleisen nicht in der Lage, einen Integralen Taktfahrplan zu gewährleisten, so Arnoldi. Vielmehr werde der Tunnelbahnhof zu einem Nadelöhr für den Nah- und Regionalverkehr. „Profitieren würde von Stuttgart 21 lediglich der Fernverkehr“, ist sich Heiner Monheim sicher, Verkehrswissenschaftler und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des VCD, „und das auch nur in sehr geringem Maße. Es geht um wenige Minuten Zeitersparnis, die die hohen Investitionen in das Projekt nicht rechtfertigen.“

   
  Fotomontage:
VCD Baden-Württemberg
 
  Der VCD schlägt vor, im Zuge der Sanierung des Kopfbahnhofs die Bahnsteige zu überdachen und zu begrünen.  
     

Befürworter des unterirdischen Durchgangsbahnhofs argumentieren, ein Kopfbahnhof sei gar nicht in der Lage, mehr Verkehr zu bewältigen: Erstens koste es zu viel Zeit, wenn die Züge einen Teil der Strecke zweimal befahren müssten, zweitens behinderten sich die Züge bei der Ein- und Ausfahrt in den Bahnhof gegenseitig, da die Gleise sich kreuzten. Einwände, die Arnoldi schnell entkräften kann. „Bei der zusätzlichen Fahrtzeit handelt es sich je nach Strecke um zwei bis drei Minuten“, sagt der VCD-Bahnexperte. Was die Behinderungen im Gleisfeld vor dem Bahnhof betrifft, so sieht das Konzept Kopfbahnhof 21 vor, neue Brücken und sogenannte Überwerfungsbauwerke zu errichten, mit denen sich ein Gleis kreuzungsfrei über ein anderes führen lässt. Auch das Argument, nur mit Stuttgart 21 werde der außerhalb liegende Flughafen optimal an den Hauptbahnhof angeschlossen, lässt Arnoldi nicht gelten. Die S-21-Planer wollen neben dem bereits vorhandenen S-Bahnhof eine zusätzliche Tunnelstation für den schnellen Fernverkehr bauen. Das würde die Fahrtzeit vom Stuttgarter Hauptbahnhof zum Flughafen von knapp einer halben Stunde auf, so heißt es, acht Minuten verkürzen. Das Alternativkonzept Kopfbahnhof 21 sieht vor, stattdessen den S-Bahnhof zu erweitern, so dass dort künftig auch ICE und IC halten können. Fahrtzeit bei dieser Variante: knapp eine Viertelstunde – und das bei geringeren Kosten und weniger Eingriffen in die Umwelt.

Teure Fehlplanung

Die Kosten belaufen sich bei Kopfbahnhof 21 nach den Berechnungen der Planer auf etwa 1,3 Milliarden Euro. Das ist weniger als die Hälfte der Summe, die Stuttgart 21 verschlingen würde. Doch im Bundesverkehrsministerium interessiert das niemanden. „Ich werfe dem Minister vor, dass er sich überhaupt nicht mit Alternativen zu Stuttgart 21 beschäftigt“, sagt Winfried Hermann, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. „Es ist schon auffällig, dass man sich im Verkehrsministerium und bei der Bahn weigert, mögliche andere – und günstigere – Konzepte zu berücksichtigen. Gerade in Zeiten, in denen öffentliche Haushalte und Unternehmen schauen, wie sich am besten Geld sparen lässt.“

Für Werner Korn, Geschäftsführer des VCD Baden-Württemberg, ist Stuttgart 21 eine der teuersten Fehlplanungen aller Zeiten und obendrein ein Fass ohne Boden. „Ich halte eine Bausumme von 3,5 bis vier Milliarden Euro für realistisch“, sagt er. Dabei steht die Finanzierung des Projekts bereits jetzt auf extrem wackeligen Beinen, es fehlen mindestens 200 Millionen Euro. Bundesverkehrsminister Tiefensee ließ im Januar als Reaktion auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Hermann verkünden, er werde nicht mehr Geld in den Umbau des Bahnhofs investieren als bislang zugesagt. Das heißt: 453 Millionen Euro für den Anschluss des Bahnhofs an die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Ulm, die möglicherweise ab 2017 gebaut wird. Das Land Baden-Württemberg und die Bahn geben sich dennoch zuversichtlich. Sie setzen auf das fürs Frühjahr anberaumte Treffen mit Tiefensee. „Ich bin optimistisch, dass eine Mischfinanzierung zustande kommt“, sagt Bahnsprecher Jürgen Friedmann. „Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen, die Verhandlungen laufen auf allen Ebenen.“ In Frankfurt und München, ebenfalls Städte mit Kopfbahnhöfen, wurden ähnliche Projekte wie Stuttgart 21 schon vor Jahren wegen Unwirtschaftlichkeit gestrichen.

Warum also halten die S-21-Planer an ihrem Konzept fest? Die Vermutung liegt nah, dass es ihnen vor allen Dingen um die freiwerdende Bebauungsfläche und deren gewinnbringende Vermarktung geht. Denn: „In verkehrstechnischer Hinsicht ist unsere Alternative Kopfbahnhof 21 dem S-21-Projekt mindestens ebenbürtig, und das bei nur halb so viel Kosten“, fasst Klaus Arnoldi vom VCD zusammen. „Außerdem würde die Modernisierung des Kopfbahnhofs die Umwelt bedeutend weniger belasten. Der Bau des Tiefbahnhofs würde unter anderem die sensiblen geologischen Deckschichten gefährden, die sich über den Stuttgarter Mineralwasservorkommen befinden. Im schlimmsten Fall könnten die Quellen austrocknen. Es wird Zeit, Stuttgart 21 zu begraben.“

Kirsten Lange

Mehr Infos: www.vcd-bw.de/themen/s21/

 

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