Politik 1/2007

VCD-Projekt FaHrrad!

„Wir sind ziemlich führend“

Die Klasse 6b der Maria-Ward-Schule in Bad Homburg räumt alle Fahrradpreise ab – innerhalb der Schule und außerhalb. Woran das liegt? Vorbildliche Lehrer, meinen die Schülerinnen, engagierte Eltern und gute Rahmenbedingungen für die Verkehrserziehung, sagen Lehrer und Schulleitung. Nun hat die Klasse einen Sonderpreis beim VCD-Projekt „FahrRad!“ bekommen.

 
  Foto: Marcus Gloger
  Fahrradfreundliche Schule dank fahrradfreundlicher Lehrerinnen und Lehrer: Verkehrserzieherin Birgit Freakley mit einem von Schülern liebevoll gestalteten Projektordner.

„Herr Gaigl ist ein sehr umweltfreundlicher Mensch, das haben wir geerbt“, erklärt die blonde Sechstklässlerin mit Blick auf ihren Lehrer fröhlich. Nach kurzer Pause ergänzt sie: „Außerdem ist er nett und lustig.“ Wolfram Gaigl, Lehrer für Mathe und Biologie und Klassenlehrer der 6b, lehnt sich grinsend in seinem Stuhl zurück, verschränkt die Arme vor der Brust im karierten Flanellhemd und streckt die Beine aus. Dass er seine Schülerinnen nicht mit Öko-Moralpredigten nervt, sondern stattdessen selbst täglich aus dem acht Kilometer entfernten Oberursel mit dem Rad zur Schule kommt, überzeugt die Schülerinnen der Maria-Ward-Schule in Bad Homburg.

Der Himmel über Bad Homburg ist grau, es nieselt – kein idealer Tag zum Radfahren. Trotzdem sind Natalie, Lea, Leonie und Clara mit den Rädern da. „Wir fahren immer mit dem Rad zur Schule“, berichten die Mädchen. „Wir wohnen alle am Weg und holen uns gegenseitig ab.“ Steht Orchester auf dem Stundenplan, begleitet ein Vater die Kinder und transportiert die sperrigen Musikinstumente mit dem Fahrradanhänger. Besser als mit dem Auto gebracht zu werden oder mit dem Schulbus zu fahren, ist radeln allemal, finden die Mädchen. „Es ist ein tolles Gefühl, wenn man mit dem Rad am vollgestopften Schulbus vorbeifährt und sieht, wie die anderen sich drängeln müssen“, erzählen sie. „Wir sind morgens schon mal aktiv und kommen fit in den Unterricht.“

Radfahren als Lehrstoff

Damit zum „geerbten“ auch noch ein vermitteltes Wissen kommt, nützt Wolfram Gaigl seine Unterrichtsstunden, um den Zusammenhang zwischen Umwelt und Verkehr zu vermitteln. „In Mathe haben wir zum Beispiel Flächenberechnungen gemacht, wie viel Platz 40 Millionen Autos brauchen und wie viel 40 Millionen Fahrräder“, erklärt Patricia. Und in Biologie steht der Klimawandel auf dem Unterrichtsplan.

Foto: Marcus Gloger
Bei Wind und Wetter mit dem Rad zur Schule: Das gute Vorbild des Klassenlehrers motiviert die Schülerinnen.
 
  Foto: Marcus Gloger
  Komfortable Rahmenbedingungen: In der Extrastunde Verkehrserziehung kann Birgit
Freakley mit ihren Schülerinnen an den Grundlagen der Fahrtechnik arbeiten.

Dass Übung auch beim Radfahren den Meister macht, beweisen die vielen Trophäen im Klassenzimmer. Pokale, Urkunden und Preise zu verschiedenen Rad- und Verkehrsprojekten sind der Stolz der ganzen Klasse. „Wir sind ziemlich führend“, stellt eine Schülerin sachlich fest. Auch innerhalb der eigenen Schule räumt die 6b die Preise ab. Der Pokal stammt vom Geschicklichkeitsparcours im Rahmen der Verkehrserziehung. Während der „I walk to school“-Projektwoche hat die Klasse die meisten Meilen gesammelt und den Schulpreis gewonnen. Und jetzt kommt auch noch der Sonderpreis im Rahmen des VCD-„FahrRad!“-Projektes dazu, den die sechsten Klassen gemeinsam für die Dokumentation ihrer „Fahrradtour von der Maria-Ward-Schule Bad Homburg zur Maria-Ward-Schule Mainz“ erhalten haben.

Abenteuer in einer Tour

„Erzählt doch mal, was wir alles erlebt haben“, fordert Englisch- und Sportlehrerin Birgit Freakley die Mädchen auf. Sie hat die Klasse auf der Tour entlang des Rhein-Main-Radwegs gemeinsam mit ihrem Kollegen Oliver Sieper begleitet und die umfangreiche Dokumentation mit den Schülerinnen erarbeitet. Keine Frage: Die Tour war für sie ein unvergessliches Erlebnis. Vom Totalschaden über spektakuläre Stunts bis zu beispiellosen Hilfsaktionen war alles dabei. „Michelle musste ein neues Fahrrad bekommen, weil nach der zweiten Panne ihr Reifen total kaputt war“, erzählt eine Schülerin. Ein zu Hilfe gerufener lokaler Fahrradhändler rettete die Tour für das Mädchen, indem er der Klasse ein Leihrad zur Verfügung stellte. Neben Pannen und Stürzen zählen die Mädchen die Einkehrpause im Ausflugslokal und die Wasserschlacht am Brunnen zu den Highlights der Tour. Dass sich die Gruppe, während sie auf das Ersatzrad wartete, auch noch um die Umwelt verdient machte, freut Birgit Freakley besonders. „Eine Gruppe vom BUND war zufällig an der Stelle, an der wir gestrandet waren, dabei, einen Bach von Müll zu säubern“, erzählt sie. „Da konnten wir die Zeit sinnvoll nutzen und mithelfen.“

Foto: Marcus Gloger
Die örtliche Fahrradhändlerin hat alle Hände voll zu tun: Kaum ein Kinderfahrradhelm ist richtig eingestellt.

Auf Grundlage dieser Erfahrungen bastelten die Mädchen eine große Collage aus geknipsten und gemalten Bildern und schickten alles an die Koordinationsstelle des „FahrRad!“-Projektes beim VCD in Berlin. „Es ist beeindruckend, mit wie viel Liebe und Energie die Schülerinnen ihre Erlebnisse ungesetzt haben“, sagt Michaela Mohrhardt, die das Projekt „FahrRad!“ für den VCD umsetzt. „Sie haben den Preis verdient. Ich hoffe, dass ihnen die Begeisterung fürs Fahrradfahren und ihr Interesse an der Verkehrspolitik erhalten bleiben.“

Das Vorbild macht’s

Neben dem radelnden Lehrer Gaigl ist Birgit Freakley, die auch Verkehrserziehungsbeauftragte der Schule ist, eine Schlüsselfigur, wenn es um das positive Image des Fahrrads geht. Sie freut sich über die neue Auszeichnung in ihrer Sammlung. Den an vielen Schulen ungeliebten Nebenjob der Verkehrserzieherin hat sie vor fünf Jahren gerne übernommen. Sie setzt ihn gezielt zur Fahrradförderung ein. Freakley schwärmt von den guten Rahmenbedingungen an ihrer Schule und ist stolz auf die Erfolge. Dass die Schule vom Land Hessen 2003 als „fahrradfreundlich“ ausgezeichnet wurde, ist einem ihrer Projekte zu verdanken.

Foto: Marcus Gloger
„Wir sind ziemlich führend!“: Die selbstbewussten Mädchen der Klasse 6b mit vorbildlichem Lehrer und Pokal.

Aber Projekte allein ändern das Alltagsverhalten der Schülerinnen nicht. „Wir haben pro Klasse sicher zwei bis drei Mädchen, die nicht radfahren können, wenn sie in die weiterführende Schule kommen“, hat Birgit Freakley beobachtet. Daher ist das konkrete Radfahrtraining immer Bestandteil der Verkehrserziehung.

Ortstermin in der Turnhalle: Zwanzig Mädchen spielen in der einen Hälfte der Halle Plumpsack, während in der anderen Hälfte geradelt wird. Eine große Acht um zwei Hindernisse und dann Schlangenlinien fahren zwischen den aufgestellten Stäben – die Übung erfordert Geschicklichkeit und ein gutes Gleichgewichtsgefühl. Immer wieder gibt Sportlehrerin Freakley Hilfestellung und zeigt, wie man es richtig macht.

Ein Service, den sie ganz nebenbei noch organisiert hat: Die lokale Fahrradhändlerin, deren Tochter die Schule besucht, stellt den Radlerinnen die Helme richtig ein. „Kaum ein Helm sitzt richtig“, beklagt die Fachfrau und demonstriert, wie der Helm beim Aufschlagen wegrutschen würde. „Die meisten Helme sind zu locker eingestellt, die Bänder sind verdreht oder der Helm sitzt zu weit auf dem Hinterkopf.“

Es gongt: Ende eines Schultags. Wer mit dem Rad da ist, stürmt zum überdachten Fahrradständer neben dem Schultor. „Die 500 Euro Preisgeld, die wir vom VCD bekommen, investieren wir in eine neue Fahrradabstellanlage“, verrät Birgit Freakley. „Können Sie nicht schreiben, dass wir dafür noch Spenden brauchen?“

Regine Gwinner

Infos: Maria-Ward-Schule, Bad Homburg,
Tel.: (06172) 946494.
Die Unterrichtsideen zur „FahrRad!“-Kampagne sowie die Dokumentation der Online-Radtour sind als Broschüre mit CD-ROM ab Ende Februar beim VCD erhältlich (2,55 Euro Versandkosten). Bestellung an: bestellung@vcd.org, Stichwort „FahrRad!-Broschüre“.

   
 

FahrRad!
Die Kampagne geht weiter

Rauf auf’s Rad – das ist die zentrale Botschaft, die der VCD mit seiner bundesweiten Kampagne „FahrRad! – Wer zur Schule fährt, gewinnt“ vermittelt hat. Von Mai bis Oktober 2006 haben über 2000 Jugendliche aus 83 Schulklassen mitgemacht und dabei mehr als 150000 Kilometer auf ihren Wegen von und zur Schule erradelt. Das Engagement der Schülerinnen und Schüler wurde mit vielen Einzel- und Klassenpreisen belohnt – die gesamte Kampagne sogar im Rahmen des deutschen Fahrradpreises „Best for Bike“ ausgezeichnet.

Zum Schuljahr 2007/2008 setzt der VCD die virtuelle Radtour als Fahrradjugendkampagne fort. Teilnehmen können dieses Mal neben Schulklassen auch Sportvereine und Jugendgruppen, die gerne Fahrrad fahren und bei der Online-Tour mitradeln möchten. Anmeldungen und weitere Informationen per E-Mail: virtuelle-radtour@vcd.org

 

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