Titel 5/2006

Gigaliner

Falsche Weichenstellung

Das Verkehrsministerium in Niedersachsen testet überlange Lastwagen. Effizienz- und Sicherheitsfragen sind noch ungeklärt.

Foto: Boll Logistik
Auf Probefahrt: Fraglich ist, ob Gigaliner in Städten um die Kurven kommen.

Sie sind fast neun Meter länger als herkömmliche Lastwagen, können 20 Tonnen mehr Ladung aufnehmen und fahren statt auf fünf auf sieben Achsen: In Niedersachsen hat das Verkehrsministerium versuchsweise die ersten sogenannten Gigaliner zugelassen. Während der Erprobungsphase bis Juli 2007 darf das Gesamtgewicht der Riesenlaster allerdings 40 Tonnen nicht überschreiten, obwohl die gigantischen Fahrzeuge durchaus für 60 Tonnen Ladung ausgelegt sind.

Die Handelsbranche erhofft sich große Vorteile durch den Einsatz der überlangen Laster und will damit Autobahnkilometer sparen und Kosten senken. Weil künftig statt bisher drei nur noch zwei Laster auf der gleichen Strecke fahren müssten, sparten die Gigaliner nicht nur Sprit, sondern schonten auch die Umwelt, rechnet die Branche vor. Auf jeden Fall sei der Effizienzeffekt beim Einsatz von Gigalinern eine Möglichkeit, das Güterverkehrswachstum aufzufangen.

„Gigaliner sind Gigaquatsch“, lautet das Urteil des VCD Niedersachsen zu dem Schwerlast-Pilotprojekt seiner Landesregierung. „Das Projekt stellt die Weichen falsch“, sagt Michael Frömming. Der VCD-Landesvorsitzende fordert innovative Logistikkonzepte auf der umweltfreundlichen Schiene, statt wieder einmal auf die Straße zu setzen. „Größere Ladevolumina mit neuen Antriebstechnologien können vielleicht kurzfristig einen gewissen Beitrag zu weniger Emissionen leisten, die Gesamtproblematik des ausufernden Schwerlastverkehrs wird damit nicht gelöst“, sagt Frömming.

Rollende Ungetüme

Bundesverkehrminister Tiefensee kann noch nicht sagen, was er vom Einsatz der 60-Tonner halten soll. Noch sind zu viele Fragen offen. Welche Auswirkungen haben die Laster auf die Verkehrssicherheit? Ist die Straßeninfrastruktur den schweren Geräten gewachsen? Passen die Monster-Trucks auf die Lkw-Stellplätze der Raststätten? Völlig ungeklärt ist, wie sich Gigaliner auf die Sicherheit in Städten und auf Landstraßen auswirken. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) fertigt derzeit im Auftrag des Verkehrsministeriums einen Bericht über die möglichen Auswirkungen von Gigalinern auf deutschen Straßen an. Erst wenn dieser Bericht vorliegt, wird das Bundesverkehrsministerium Position beziehen.

Höchst problematisch ist der Einsatz der Fahrzeuge außerhalb der Autobahnen. Allein die Abbiegemanöver dürften in den engen deutschen Städten zum Problem werden. Aber auch die Akzeptanz auf Autobahnen wird sich in Grenzen halten. Schon jetzt haben die Lkw-Kolonnnen auf den rechten Fahrspuren kaum noch Lücken. Niemand wird sich wohlfühlen, wenn solche rollenden Riesen dazukommen und womöglich zu bedrohlichen Überholmanövern ansetzen.

Das höhere Gewicht haben die Konstrukteure der neuen Trucks über mehr Achsen verteilt, was die Belastung für den Straßenbelag verringern soll. Problematisch ist aber die Überfahrt von Brücken. Hier geht es um das Gesamtgewicht. Viele Brücken in Deutschland stammen noch aus den 50er Jahren und sind marode. Es ist ungewiss, ob sie den Gigalinern auf Dauer standhalten.

Offen ist auch, ob die Gigaliner am Ende wirklich, wie versprochen, die Zahl der Lkw auf deutschen Straßen reduzieren. „Effizienzvorteile bringen sie nur bei Vollauslastung“, sagt Ingo Hodea vom Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV). Wirtschaftlich sinnvoll sei ihr Einsatz auf großen Strecken zwischen den Logistikzentren im sogenannten Hauptlauf der Transportkette. Zum Einsammeln und Verteilen der Güter werde dort die Fracht auf kleinere Laster umgeladen, erklärt der Verbandsreferent für Straßengüterverkehr.

„Diese Konzepte liefern keinen Beitrag zur Entlastung der Städte vom Güterverkehr”, sagt VCD-Verkehrsreferent Michael Müller zum Gigaliner-Testlauf. Dreiviertel aller Güter würden schließlich im Regional- und Nahbereich transportiert, sagt der Logistikexperte. „Die Bundesregierung muss ein Gesamtkonzept für den Güterverkehr entwickeln und sich um intelligente Verknüpfungen aller Transportmittel kümmern”, sagt Müller. Die Gigaliner sind nur eine Randerscheinung, keine Lösung.

Uta Linnert

 

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