Editorial 6/2006
 

Geht’s gut?

 
Michael Adler

Foto: www.marcusgloger.de

Wir sind nicht gut zu Fuss. Schon unser Verkehrszeichen für Fußwege ist verräterrisch. Unter der Rubrik „Sonderwege“ findet man das StVO-Zeichen 239. Eine Frau mit Rock führt ein Kind an der Hand. Damit ist qua Gesetz festgelegt, dass es sich beim Zu-Fuß-Gehen um eine Sonderform menschlicher Mobilität handelt. Außerdem ist die Randgruppe, die diese begrenzte Form des Fortkommens praktiziert, klar definiert: Frauen und Kinder.

Interessanterweise folgt die Wirklichkeit dem Zeichen. Frauen gehen in Deutschland rund 700 Meter pro Tag zu Fuß, Männer nur etwa 200 Meter. Beides ist viel zu wenig für das Lauftier Mensch, diagnostiziert der Sportwissenschaftler Ingo Froböse im fairkehr-Interview. Der aufrechte Gang erfordere vom Menschen eine starke Muskulatur, um den Körper im Raum zu stabilisieren. Je weniger wir diese Muskeln trainierten, desto beschwerlicher werde jeder Schritt – Rückenprobleme, Arthrose und Stoffwechselkrankheiten inklusive.

Obwohl die gesundheitlichen und sozialen Segnungen des Zu-Fuß-Gehens auf der Hand liegen, tun Verkehrsplaner und Autolobby fast alles, um Fußgänger buchstäblich an die Wand zu drücken.

Geplant wird eine Straße vom Mittelstreifen her. Viel Platz ist für das Fahren mit breiten Autos reserviert. Am Fahrbahnrand müssen die Riesengefährte Parkraum finden, danach folgt gelegentlich ein Fahrradweg und was dann noch übrig bleibt, muss für die Fußgänger reichen. Seit 1972 gelten offiziell 1,5 Meter Breite als ausreichend für das, was der Volksmund immer noch großspurig „Bürgersteig“ nennt.

1964 wurde der Vorrang des Fußgängers auf Zebrastreifen gesetzlich verankert. Mit fataler Folge: Diese sinnvollen Schutzgebiete verschwanden zusehends. Das Aufstellen von Ampeln schritt voran und mit ihr die Kanalisierung des unberechenbaren Streuners Fußgänger. Mit Poller, Ketten und Gittern wird seitdem versucht, dem Geher den geraden Weg und den rechten Winkel zu verordnen. Um den Preis, dass die Geschwindigkeit des Autoverkehrs immer höher wurde und die des Fußgängers durch Umwege, Unterführungen und Unterbrechungen immer niedriger.

Trotz aller Behinderungen gehen die Deutschen noch rund ein Viertel aller Wege in Städten zu Fuß. Tendenz fallend. Kaum eine Stadt, die überhaupt einen Gedanken, geschweige denn eine Planstelle, für den klimaschonenden, preisgünstigen und gesundheitsförderlichen Fußgänger „verschwendet“.

Höchste Zeit für mehr Beweglichkeit im Kopf. Gute Beispiele gibt es wie so oft in der Schweiz. Hier haben in sogenannten Begegnungszonen die Fußgänger Vorrang. In der holländischen Stadt Houten haben Fußgänger und Radfahrer freie Bahn, während Autos Umwege fahren müssen.

Ein Spaziergang erhöht die Durchblutung im Gehirn um 30 bis 40 Prozent. „Geht doch mehr zu Fuß!“, möchte man Stadtplanern, Kommunalpolitikern, eigentlich allen Menschen zurufen – und das nicht nur zum Weihnachtseinkauf.

Bewegliche Feiertage wünscht Ihnen Ihr

 

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