Titel 6/2006

Interview

Dackel auf Krankenschein

Bewegungsmangel ist einer der größten Krankmacher in Deutschland. Ingo Froböse, Professor an der Sporthochschule in Köln und Experte für gesundheitliche Prävention, fordert kein Volk von Marathonläufern. Ein „normales Maß“ an Bewegung allerdings hält jung und gesund.

Foto: privat
Professor Ingo Froböse: „Jeder Schritt ist gesund.“

fairkehr: Ist zu Fuß gehen eigentlich Sport?

Froböse: Von Sport sprechen wir dann, wenn eine Beanspruchung körperliche Reaktionen auslöst. Spazierengehen macht das. Eine Studie belegt, dass Dackelbesitzer gesünder sind als Menschen ohne Hund. Im Grunde müsste man einen Dackel auf Krankenschein bekommen.

fairkehr: Reicht ein Viertelstündchen Gassigehen zur körperlichen Ertüchtigung?

Froböse: Grundsätzlich gilt: Lieber länger und langsam als kurz und schnell bewegen. Aus sportmedizinischer Sicht empfehlen wir ein Gehtempo von fünf bis sechs Kilometern pro Stunde. Zu der rein körperlichen Bewegung kommen aber beim halbstündigen Spaziergang in der Mittagspause noch ganz andere Aspekte dazu. Tageslicht aktiviert Hormonaussschüttung und Vitaminproduktion. Frischluft und Tapetenwechsel regen die Kreativität an, auch bei langsamerem Tempo.

fairkehr: Sitzen ist aber bequemer. Funktionieren unsere Instinkte nicht mehr?

Froböse: Wir sitzen im Durchschnitt mehr als acht Stunden am Tag und gehen nur gut 400 Meter am Tag. Um den Körper in Schwung zu halten, müssten wir rund 2000 Kilokalorien pro Tag verbrauchen. Das schaffen wir aber in der Ruhe nicht. Wir kultivieren eine ungesunde Lebensweise, auf die wir genetisch nicht programmiert sind. Schon unsere Kinder erziehen wir zu einem bewegungsarmen Lebensstil – mit fatalen gesundheitlichen Folgen.

fairkehr: Was ist biologisch das Besondere am Zweibeiner Mensch? Was zeichnet den aufrechten Gang aus?

Froböse: Wir sind ein Kunstwerk der Natur. Unsere Wirbelsäule muss mit viel Muskelmasse gehalten werden, den relativ großen Kopf müssen wir auf einem schmalen Hals balancieren. Um den Rumpf stabil zu halten, brauchen wir viel Energie. Unser Körper ist in Diagonalen konstruiert, um ihn im Raum stabil zu halten. Beim Gehen bewegen wir die Beine, aber automatisch auch die diagonal gegenüberliegende Schulter mit dem Arm. Bewegung ist notwendig, um dem Körper Haltung zu verleihen. Je weniger wir uns bewegen, desto anstrengender wird diese energieaufwändige Haltung, weil die benötigten Muskeln nicht trainiert sind. Die Folge: Wir bewegen uns noch weniger. Eine Abwärtsspirale.

fairkehr: Was passiert medizinisch gesehen im Körper, wenn wir gehen?

Froböse: Gehen ist eine Ganzkörperaktion. Jeder Schritt stimuliert unser zentrales Nervensystem. Die Durchblutung unseres Gehirns steigert sich um 30 bis 40 Prozent. Deshalb sind wir nach einem Spaziergang auch beweglicher im Kopf. Das Immunsystem wird aktiviert. Der Stoffwechsel wird angeregt, Energie wird verbrannt, die Durchblutung im ganzen Körper wird gesteigert. Das beugt allen Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes, Gicht oder erhöhten Blutfettwerten vor. Und das Schöne ist, für all das muss man nicht stundenlang strampeln wie beim Leistungssport. Das alles passiert ab dem ersten Schritt.

fairkehr: Die gesundheitlichen Segnungen in Ehren. Dennoch halten heutzutage viele Menschen das Zu-Fuß-Gehen für anstrengend und beschwerlich.

Froböse: Das ist alles eine Frage der Übung. Ohne Training ist auch der kurze Gang vom Auto zum Aufzug anstrengend. Wer sich dagegen viel bewegt, erhöht die Herzfrequenz und dauerhaft das Herzschlagvolumen. Das heißt, pro Herzschlag wird mehr Blut in alle Ecken des Körpers gepumpt. Der Herzmuskel wird gekräftigt. Im Ruhezustand muss das Herz dann weniger arbeiten. Dadurch sinkt das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko. Und man bleibt körperlich jünger.

fairkehr: Viele leben nach der Methode „Sport ist Mord“. Kann Sport nicht auch krank machen?

Froböse: Die Dosis macht das Gift. Die Statistik besagt, dass sich von 100 Sporttreibenden nur vier verletzen. Dies geschieht aber meist in den Sportarten mit Körperkontakt wie Fußball oder Handball. Bei moderater Aktivität ist das Verletzungsrisiko zu vernachlässigen. Umgekehrt wird eher ein Schuh draus. Durch Bewegungsmangel sterben jährlich rund 150000 Deutsche vorzeitig.

fairkehr: Wann und wo gehen Sie zu Fuß?

Froböse: Ich gehe täglich zu Fuß. Fünfmal die Woche laufe ich. Mein Büro liegt in der fünften Etage. Diesen Berg erklimme ich bestimmt vier- bis fünfmal am Tag. Es muss nicht immer gleich Sport sein. Normales Bewegen genügt. 75 Prozent der Deutschen erreichen aber leider auch dieses normale Bewegungsmaß nicht mehr.

Interview: Michael Adler

 

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